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Kreutz von 1919 bis zu seinem Tode im Jahre 1949“. Und noch heute besteht die „Dr. Erich Bielka-Stiftung zum Gedenken an Rudolf Jeremias Kreutz“, die im Stiftungs- und Fonds-Register des Bundesministeriums für Inneres eingetragen ist. Kreutz hinterließ ein reiches literarisches Werk. Über seine schriftstellerische Tätigkeit schrieb Kreutz am 29. Oktober 1929: „Im Herbst 1905 fühlte ich als aktiver k.u.k. Offizier zum ersten Mal eine Art Berufung zum Schriftsteller, doch wurde sie noch lange zu keinem Beruf. In diesem Jahre war die Wiener satirische Wochenschrift ‘Die Muskete‘ gegründet worden. Ich schrieb für sie ständig Verssatiren, selten lyrische Gedichte, ausnahmsweise Prosaskizzen. Mein erstes Werk war eine Sammlung dieser Sächelchen, die 1911 unter dem Titel "Vom grinsenden Leben‘ erschien. 1915 entstand in einem sibirischen Gefangenenlager mein erster Roman ‘Die große Phrase‘, die 1917 in Dänemark und Schweden, 1918 in England, 1919 in Deutschland herauskam. Dieses Buch steht mir unter meinen Werken darum besonders nahe, weil es für mich die Geschichte einer ebenso gründlichen als schmerzhaften Wandlung bedeutet.“'” In der „Großen Phrase“ wandelt sich die Hauptfigur, der Hauptmann des Ersten Weltkriegs Hans Zillner, vom gehorsamen Soldaten zum überzeugten Kriegsgegner. „Die große Phrase“ erschien zwar in einem dänischen Verlag, bei Gyldendal in Kopenhagen, aber nicht auf Dänisch, sondern auf Norwegisch. Benjamin Wegner Norregaard, der „Die große Phrase“ ins Norwegische übertragen hatte, rezensierte das Buch im norwegischen „Morgenbladet“ vom 2. Dezember 1917 unter der Überschrift „Romanen om verdenskrigen“ („Roman über den Weltkrieg“); eine deutsche Übersetzung dieser Rezension findet sich im Nachlass von Kreutz. Zu seiner Übersetzung schrieb Norregaard: „Die große Phrase‘ ist früher in keiner anderen Sprache erschienen (...); es erhält, wie man sagt, seine Urausgabe auf Norwegisch. Es kann zur Zeit - aus Gründen, die aus meinen Besprechungen hervorgehen werden — nicht in Deutschland oder Österreich ausgegeben werden. “'”' Der Grund, warum „Die Große Phrase“ 1917 nicht in Österreich erscheinen konnte, war die Zensur im noch andauernden Ersten Weltkrieg; und auch in Dänemark und Norwegen erschien „Die Große Phrase“ nicht unter dem Namen des Offiziers Kreutz, sondern als Autor wurde nur „Ein Mensch“ genannt. Das Buch selber beurteilte Noregaard so: „(...) ich finde, dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass dieser Roman für ein späteres Geschlecht dieselbe Bedeutung für den Krieg haben will wie Tolstois ‚Krieg und Frieden‘ für frühere Generationen gehabt hat. (...) Und die Bilder, die uns der Verfasser von den Schlachten aufrollt, vom Leben im Biwak, von den Leiden, von den Schrecknissen, von dem Opfermut und der Ausdauer der kleinen Soldaten, von der Pflichttreue der Truppenoffiziere und dem Unverstand der Leiter, von der Arbeit der Frauen in den Hospitälern und all das andere, worüber er berichtet, das schmilzt zu einem einzigen Kolossalbild vom Kriege unter dem Leser zusammen, was ich für meinen Teil jedenfalls nie klarer geschen habe oder mehr sprechend zu Kopf und Herz zu keiner Zeit oder in keines Landes Literatur. “'” Und Herbert Pochlatko und Karl Koweindl sagen folgendes: „Sein Roman ‚Die große Phrase‘ (1917/19) war lange vor Erich Maria Remarques Werk ‚Im Westen nichts Neues‘ eine Abrechnung mit dem wahren Gesicht des Krieges.“'” 1920 erschien der zweite Roman von Kreutz, „Die einsame Flamme“, beim Verlag Egon Fleischel in Berlin. Darin schildert Kreutz das Leben seiner Figur, des k.k. Bezirkskommissärs und Reserveoffiziers Freiherr von Riedammer, im sibirischen Gefangenenlager fiir Offiziere wahrend des Ersten Weltkriegs. Das Buch beginnt damit, dass in einer Baracke „im Rampenlicht der Petroleumlampen“ vor 300 Zuschauern, alles gefangene Offiziere, ein buntes Programm geboten wird: Ein Oberleutnant tanzt mit geschminkten Lippen in Rock und Seidenstrümpfen. Die nächste Darbietung ist Riedammers Lesung aus seinen Gedichten. Und Riedammer tritt auf, „weil es ihn zum ersten Mal in seinem Leben drängte, zu erfahren, ob einige sein Sehen mitsahen, sein Erleiden mitlitten. (...) Er war ein Dichter und hatte Blumen gefunden, abseits erblühte, schwer erkletterte Blumen ... Die wollte er verstreuen. Vielleicht, dass einer sie aufhob — und dann hatte er einen Freund.“'” Riedammers Vortrag — er spürt in seinem letzten Gedicht dem Unterschied zwischen Vaterland und Vaters Land nach — endet mit einer „Lageraffäre“: Das Publikum zischt, einige Offiziere verlassen den Saal, nur die russische Lagerzahnärztin klatscht. Georg Brandes schrieb Kreutz am 31. Oktober 1920 zu seiner „Einsamen Flamme“: „Ich las längst Ihr schönes Buch. Es hat die größten Vorzüge: alle Personen, die von dieser Flamme beleuchtet werden, stehen klar vor den Augen des Lesers, und so einförmig das geschilderte Leben ist, so fesselnd ist die Schilderung. Die männliche Hauptperson, die mir insofern bekannt war, als ich einen gewissen Oberstleutnant in Kopenhagen sah, ist mit großer Kunst gezeichnet. Die Verse, die er am Anfang des Buches hersagt, sind überraschend gut. Ich wusste nicht, dass österreichische Offiziere solche Verse hervorbrachten, und die Animosität, die er bei den Neidern erweckt, wie die Leidenschaft, die weibliche Zahnärzte für ihn hegen, sind dem Leser verständlich.“ !'” Der Verlag Gyldendal hatte Kreutz in einem Briefvom 17. April 1920 nach Dänemark eingeladen.'” So hatten sich Brandes und Kreutz hatten sich in Kopenhagen getroffen. Über das literarische Talent von Kreutz urteilte Brandes im gleichen Brief: „Sie sind ein sehr bedeutender Charakterzeichner und ein natiirlich sicherer Betrachter.“ In seinem Brief vom 28. Juni 1920 hatte Brandes an Kreutz geschrieben: „Was Sie alles erlebt haben, geschen, durchschaut und verstanden!“'”7 Der dritte Roman von Kreutz „Ich war ein Österreicher“, erst 1959 nach dem Tod von Kreutz im Wiener Amandus-Verlag erschienen, wurde in diesem Aufsatz bereits erwähnt. Dieses Buch ist die Geschichte einer Entfremdung in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts: Der österreichische Major a.D. Sengseis versteht sich immer weniger mit seiner Frau Marianne, obwohl die Ehe doch so glücklich begonnen hatte. Als Österreich noch besteht, spricht Marianne mit Blick auf Nazi-Deutschland von der „Magie des nationalen Ideals“. Wenn Sengseis auf Konzentrationslager, Gestapo und Judenverfolgungen hinweist, antwortet ihm Marianne: „Wo so viel Licht ist, muss auch Schatten sein. Jedenfalls ist das, was jetzt geschieht, wunderbar. Und ich lasse es mir nicht durch kleinliche Nörgeleien vergällen.“'”® Nach dem „Anschluss“ will Marianne die Scheidung, „aus unüberwindlicher gegenseitiger Abneigung“. Das Buch endet mit einem Bekenntnis von Sengseis — noch im Zweiten Weltkrieg — zu einem „anständigen Österreich“. Pochlatko und Koweindl sagen zu diesem Roman, er sei von „glühendem Patriotismus“ erfüllt: „Der Held des Romans hält mitten im äußeren Untergang des Vaterlandes an seinem Glauben an Österreichs Wiedererstehen fest.“'” Das Fazit von Pochlatko und Koweindl: „Zu Unrecht vergessen ist der österreichische Erzähler Rudolf Jeremias Kreutz (...)“?” Juni 2017 17