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Lehrkörper. Die vorerst als Verein gegründete Schule, die 1908 das Öffentlichkeitsrecht erhielt, war ein voller Erfolg, expandierte jährlich (200-300 Schülerinnen) und bedeutete für viele Frauen den Ersteinstieg ins Kunstleben, fiir andere die alleinige Kunstausbildung. Ab 1918 wurden sogar akademische Klassen eingeführt, die jenen an der Akademie gleichgestellt waren. Offensichtlich war man seitens der Akademie froh, die zunehmende Zahl interessierter Frauen andernorts angenommen zu wissen. Diese sogenannten Frauenklassen existierten — trotz der 1920/21 erfolgten Öffnung der Akademie für Studentinnen — mit Einschränkungen bis 1942. Bereits 1938 wurde die Kunstschule aufgelöst und als „Kunst- und Modeschule“ in die Agenden der Stadt Wien übergeleitet. Die Schule, so heißt es in einem „Gutachten“ von 1938, sei mit Blick auf die Lehrerschaft sowie insbesondere auf die Schülerinnen als „jüdisches Erziehungsinstitut“ zu bezeichnen und deshalb aufzulösen.“ An beiden Kunstschulen, der Kunstgewerbeschule bis 1873 und ab 1900 sowie an der Kunstschule für Frauen und Mädchen, gab es in der Tat einen signifikant hohen Anteil jüdischer Studentinnen. Das mag an der Wertschätzung der Mädchenbildung im Allgemeinen gelegen haben, die in jüdischen Familien als Beitrag zur Akkulturation gesehen wurde; zum anderen auch daran, dass in eben diesen Familien die Frage der Berufsausbildung der Töchter (anstelle der frühen Ehe) mit einiger Vehemenz aufkam. Wenn sie nun eine künstlerische Ausbildung unterstützten, die über die den Frauen seit langem zugestandene dilettierende Beschäftigung hinausging, so erklärt sich das auch aus dem hohen Stellenwert, den Kunst oder Musik innehatten. Beides wurde im Übrigen auch von Frauen befördert. Erinnert sei an die Salons jüdischer Frauen, wie jenen der Pädagogin Eugenie Schwarzwald, an Ida Conrat (Walfischgasse), die dem Brahmszirkel zugerechnet wurde und Empfänge für Musiker und Secessionskünstler veranstaltete. Der berühmte literarische Salon von Berta Zuckerkandl, deren Schwiegertochter Gertrud Stekel-Zuckerkandl sich als Malerin betätigte, wurde ab 1917 bis 1938 im Palais Auspitz-Lieben abgehalten. Der Familie Lieben-TIodesco entstammte die Malerin Marie-Louise von Motesiczky, die zwischen 1924 und 1928 regelmäßig bei Max Beckmann an der StädIschule in Frankfurt Kunstunterricht nahm. Die Familie ist in ihren Bildern immer wieder präsent, wie beispielsweise in dem Stillleben mit Fotografie (der Familie Lieben, 1930), im Bild ihrer Flucht nach England 1939 (Die Reisenden, 1940), in dem sie sich auf einem Boot mit Mutter, Amme und "NEUE RER ET 20 ZWISCHENWELT einem den Nazischergen entkommenen Onkel zeigt, oder in den in flüssiger Pinselführung gemalten Bildern ihrer Mutter Henriette von Motesiczky, geb. Lieben. Auch andere scharten moderne Künstler um sich oder gaben ihnen, wie das KunsthistorikerEhepaar Tietze, Portrait-Aufträge. Broncia Koller-Pinell hatte ihre Ausbildung an der Münchner Damenakademie sowie auf privatem Wege erworben. Aus wohlhabendem Hause stammend, war es ihr möglich, Aufträge an Künstler und Architekten im Umkreis der Secession zu vergeben und mit diesen Freundschaften zu schließen, so auch zu Egon Schiele, der ihren Mann in einem Gemälde und auch die Tochter Silvia Koller, ebenfalls Malerin, 1918 porträtierte. Koller-Pinell malte im Gegenzug ein Bildnis von Edith und Egon Schiele, ebenfalls 1918. Schiele bewegte sich offenbar gern im Kreis jüdischer Künstlerinnen, die er in Zeichnungen festhielt: Neben den Kollers waren dies Grete Wolf-Krakauer (1913) oder auch die Malerin Lilly Steiner sowie deren Töchter Eva und Maria (1918). Lilly Steiner lebte mit ihrem Mann, dem Industriellen Hugo Steiner, in der 1910 von Adolf Loos errichteten Villa in Wien Hietzing, in der ebenfalls regelmäßig Kulturschaffende verkehrten. Das Oeuvre der ab 1927 in Paris lebenden Steiner, das vorwiegend aus expressiven Porträts und farbintensiven, delikaten Landschaften, die mit breit hingestrichenen, manchmal weich konturierten Pinselstrichen aufgebaut sind, besteht, wurde erst in den letzten Jahren wiederentdeckt.’ Reisen, Bildungsaufenthalte Neben der engen Beziehung zur Kunst und Kultur war das Reisen in jüdischen Familien selbstverständlich. Die Mobilität vieler Künstlerinnen, wenn es darum ging, eine gute Ausbildung zu erhalten oder sich weiterzubilden, ist bemerkenswert. Solange die Wiener Kunstschulen für Frauen verschlossen waren, blieb neben der privaten Ausbildung vor Ort ohnedies nur die kostspieligere im Ausland. Natürlich konnten angehende Künstlerinnen aus großbürgerlichen Familien mit entsprechender Unterstützung rechnen, auch wenn diese jungen Frauen ihren Traumberuf familienintern erst erkämpfen mussten. Die junge Ilse Conrat schreibt über die Vorbereitungen für ihr geplantes Studium bei dem belgischen Bildhauer Charles van der Stappen in Brüssel 1898, dass zunächst eine passende Begleitung gefunden werden wie sie in ihren