OCR
1937 verfassten Erinnerungen schrieb, „in gutsituierten Familien noch etwas Unerhörtes, Mädchen nicht nur zum Heiraten zu erziehen [...] ganz unmöglich, an einer Kunstschule nach nackten Modellen zu arbeiten“.* Erste Erfolge der dreijährigen Ausbildung zeigten sich bereits 1901 in München und in Wien, wo sie großformatige Skulpturen in der Secession exponierte und das Grabmal für Johannes Brahms 1903 am Wiener Zentralfriedhof schuf. Für die Rahmung verantwortlich war der belgische Architekt Viktor Horta. Mit der auf einer Stele platzierten Brahmsbüste und den fein abgestuften, figuralen Reliefs an der Grabplatte erregte sie großes Aufschen. Weitere Stationen ihrer erfolgreichen Karriere waren Rom und München, wohin sie während des 1. Weltkriegs gezogen war und bis zur ihrem Selbstmord am 10. August 1942 — ausgelöst durch die angekündigte Deportation — lebte.? Neben München, wo es schon eine Damenakademie gab, war vor allem Paris das Ziel der Kunststudentinnen. Paris als das Zentrum der Moderne bot Frauen aus ganz Europa oder auch Amerika um 1900 eine Vielzahl an privaten Ausbildungsstätten, unter denen die Akademien Colarossi, Grande Chaumiére, Julian oder Matisse (1907 bis 1910) die bekanntesten waren.'? Dorthin zog es bis 1938 auch einige Osterreicherinnen, die hier Impulse fiir ihre Ausbildung suchten oder die neuesten kiinstlerischen Entwicklungen verfolgten. Genannt sei Helene von Taussig,'! Tochter einer der damals bekanntesten Wiener Bankiersfamilien, der es erst im fortgeschrittenen Alter und nach dem Tod ihres Vaters Theodor Ritter von Taussig 1909 möglich war, die familiäre Konvention zu durchbrechen und ihrem Hang zur Malerei nachzugehen. Nach einem sie in ihrer Arbeit bestärkenden Kurzaufenthalt bei dem Schweizer Maler Cuno Amiet (Oschwand bei Bern) zog sie mit ihrer Freundin, der Grafikerin Emma Schlangenhausen, 1910 nach Paris, wo sie mit Unterbrechungen bis 1914 blieben. In einem selbstauferlegten, disziplinierten Tagesablauf widmeten sich die beiden Frauen der Kunst im gemeinsamen Atelier und der Ausbildung. Sie studierten an der Acad&mie Ranson sowie in der ab 1902 von Malerinnen geleiteten Grande Chaumiére, wo sie an den bekannten ,,Croquis 4 cing minutes“ teilnahmen; es waren dies abendliche Aktstudien, in denen die Modelle alle fünf Minuten die Position wechselten. Möglicherweise gründet hierin ihre Fähigkeit zum schnellen Skizzieren von Bewegungsabläufen, wovon die Studien des von Max Reinhardt für die Salzburger Festspiele entdeckten deutschen Ausdruckstänzers Harald Kreutzberg (1933) oder ihre spontanen und expressiven Aktbilder zeugen. Die Bindung an Paris blieb eng, wie Besuche und Ausstellungen, darunter die 1929 im Kunstsalon Quatre-Chemins, belegen. Taussig beschickte sie von ihrem neuen Lebensmittelpunkt in Salzburg (ab 1919) aus. Die hohe Wertschätzung ihrer Arbeiten zeigte sich auch darin, dass das offizielle Österreich durch den Gesandten Dr. Alfred Grünberger und Frankreich durch einen Vertreter des Ministeriums der schönen Künste vertreten war.'? 1940 wurde die zum Katholizismus konvertierte Taussig aus ihrem Salzburger Atelierhaus vertrieben und fand vor ihrer 1942 erfolgten Deportation für zwei Jahre Unterschlupf in einem Wiener Nonnenkloster in der Tröllergasse (Floridsdorf). Weltoffenheit, Internationalität und Sprachgewandtheit zählten in vielen jüdischen Familien zur weiblichen Erziehung, weshalb sich die jungen Frauen einst in Paris mit einem größeren Selbstverständnis bewegten als andere, später galt diese ebenso für die Exile in England oder den USA. Schon kurz nach 1900 zog die Bildhauerin, Schriftstellerin und Journalistin Rose Silberer nach Paris. Sie zählt mit Teresa Feodorowna Ries zu den frühen Pionierinnen der Bildhauerei. Ries war von Moskau nach Wien gegangen, um hier bei Edmund von Hellmer privaten Unterricht zu nehmen, Silberer lernte bei Rudolf Weyr, einem erfolgreichen Wiener Bildhauer der Ringstraßenära. Alsbald fanden sich einige ihrer Arbeiten in den Wiener Ausstellungen, so 1903/04 im Hagenbund (Die Nacht, Sonnenaufgang) und ab 1905 auch in Pariser Salons. 1907 gelang es ihr, den Ankauf einer ihrer lebensgroßen Arbeiten Jo und Jupiter für das Musde national de Luxembourg zu erwirken. Durch regelmäßige Berichte aus Paris — „eine Künstlerin, die noch viel zu sagen hat, die große Ansprüche an sich stellt und an die man große Ansprüche wird stellen dürfen“'? — oder Besuche prominenter Österreicher (1910 Hermann Bahr) hielt sie den Kontakt zu Wien aufrecht. Die auch als Schriftstellerin tätige Bildhauerin arbeitete nach dem Krieg aus materiellen Gründen als Journalistin, wobei sie öfters publizistisch für die Anliegen der künstlerisch tätigen Frauen eintrat. 1942 wurde Silberer in "Iheresienstadt ermordet. Unter den Österreicherinnen jüdischer Herkunft, die sich nach 1918 regelmäßig oder zeitweise in Paris aufhielten, seien Mariette Lydis (1926-1939), Lilly Steiner (1927-1961), Marie-Louise von Moetesizky (1924, 1926), Luise Merkel-Romée (1908-14, 1928-72), Erika Abels-d’Albert (1930-1975) u. a. genannt. Zita, Wiener Frauenakademie, 1936. Aus: Österreichische Kunst, 6. Jg. (1936), S. 23. Juni 2017 21