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1942 blickte Stefan Zweig aus seinem brasilianischen Exil in seiner Welt von Gestern auf die Zeit zwischen den Kriegen zurück. Sie schien ihm unter anderem durch eine höchst rege Reisetätigkeit der Menschen charakterisiert zu sein. Die Gründe sicht Zweig in der „Ungeduld der jungen Leute“: waren sie bestrebt, „hastig gutzumachen, was sie versäumt in ihrem gegenseitigen Abgesperrtsein? War es vielleicht ein dunkles Vorgefühl, man müsse noch rechtzeitig ausbrechen aus der Enge, che die Sperre wieder von neuem begann“?!? Zu diesen neugierigen oder doch von den politischen oder ökonomischen Entwicklungen angetriebenen Künstlerinnen zählten auch die Keramikerin Vally Wieselthier und die Kunstpädagogin Emmy Zweybrück, die schon vor 1938 Kontakte zu ihrem späteren Exilland Amerika suchten. Wieselthier, die von 1917-1922 für die Wiener Werkstätte arbeitete und 1922-1927 eine eigene Werkstätte unterhielt, zog es 1928 nach New York und Chicago, wo sie bis zu ihrem Tod 1945 als Designerin tätig war. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgte die Wiener Presse ihre Ausstellungen in Übersee, wo sie z. B. bei der von den Deutschen Bruno Paul und Lucian Bernard gegründeten Gesellschaft „Contempora“ lebensgroße Figuren exponierte. Große Unterstützung erfuhr sie später durch den Emigrantenkreis um Fritz Wärndorfer, der sie an Künstlerkollegen vermittelte. Bei den wenigen Wienaufenthalten zwischen 1928-1937 berichtete sie von der stark aufs Kommerzielle ausgerichteten Kunstproduktion in Amerika; sie hätte sich darauf eingestellt und ihr Aufgabenfeld erweitert und entwarf fortan auch Mode, Interieurs oder Schaufensterarrangements. „Mit reiner Kunst lässt sich in Amerika wenig finanzieller Gewinn machen. Das rein Künstlerische pflege ich daher nur zum Vergnügen [...].“'? Künstlerinnen wie Wieselthier, Zweybrück oder auch die schon 1929 in die USA ausgewanderte nichtjüdische Erika Giovanna Klien verstanden es, sich den Bedürfnissen des amerikanischen Kunstmarktes anzupassen und neue Arbeitsfelder, nicht selten auf dem Sektor der Kunstpädagogik, für sich zu entdecken. Vereine und Netzwerke Die Widerstände, die Frauen bei einer angestrebten Kunstausbildung hinnehmen mussten, fanden im Bereich des Vereins- und Ausstellungswesens ihre Fortsetzung. Nachdem die renommierten Künstlervereinigungen (Künstlergenossenschaft, Secession etc.) keine Frauen aufnahmen, ausgenommen vereinzelt als korrespondierende oder außerordentliche Mitglieder wie im Hagenbund, '° war es nur konsequent, dass sie sich selber in Künstlerinnenvereinen organisierten. Der erste bedeutende Zusammenschluss auf breiterer Basis, die „Vereinigung bildender Künstlerinnen Österreichs“ unter der Präsidentin Olga Brand-Krieghammer, erfolgte 1910. Taktisch klug war schon ihr erstes Auftreten in der Öffentlichkeit. Sie veranstalteten als Auftakt eine Retrospektive zum Ihema Die Kunst der Frau 1910/11 (Secession), die erstmals in der Kunstgeschichte einen repräsentativen internationalen Überblick über die Leistungen von Frauen vom Barock bis in die Gegenwart visualisierte. Das Konzept der Ausstellung sowie die intensiven Vorarbeiten in europäischen Museen und Sammlungen, also die Suche nach Kunstwerken von Frauen, lagen in den Händen der Präsidentin, die zu dem Zweck Frankreich und die Schweiz, und in jenen der Bildhauerinnen Ilse TwardowskiConrat und Lona Zamboni, die England, Belgien, Holland und Italien bereisten. Das Aufsehen war entsprechend groß, die Kritik 22 _ ZWISCHENWELT äußerst divergent; sie reichte von chauvinistisch, wohlwollend herablassend bis begeistert.'” Da in dieser Vereinigung viele jüdische Künstlerinnen vertreten waren, war es nicht weiter erstaunlich, dass infolgedessen der Zusammenhang von Kunst, Geschlecht und Religion thematisiert wurde. So fragte sich beispielsweise ein Kritiker angesichts der „feuilletonistischen Auswertung“ des „treizenden Programms der Ausstellung“, ob sie es überhaupt wert sei, sich auf eine „tiefgründige psychologische und ästhetische Untersuchung“ einzulassen, da dies zu einem „zweifelhaften Resultat“ führen würde. Er meinte dann, das absehbare Resultat überschlagend, dass es zuletzt wohl „noch größere Schwierigkeiten böte als die innerlich verwandten Fragen des Rasseproblems in der bildenden Kunst.“'® Das bedeutete nur, dass das Frausein, also das weibliche Künstlertum, doch als wesentlich größeres Problem erachtet wurde als etwa die ethnische oder konfessionelle Zugehörigkeit; doch waren die Fragen „verwandt“. An der Geschichte der Vereinigungen” interessiert hier primär die Frage, wie schr daran die Künstlerinnen jüdischer Herkunft präsent waren. Sie waren, vorweg genommen, sehr stark beteiligt und spielten vor allem in den vielen Abspaltungen eine bedeutende Rolle. Nach dem Krieg und der Ausrufung der Republik gab es innerhalb der Vereinigung ein erste Abspaltung engagierter, moderner und mehrheitlich jüdischer Künstlerinnen, die 1919 unter dem Namen „Freie Vereinigung“ zusammentraten; einige kooperierten auch mit anderen damals neu entstehenden Künsllergruppen, wie der 1918 gegründeten „Bewegung“ (ab 1919 „Freie Bewegung“), in denen Frauen gleichberechtigt agierten, darunter Katharina Zirner oder Frieda Salvendy, die neben Alfred Kubin, Johannes Itten, Carry Hauser oder Georg Ehrlich exponierten. Unter den kurzfristig existierenden experimentelleren Gruppierungen sei der „Bund der geistig Tätigen“ 1919 sowie eines ihrer Mitglieder, die Malerin Grete Wolf-Krakauer, hervorgehoben. Grete Wolf, die an der Kunstschule für Frauen und Mädchen und ab 1915/16 bei Itten und Adolf Hölzl in Wien und Stuttgart studierte, dürfte über ihre Lehrer den Weg zur Abstraktion gefunden haben, eine Phase, die bei Kritikern einiges Unbehagen verursachte. Fritz Tugendhat — der mit seiner Frau Grete als Auftraggeber der von Ludwig Mies van der Rohe errichteten Villa in Brünn (1929/30) und als künstlerischer Fotograf bekannt ist — erinnerte in einem Artikel über die Malerin in der jüdischen Zeitschrift Das Zelt (1925) an eben die Wiener Ausstellung von 1919: Ihre abstrakten Bilder seien ihm als „Darstellungen seltsamer Träume“ erschienen. „Eine Welt von farbigen Kristallen türmte sich da in- und gegeneinander. Gebilde einer mystischen Geometrie, durchzuckt von fremdartig zackigen Lichtstrahlen [...]“.° Im selben Jahr verfasste Else Hofmann in der zionistischen Wiener Kulturzeitschrift Menorah einen inhaltlich ähnlich lautenden Artikel über Grete Wolf-Krakauer. Ihrer Meinung nach verdankten sich die Bilder der einstigen „Konstruktivistin“ der „Chaosstimmung“ von 1918/19, die eben einer „letztüberwundenen Epoche“ angehörten. Bemerkenswert ist die Distanz, ja die Ablehnung der abstrakten Kunst, die, sieht man von Erika Giovanna Klien und dem Kinetismus ab, im Nachkriegsösterreich nur eine Randerscheinung war. Die oben zitierten Konflikte innerhalb der „Vereinigung bildender Künstlerinnen“ führten zu einer Abspaltung der engagierten Künstlerinnen, die sich 1926 unter dem Namen „Wiener Frauenkunst“ unter der Präsidentin Fanny Harlfinger vereinten, darunter auffallend viele Künstlerinnen jüdischer Herkunft, ?! eine Gruppierung, die „an Modernität der Gesinnung nichts zu