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auch klar ablesen: Wittlin hat trotz persönlich erlittener Verluste und großer finanzieller Schwierigkeiten (wobei sicher die Flucht 1937 am gravierendsten zu werten ist) eine grundsätzlich positive Lebenshaltung bewahrt, gekennzeichnet von Mut, sozialem Engagement und demokratischer Einstellung.'” Wittlin erlebte Schul- und Studienzeiten in Wien, erste berufliche Erfolge im Europa der Zwischenkriegszeit, Exil und Nachkriegsjahre in England, den Neubeginn und weitere 50 Jahre ab 1952 in den USA. Mit wiederholten Brüchen in Lebensumständen und Karriere gleicht ihre Geschichte in mancher Hinsicht der vieler jüdischer Intellektueller, die vom Nazi-Terror aus Österreich und Europa vertrieben wurden. Bedingt durch unfreiwillige und mehrfache Ortsveränderungen, durch die verschiedenen beruflichen Tätigkeiten in und zwischen mehreren Disziplinen und ohne primär kommerzielle Zielsetzungen, geriet Wittlin auch wiederholt in hinderliche Situationen. All dies, sowie der wiederholte Sprachwechsel boten nicht die besten Voraussetzungen, weder für eine wissenschaftliche Tätigkeit, noch für Eigenständigkeit oder Selbstbestimmtheit. Wittlins Studium der Kunstgeschichte und ihre ersten beruflichen Erfahrungen im Kunstmuseum’ schienen nicht dazu angetan, sich primär mit Kriegsgeschehen auseinanderzusetzen oder - sozusagen im Gegenzug — mit Plänen für demokratische Erziehung und Museen als Bildungseinrichtungen, geschweige, sich öffentlich dazu zu äußern. In den 1930er Jahren, im damals für hervorragende soziale, wissenschaftliche und künstlerische Leistungen berühmten Wien, bewegte sich Wittlin aber in fortschrittlichen und sozial engagierten Kreisen, die vielfach Gelegenheit für Information und eingehende Diskussion solcher Fragen boten (neben der Schwarzwald-Schule, waren dies u.a. die International Federation of Business and Professional Women, der Verband der Akademikerinnen, die Wiener Volkshochschule - bekanntlich ein zentrales bildungspolitisches Instrument im Roten Wien). So kam Wittlin wiederholt mit einflussreichen Intellektuellen und WissenschaftlerInnen in Kontakt, die an der Gestaltung einer demokratischen Gesellschaft interessiert waren. In Großbritannien, noch vor dem Zweiten Weltkrieg, waren dies (u. a.) George P. Gooch (1873-1968; einflussreicher Historiker, Politiker und Kulturjournalist, seit 1911 leitender Redakteur der Contemporary Review)“, Hermon Ould (1885- 1951), dann auch Mary Ritter Beard (1876-1958), Ida Smedley MacLean (1877-1944), später Frederic C. Bartlett (1886-1969; der Experimentalpsychologe, der ihre zweite Dissertation in Cambridge betreute), Winifred Cullis (1875-1956), oder Karl Mannheim (1893-1947). In den 1940er Jahren war Wittlin bezüglich des Buchprojektes in Mannheims Routledge Reihe” auch mit Herbert Read (1893-1968) in Kontakt'®, und kurz mit Otto Neurath (1882—1945)'”, dem österreichischen Philosophen, Ökonomen, Museologen, dessen Arbeit der 1920er und 1930er Jahre in Wien sie kannte.'? Später, in den USA, wo sie beachtliche Wertschätzung erfuhr", konnte Wittlin zeitweise an einschlägigen Pionier-Projekten mitarbeiten, u.a. als Erziehungswissenschaftlerin an der Harvard Graduate School of Education, Boston MA, und als Museumskonsulentin an der Smithsonian Institution, Washington DC.” In einem Interview, das die etwa sechzigjährige Alma Wittlin 1961 in ihrer dritten Heimat, den USA, gab, wurde sie nach Erinnerungen und lebenswichtigen Erfahrungen gefragt.?' Sie erwähnte unter anderem, wie beeindruckt sie als Kind von der Haltung ihres Vaters war, eines jüdischen Großgrundbesitzers im damaligen k.k. Kronland Galizien, der seine Arbeiter — von Tolstois Ideen begeistert — fast ‚auf Augenhöhe‘ behandelte. Sie berichtete vom Mitleid mit entwurzelten polnischen Flüchtlingen (vermutlich galizischen Juden) zur Zeit des Ersten Weltkrieges”, denen sie als Teenager in Wien Sprachunterricht erteilte, und von der Schulzeit bei der progressiven, vielseitig engagierten und überzeugenden Eugenie Schwarzwald (1872-1940), die ihr bei der Überwindung der familiären Beschränkungen - traditionelles Frauenbild und Passivität — geholfen habe. Sie sprach von dem Schock, den sie als junge Kunsthistorikerin im Berliner Kaiser Friedrich Museum erlebte, als sie sah, welch befähigende und wirkmächtige Lernumgebungen Museen auch für Laien darstellen, sobald ein relevanter Zugang zu den sonst ‚stummen‘ und befremdlichen Objektsammlungen geschaffen war. Sie berichtete des Weiteren von beeindruckenden Erlebnissen in Spanien, wo sie in den frühen 1930er Jahren im Zuge eines Alphabetisierungsprogramms mit Wanderausstellungen teilnehmen durfte. Erst auf die explizite Nachfrage der Interviewleitung zu ihren Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg, bemerkte Wittlin (zudem cher etwas abweisend und unpersönlich), dass die Zerstörung der Kultur und des Zusammenhalts einer großen Gemeinschaft eine unermesslich schlimme Erfahrung sei, selbst wenn nicht alle Familienmitglieder umgekommen seien. Die Umstände ihrer Emigration nach England, der Verlust von Freunden, oder von Hab und Gut und der Wohnung bei den Bombenangriffen auf London, Mitte September 1940, kamen dabei nicht zur Sprache.” A.S. Wittlin — Engagierte Schriftstellerin und Journalistin Schon in ihrer ersten Karriere als Journalistin und Schriftstellerin noch im deutschsprachigen Raum und später wiederholt, hatte Wittlin sich u.a. mit Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen befasst, und dabei auf die Zusammenhänge von Kunstraub, Machtpolitik und Korruption und elitärem Kunstbesitz hingewiesen.” Sie war überzeugt, solch zerstörerischen Entwicklungen und aggressivem Verhalten sei längerfristig nur unter Zuhilfenahme politischkulturell auf Demokratie ausgerichteter Bildungsarbeit und mit öffentlichem Kultur- und Kunstdiskurs wirksam zu begegnen, wobei sie Museen und Ausstellungen wichtige Rollen zuschrieb. Wittlin vertraute darauf, dass allmählich, wenn auch nur in winzigen Schritten, Veränderungen erreicht werden könnten und damit eine bessere/vernünftigere Zukunft für die Menschheit.” Im hier folgenden Abschnitt versuche ich, anhand von Wittlins Schriften — vor allem aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs — die Hintergründe und Entwicklung ihrer Argumentation für demokratische kulturelle Teilhabe, Aufklärung und institutionelle Verantwortlichkeit aufzuzeigen. Einige für diesen Blickwinkel relevante Archivalien und Publikationen aus den Jahren 1936 bis 1946” werden vorgestellt. Alma Wittlin, die umsichtige und genaue Beobachterin, wusste über die Komplexität und Muster gesellschaftlicher Entwicklungen Bescheid. Dieses Wissen um gegenseitige Abhängigkeiten von Strukturen, medialer Kommunikation einer Gesellschaft und individuellen Handlungen zeigte sich sowohl in ihren Schriften und in der Museumsarbeit als auch in ihren Reaktionen auf und in ihrer Vorsicht in Bezug auf öffentliche Meinung. Im Jahr 1963 schrieb sie: Juni 2017 29