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Any attempt at a judicious and constructive evaluation of criticisms and of their causes must begin with an analysis in which each symptom of a complex syndrome would appear in isolation, with the help of which the hierarchy of the symptoms and their possible relations to each other could be better understood. [...] Both the teacher and his habitat require examination: the school, the society, and the legacies of the past which live on in the minds of men.”’ Die vorliegenden, recht unterschiedlichen Arbeiten aus rund 40 Jahren geben Einblick in ihr Denken, das stets auf den größeren Zusammenhang und die gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen für Krieg und Frieden verweist. Wie erwähnt war Wittlin zunächst als Journalistin in Erscheinung getreten — dies unter ihrem Ehenamen A.S. Frischauer — mit sieben kurzen Berichten zum aktuellen Kunst-Auktionsgeschehen 1928 in der Wiener Tageszeitung Die Stunde und dann 1930 mit der Übersetzung eines Romans aus dem Englischen”? und der Drucklegung ihrer überarbeiteten Dissertation.”? Schon diese Arbeiten lassen vermuten, dass Wittlin, deren Familie im Krieg in Galizien große finanzielle Verluste erlitten hatte, sich über den Zusammenhang von raschem Auf- und Ab am Kunstmarkt, von wechselndem Kunstbesitz und transnationalem Geflecht der Machtbezüge keine Illusionen gemacht haben dürfte.”” Neben dem Engagement für ihren Mann — Wittlin betreute seine Finanzen und weitläufigen Verlegerkontakte - folgten ihre zahlreichen kurzen Artikel in Kunstzeitschriften und journalistische Tätigkeit für zwei Schweizer Wochenzeitschriften.*! Im Frühjahr 1933 lösten die NS-Bücherverbrennungen und Verfolgungen ‚missliebiger‘ SchriftstellerInnen in Deutschland heftige Diskussionen beim Kongress des Internationalen PE.N. in Ragusa/Dubrovnik aus, besonders in den deutschsprachigen Delegationen. Einige Mitglieder des Österreichischen PE.N.-Clubs formulierten in der Folge eine gegen die „geistige Unterdrückung“ in Deutschland gerichtete Resolution, die von der Generalversammlung des österreichischen PE.N.-Zentrums angenommen’? und von 25 Mitgliedern, u. a. von Alma Wittlin Frischauer, unterzeichnet wurde.” Neben dieser Protestkundgebung, mit der Wittlin für freie Meinungsäußerung und Demokratie eintrat, gibt es sowohl weitere Zeugnisse für ihr Engagement gegen die NS-Politik, deren Expansions- und Kriegshandlungen““, als auch solche, die ihre Überlegungen zum Themenfeld längerfristig angelegter demokratie-politischer Bildung und Erziehung darlegen und in diesem Zusammenhang auch ihre Arbeiten zu Museum und Gesellschaft. In zwei historischen Biografien, die eine das 1936 erschienene Buch über die spanische Königin Isabella (1451 — 1504)”, die andere iiber Abdul Hamid II. (1842 — 1918), den letzten (,Roten‘, nämlich blutigen) Sultan®, behandelte Wittlin Mechanismen individueller und kollektiver Machtpolitik in Zeiten entscheidenden sozialen und kulturellen Wandels. Wittlin bettete Isabellas Leben in die historischen Entwicklungen, die zum proto-nationalen Staat des heutigen Spanien führten, wobei sie den Fokus auf die Ambitionen des machtprotzenden Adels an der Zeitenwende von Mittelalter zur Renaissance legte. Die katholische Königin wird in ihrer Kriegsführung gegen die Mauren, in der Verfolgung der Juden, der Erfindung des ‚Sündenbocks‘, der für alles herhalten musste, gezeigt, in Zeiten von Unglück und sozialer Unruhe, der Ablasspolitik, der Entdeckung der Neuen Welt, der Kreuzzüge, der Sauberungsaktionen und Inquisition (S. 320 ff; S. 348). 30 ZWISCHENWELT Im Jahr 1936, d.h. in unruhigen Zeiten in vielen europäischen Ländern und Bürgerkrieg in Spanien, lieferte Wittlin eine eindrucksvolle und sorgfältig recherchierte Beschreibung der historischen politischen Auseinandersetzungen und Kulturkämpfe auf der Iberischen Halbinsel. Wie im Buch iiber Abdul Hamid — vermutlich auch in diesen Jahren begonnen - bot Isabella interessante Themenschwerpunkte, die von der Autorin mit Sachwissen und Eloquenz behandelt wurden, und Gelegenheit gaben, sich mit der Rolle außergewöhnlicher und mächtiger Individuen innerhalb größerer gesellschaftlicher Veränderungen auseinanderzusetzen. Aufgrund des zunehmenden politischen und ökonomischen Drucks emigrierte Wittlin im November 1937, im Alter von 38 Jahren, von Wien nach England. Sie hielt sich dort zumeist in London auf (von 1941 bis 1946 war sie in Cambridge), scheint aber, mit Ausnahme einer Mitgliedschaft beim österreichischen (Exil)PE.N.-Club” in keiner der vielfältig aktiven, kulturell und/oder politisch engagierten Exilorganisationen auf.”® Die Verbindung zum PE.N.-Club, zur Londoner Sektion, deren Mitglied Wittlin vermutlich im Jahr 1939 wurde’, wie auch die Bekanntschaft mit Hermon Ould, dem Kriegsdienstverweigerer, Quäker und Generalsekretär des Internationalen PE.N., hatte jedoch schon längere Zeit bestanden. So wie andere berufsmäßig schreibende EmigrantInnen/ExilantInnen, hatte auch Alma Wittlin in den Jahren ihres unfreiwilligen Aufenthalts in Großbritannien (bis März 1952)“ in unterschiedlichen Medien und Zusammenhängen auf das aktuelle Weltgeschehen Bezug genommen. Einerseits geschah dies fallweise in ihrer privaten Korrespondenz“', andererseits hat sie sich in den 1940er Jahren in Publikationen, Zeitungen und Zeitschriften zu den Ihemen Kriegs- und Friedensbedingungen geäußert. In diesen Jahren galt ihr Hauptinteresse aber Museen und Ausstellungsarbeiten als gesellschaftlichen, dem sozialen und politischen Frieden besonders förderlichen und wirksamen Bildungseinrichtungen.* Aus der Zeit nach ihrer Weiteremigration in die USA — wohin sie 1952 in der Hoffnung aufdemokratische Verhältnisse und Arbeit gegangen war - liegen keine Schriften Wittlins zur Kriegsthematik vor, wohl aber zahlreiche Veröffentlichungen zu demokratiepolitisch begründeten museums- und erziehungswissenschaftlichen Überlegungen. * In Wittlins Korrespondenz mit Ould finden sich ihre persönlichsten Anmerkungen zu aktuellen weltpolitischen Ereignissen. Einige Briefstellen bezichen sich direkt auf kriegsbedingte Notsituationen, auf mögliche Hilfs- und Aufbaumaßnahmen und pädagogische Erfordernisse: So fragt Wittlin im Dezember 1938 bei Ould an, ob nicht die Hilfe des PE.N. für die Unterbringung von Flüchtlingskindern, die mit den Kindertransporten nach England gekommen waren, zu erreichen wäre. Wittlin spricht sich für professionell geleitete Heime aus. Ihrer Meinung nach wären solche für die Kinder und Jugendlichen besser geeignet als die (im Vergleich) nicht so leicht einzuschätzenden humanitär-pädagogischen Gegebenheiten bei privaten Aufnahmen in Familien.“ Zwei Zeitungs-Reportagen zum Kriegsgeschehen aus dem Jahr 1941 dokumentieren Wittlins journalistische PropagandaTätigkeit für das Ministry of Information (Mol) und werden im Folgenden kurz besprochen. Es muss jedoch vorausgeschickt werden, dass Wittlin über diese Arbeit beim Mol, die ihren Alltag in den ersten Kriegsjahren vermutlich sehr erleichterte®, entschieden unglücklich war.“ Dies lädt wiederum zu Spekulationen ein, ob diese Ablehnung/Skepsis eventuell ihren eigenen Kriegserlebnissen, dem Wissen um Informationsmanko oder einer allgemeinen