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Armin Eidherr Einige Worte zu Jossel Bergner Jossel (Yosl) Bergner war der letzte durch und durch jiddische bildende Künstler. Ich hatte das Glück, ihn — da ich einige Werke seines Vaters Melech Rawitsch übersetzt habe und wir uns über diese Schiene in den frühen 1990er Jahren kennengelernt haben - über ein Vierteljahrhundert hin zum oft geschenen Freund gehabt zu haben. Jetzt, nachdem er am 18. Jänner dieses Jahres sechsundneunzigjährig verstorben ist, möchte ich nur sagen, dass diese Freundschaft zu den bereicherndsten meines Lebens zu zählen ist, eines Lebens, das an Freundschaften nicht allzu reich ist, was ich nicht bedauernd meine, da es eben wirkliche Freundschaften kennt, aber eben mit einem heute sicher überkommenen Freundschaftsbegriff zu tun hat, der dem des ‚Face-Book-Friend‘, gelinde gesagt, sehr unähnlich ist. Ich verdanke ihm nicht nur viele (vor allem jiddische) Bücher, die er mir geschenkt hat und die mir auch für meine jiddistische Arbeit bald unverzichtbar wurden, und wunderbare Bilder, sondern auch viel Zeit, die er mir geschenkt hat und die erfüllt war mit zahlreichen stundenlangen Gesprächen, die mir enorme Bereiche der jiddischen Kultur verlebendigten und — was mir das Unbezahlbarste ist — meinen Sinn für den lebendigen, idiomatischen Gebrauch des Jiddischen sehr schärften. Viele Erinnerungen habe ich an diesen großen jiddische Maler, an diesen Sohn von Melech Rawitschs, dem großen jiddischen Dichter. Vielleicht schreibe ich sie einmal nieder. Zu diesem Anlass möchte ich aber lieber andere zu Wort kommen lassen, zwei Dichter, die ihm nahe standen und in deren Gedichten er weiterlebt: 1953 schrieb sein Vater in Israel sein Gedicht „dialog in a jidischer dichter-schtub in amerike“ („Dialog im Haus eines jiddischen Dichters in Amerika“)', in dem er seinen nach der Zukunft der Dichtungen des Vaters fragenden Sohn folgendermaßen vertröstet: So, mein jüdisches Kind, ist es immer gewesen. Das jiddische Gedicht hat im Hier und Heute kein Glück — Vom Morgen singt es und im Morgen lebt es, Und im Heute ists Phantasie und papierene Brück‘ Und wundersam ists, dass eben du auch, mein Kind, du, Dem heute mein Morgen so am Herzen gelegen ist, dass eben du meine Lieder wirst singen, Wenn du in jenem Morgen bist. Und, behüt’ Gott!, solltest du selbst nicht sein in jenem Morgen, Dann wird dein Kind sein oder schon dessen Kind — Und deswegen sitze ich einstweilen ruhig in der Wüste Und pflege Freundschaft mit den Wolken und ihrem Hirten — dem Wind. Das angesprochene Kind, eben der zur Zeit der Niederschrift des Gedichtes schon in Tel Aviv lebende Maler Jossel Bergner, wurzelte selbst in seiner Malerei tief in der jiddischen Tradition, deren Kenntnis allein ein richtiges Verständnis vieler seiner Bilder ermöglicht. Für Bergners einzige Tochter ist das Jiddische des Vaters und Großvaters aber nicht mehr zugänglich. Sie lebt in Israel, wo sich erfolgreich die hebräische Sprache durchgesetzt hat. Menschen, wie Jossel Bergner erscheinen dort wie Wesen aus einer anderen Welt, wie eine „Legende“ — als welche er in einem Gedicht des 2010 verstorbenen jiddischen Dichters Abraham Sutzkevers vorkommt: Juni 2017 35