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Emad Al-Dayaa Emad Al-Dayaa, geboren 1947 in Tartus, Syrien, studierte in Damaskus Medizin. Chirurgische Ausbildung ab 1978 in Deutschland, wo er auch heute lebt. Anlass der folgenden Rede war ein Treffen von ehrenamtlichen HelferInnen mit Flüchtlingen im Oktober 2015 in Kehl (Baden-Württemberg). Emad Al-Dayaa ist der Vater der Autorin Afamia Al-Dayaa (siehe u.a. ZW Nr. 4/2016). Stellen Sie sich vor, Sie wären in Syrien und es gibt keinen Krieg. In der Küstenstadt Tartus besichtigen Sie die mächtige Burganlage der Tempelritter und die Kathedrale Nötre Dame de Tartus. Wir Orthodoxen nennen sie „Kanissat AlHajjeh Katharina“, die Kirche der Heiligen Katharina. Am Abend ruhen Sie sich am feinen Sandstrand aus und verfolgen fasziniert den bezaubernden Sonnenuntergang und den prächtigen Farbwechsel der malerischen Häusersilhouette auf der kleinen Insel Arouad vier Kilometer vor der Küste. Sie reisen weiter nach Damaskus, machen einen Einkaufsbummel im überdachten antiken Basar Suk AlHamidiya und eine Besichtigung der Umyyaden-Moschee mit dem Grab Johannes des Täufers. Die Muslime nennen ihn verehrungsvoll „Saiyedna Annabi Yahia Aleiyhe Salam“, unser Herr der Prophet Johannes, Friede sei mit ihm. An diesem milden Sommerabend gehen Sie noch die schmalen Gassen der Altstadt entlang und bewundern die schönen Holzschnitzereien der alten Häuserfassaden. Müde und durstig stehen Sie plötzlich vor einem Haus. Rechts der Tür lesen Sie „Kahwatt Assalam, Ahlan wa Sahlan“, Cafe des Friedens, herzlich Willkommen. Sie treten durch die offene Tür in einen großen Innenhof, in der Mitte ein Springbrunnen „Fiskiya“ aus Marmor, und Sie genießen das beruhigende Plätschern des Wassers. In den Blumenbeeten entlang der Wände wachsen Kletterpflanzen und die milde Abendbrise duftet herrlich nach Rosen und Jasmin. Auf einem erhöhten Podest „Mastaba“ sitzt der Erzähler „Hakawati“. Die Gäste, geschützt vor Straßenlärm und neugierigen Blicken unterhalten sich bei Kaffee und Tee, rauchen Wasserpfeife und lauschen den spannenden Märchen und Kurzgeschichten. Ja, das war einmal Syrien, als die Menschen verschiedener ethnischer und religiöser Zugehörigkeit in friedlicher Nachbarschaft lebten. Zu dieser Zeit machte sich ein junger Arzt auf dem Weg nach Deutschland, um sich in der Chirurgie ausbilden zu lassen. Diese Möglichkeit gab es damals in seiner Heimat nicht. Vor seiner Reise leistete er seinen Wehrpflicht und den Pflichtdienst als Landarzt ab, arbeitete einige Jahre und sparte für die ersten Monate in Deutschland etwas Geld. Sein Bruder bezahlte das Flugticket und ein in Deutschland lebender Freund und Kollege die Gebühr für den Sprachkurs am Goethe Institut in Göttingen. Schulden, die alsbald zu begleichen waren. Weitere Hilfen gab es nicht. Angekommen an einem Silvesterabend in Frankfurt suchte er sich im Bahnhof eine Zugverbindung nach Göttingen. Er war für die kalte Jahreszeit nicht warm genug angezogen und trug in einer Hand einen großen Koffer. Ihm war alles fremd, laut, turbulent und verwirrend. Auf die vor der Reise auswendiggelernte Frage, „wann fährt der Zug nach Göttingen ab“, bekam er am Informationsschalter eine Antwort, die er nicht verstand. In der Hektik der Silvesternacht war er völlig durcheinander und schämte sich, ein zweites Mal zu fragen. Sein unfreiwilliges zielloses hin und her Laufen dauerte lange und blieb nicht unbeobachtet. Seine Ratlosigkeit und das Zittern in der eisigen Kälte waren nicht zu übersehen. So kalt war ihm noch nie gewesen. Ein aufmerksamer Bahnangestellter kam schließlich auf ihn zu, warf einen Blick auf sein Bahnticket, führte ihn zum richtigen Gleis und erklärte in Zeichensprache die Ankunft- und Abfahrtzeit und das Ein- und Aussteigen. Im warmen Zugabteil war er der einzige Fahrgast. Erschöpft schlief er nach kurzer Zeit ein, verpasste in Göttingen auszusteigen und wachte erst in Hildesheim auf. Sein Freund holte ihn mit dem Auto ab, brachte ihn zu sich nach Braunlage und am nächsten Tag nach Göttingen. Der Sprachkurs dauerte knapp drei Monate und das Visum musste verlängert werden. Ein Theologiestudent an der Universität Göttingen begleitete ihn zum Rathaus und halfihm bei der Erledigung der notwendigen Formalitäten. Der Fremde wusste nun, dass er die deutsche Sprache so schnell wie möglich lernen musste, und lernte Tag und Nacht. Das Kursbuch und ein Wörterbuch waren seine ständigen Begleiter. Er hörte immer wieder Radiosendungen und merkte sich den Klang der Wörter und die Melodie der Sätze. Er saß oft vorm Fernseher und versuchte, die Lippenbewegung der Redakteure und Schauspieler nachzuahmen. Nach einigen Bewerbungen und Überwindung bürokratischer Hürden durch zusätzliche Flüge zur Deutschen Botschaft in Damaskus begann er im Sommer mit der Facharztausbildung mit dem Ziel, in sechs bis maximal acht Jahre in die Heimat zurückzukehren. Daraus wurde nichts, denn gleich zu Beginn der Ausbildung im schönen Harz lernte er die Partnerin fürs Leben kennen. Eine Fremde wie er. Sie sprachen miteinander Deutsch. Dann heirateten sie und bekamen zwei Kinder. Deutschland wurde zur Heimat und Deutsch zur Familiensprache. Die Erkenntnisse aus der Anfangszeit dieser Erzählung sind heute aktueller denn je. Ohne Sprachkenntnis ist man ständig auf fremde Hilfe angewiesen. Es gibt kein Fortkommen und keine Zukunft. Man lebt sozusagen am Rande der Gesellschaft. Die Integration scheitert und das Tor für extremistische fanatische Ideen ist breit offen. Das zu ändern ist unsere gesellschaftliche Aufgabe und Pflicht. Die Kinder lernen die Sprache spielend. Erwachsene müssen dagegen schr fleißig sein und intensiv lernen, selbst wenn sie eine passable Schulbildung mitbringen. Einen Sprachkurs zu besuchen ist ein erster Schritt. Das allein reicht aber nicht aus, wenn man anschließend kein Buch mehr aufmacht und nur noch seine Muttersprache hört und spricht. Der Bürgerkrieg und der Terror in Syrien werden wahrscheinlich noch so lange dauern, bis es kein Blut mehr zu vergießen gibt. Viele Menschen werden noch flüchten müssen. Ein Teil wird zurückkehren. Ein anderer Teil wird auf Dauer hier bleiben auf der Suche nach Schutz, Sicherheit, Hoffnung und Zukunft für sich und seine Familie. All das bekommen sie, und wir helfen sehr gern. Nicht weil es uns gut geht, sondern aus Menschlichkeit, Barmherzigkeit und christlicher Nächstenliebe und weil wir aus der eigenen Geschichte genau wissen, was Vertreibung und Flucht bedeuten. Wir hoffen, dass die Hilfesuchenden sowohl im eigenen Juni 2017 37