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Im Jahr 2007 war Hedy bereits 82 Jahre alt. Ihre Gastfreundschaft genauso wie die tausenden Bücher und Akten, die sich überall stapelten, ihre umfangreiche Bibliothek, die sich über alle Zimmer erstreckte - sowie der andauernde Dialog mit Menschen aus der ganzen Welt machten die besondere Atmosphäre dieser „Weltfabrik“ aus, ein Erinnerungslabor von Überlebenden, die Geschichte und Kultur von Czernowitz. Israel ist zeitlebens Hedys Land der Zuflucht geblieben, nie wurde es zu ihrem Heimatland; so sprach sie nur gebrochen Hebräisch und betonte, dass sie es nie gelernt habe, weil sie erst so spät im Leben nach Israel ausreisen durfte. Mit Freunden und Familie kommunizierte sie auf Rumänisch, Russisch, Deutsch oder Englisch, das sie schlecht sprach, obwohl ihr älterer Sohn Michael in den USA lebt und sie zahlreiche Studienreisen dorthin unternahm. Durch Hedys lernten wir weitere ehemalige CzernowitzerInnen kennen, so Sidi Gross aus Tel Aviv oder die letzte Geliebte Paul Celans, die Dichterin Ilana Shmueli. Hedys Anliegen war es, dass wir so viel sahen, hérten und erlebten vom Land, von ihrer Geschichte, ihrer Arbeit und ihrem Umfeld, wie es eine kurze Woche zuließ. Nicht etwa, dass sie spürte, ihr bliebe vielleicht zum Leben nicht mehr so viel Zeit, sie wirkte stets optimistisch und jugendlich, sondern weil so vieles nicht gesagt, mitgeteilt, diskutiert worden war... Sie hatte ein sonniges Gemüt, trug immer ein Lachen auf den Lippen, war stets zu Späßen aufgelegt - ihr deutscher Wortschatz war reich gespickt mit Zitaten und Aphorismen aus der Weltliteratur. Diese erste Israelreise — auf die weitere folgen sollten - führte uns auch nach Tel Aviv, wo wir den Friedensaktivisten Uri Avnery besuchten und ich Künstlerkontakte aufnahm, sowie nach Jerusalem, wo Peter Kreisky Verwandte aus der Linie seiner Mutter Vera Fürth, die von Stockholm nach Israel eingewandert waren, treffen wollte. Schmunzelnd denke ich zurück an die erste Nacht in Maale Adummim, wo seine Verwandten wohnten, jenem sogenannten Vorort, der sich recht bald als Wohnblock im besetzten Gebiet herausstellte, so dass sich Ari Rath, der rasende Journalist und Ex-Chefredakteur der Jerusalem Post, beinah geweigert hätte, uns tags darauf von dort abzuholen. Ari Rath verstarb am 13. Januar 2017, knapp zwei Wochen vor Hedwig Brenner, im 92. Lebensjahr in Wien. Vom Balkon der großzügigen Wohnung mit allen Annehmlichkeiten eines amerikanisierten Lebensstils konnte man weit hinaus in die Wüste Judäas schen, in einiger Entfernung die schäbigen Baracken von Nomaden... Als Zeichen besonderer Wertschätzung hatte Peters Cousin Arie Fürth uns im Bunker-Zimmer untergebracht, das mir Angst und Schrecken einjagte und wo ich nachts nur mit Mühe die Türen öffnen konnte... Tags darauf fuhren wir mit Ari Rath in einer abenteuerlichen Autofahrt, bei der wir illegal die Grenze — der „Schutzwall“ zum Westjordanland wies damals einige Lücken auf — überquerten, um einer Essenseinladung von Aris palästinensischen Freunden und Journalisten Folge zu leisten. Zwischen 2007 und 2011 reiste ich jedes Jahr nach Israel, manchmal mehrfach. Ich besuchte Iheater- und Tanzfestivals und schloss wichtige künstlerische Freundschaften. Ich hielt Konferenzvorträge und brachte im Winter 2011 meine Theaterproduktion „Unruhige Zeiten“ nach Briefen von Ingeborg Bachmann und Paul Celan nach Tel Aviv und Haifa. Ich fühlte mich privilegiert, dass Hedy unsere Aufführung an der Haifa University schen konnte, ein Friedensprojekt, das wir in deutscher und hebräischer Sprache zeigten und an dem sowohl israelische als auch österreichische SchauspielerInnen teilnahmen. Hedys Haus war zu einem Teil meines Lebens geworden: Jedes Mal, wenn ich nach Israel reiste, kam ich auch nach Haifa, um Hedy aufzusuchen, über ihre neuen Projekte und Bücher zu hören, mich mit ihr auszutauschen. Ihr Haus war ein Teil von mir selbst geworden — und jedes Mal lernte ich mehr von ihr, über Israel, Czernowitz und die verlorene Kultur einer ganzen Region, die einst zu Österreich gehörte. Ich fühlte gewissermaßen, dass es auch ein Stück meiner Kultur war- und Hedy und ich gehörten auf seltsame Weise zusammen, nicht bloß weil wir denselben Nachnamen trugen. Es war, als wenn wir aus verschiedenen Kulturen stammten, die Jahrhunderte trennten, aber wir schafften es im Gespräch, die Kluft zu überwinden. Hedys Haus war ein Refugium, viel mehr als eine gewöhnliche Wohnung - es war ein Symbol des Landes, für Exil, für die Erfahrung der Ausgrenzung und des Widerstands. Obwohl der Fokus auf die Vergangenheit dominierte, erlaubte uns Hedy auch einen Blick auf das heutige Israel, die Spannungen zwischen Juden und Arabern, die präsente Trauer um den Tod des Friedenspräsidenten Jitzchak Rabin und den in eine Sackgasse geratenen Friedensprozess. Am 23.12.2010 stand ich neben Hedy in ihrer Wohnung, als sie und Peter, der in Mallorca weilte, zum letzten Mal miteinander am Telefon sprachen, sich gegenseitig Frohe Weihnachten wünschten und Hedy mit den Worten schloss: „Wir sehen uns nächsten Frühling in Wien!“ Dazu ist es nicht mehr gekommen... Jedoch bemühte sich Hedy, dass mein Nachruf auf Peter Kreisky in den Jerusalem Nachrichten erschien. 2015 publizierte Hedwig Brenner ihr Erinnerungsbuch mit schr persönlichen Einträgen, das den Titel „Begegnungen mit Menschen und Städten 1919-2014“ trug und in welches sie ein Kapitel über unsere Begegnungen zwischen Haifa und Wien mit einschloss. Im Rückblick betrachtet war Hedwig Brenner eine perfekte Geschichtenerzählerin und Lehrende! Die weise alte Dame aus der Silver Street machte Mut zum Leben, sie hatte einen unfehlbaren Witz und einen unschlagbaren Optimismus, sie war von großer Herzensbildung, stets freundlich und hilfsbereit und hatte eine unbändige Lust zu leben, zu wissen, sich zu verändern. Sie war ein Beispiel für ein gelungenes Leben - jenseits der Sechzig begann sie zu schreiben, ihr Fokus war neben den Erinnerungen aus dunkler Zeit die Zukunft, als Brückenbauerin war ihr Ziel, Menschen zusammenzubringen, den Kampf für das Leben nie aufzugeben, sich einzusetzen für Frieden, Toleranz und Demokratie. Das schwere Lebensschicksal — Diskriminierung und Verfolgung als Jüdin, Ghetto, Neuanfang, Todeserfahrung von Angehörigen — hatte sie gebeutelt, aber nicht zerstört, sie kannte keine Missgunst, Bitterkeit oder Rachegefühle. Für mich war Hedy meine wundervolle mütterliche Freundin aus Israel, die immer da war, wenn man sie brauchte, die ihr Haus und ihr Herz weit geöffnet hielt. Es bleibt die Erinnerung an eine Freundschaft, die begann, als ich an jenem Abend im Literaturhaus Wien zu ihr aufs Podium ging, um mich vorzustellen: von Brenner zu Brenner. Eva Brenner, geb. 1953 in Wien, ist seit 30 Jahren freie Theaterproduzentin in Wien und in den USA und leitet das Projekttheater „Fleischerei_mobil“ in Wien, das zuletzt eine Folge von Programmen nach Texten von Elfriede Gerst! mit dem Übertitel „nebeneinander abseits“ produzierte. Juni 2017 41