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Stella Rotenberg Das Gewissen der Welt Die Juden sind nicht beliebt. Sie haben sich unterfangen zu verlangen daß man das Morden lasse, den Feind nicht hasse — daß man nicht Übel rede in der Fehde — daß man den Nachbarn cehre, sein Hab nicht begehre — Alexander Emanuely, Konstantin Kaiser daß man sein Gesinde nicht schinde — daß man alles Leben pflege und seinen Nächsten hege. Sie sind nicht beliebt, die Juden... Aus: Stella Rotenberg: An den Quell. Gesammelte Gedichte. Hg. von Siglinde Bolbecher und Betarix Müller-Kampel. Wien: Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft 2003. Die Sozialutopie ging auf menschliches Glück, das Naturrecht auf menschliche Würde. Ernst Bloch In seinem großen Roman «Doktor Ascher und seine Väter» schildert der im englischen Exil verstorbene Stefan Pollatschek das Schicksal eines Wiener Rechtsanwaltes im Wien des Jahres 1938. Er ist einer von jenen 1.830 RechtsanwältInnen, die in dem zur Ostmark gewordenen Österreich als Juden verfolgt wurden, deren Kurzbiografien Barbara Sauer und Ilse Reiter-Zatloukal in dem Band «Advokaten 1938» dokumentiert haben (Wien 2010). Dr. Ascher sieht sich mit einem jähen Zusammenbruch all dessen, was er bisher für verbindliches Recht hielt, konfrontiert. Zwar hatte schon der «Standestaat» die im Staatsgrundgesetz von 1867 zugestandenen, in der Verfassung der Ersten Republik bloß rezipierten Bürgerrechte weitestgehend eingeschränkt; was aber nun geschicht, erscheint als reiner Terror und als Willkür, die sich auf eine fragwürdige Legalität wie die Durchführungsverordnungen zum Reichsbürgergesetz stützt. Wo die SA, SS und andere von Selbstermächtigung Trunkene das Regiment führen, ist nicht einmal mehr das zur Rechtlosigkeit von Jüdinnen und Juden und GegnerInnen des Nationalsozialismus verdünnte formale Recht im Spiel, und sei es nur beim Aufschreiben des «requirierten» jüdischen Eigentums. Der alte Zwiespalt von Legalität und Legitimität ist mit einem Schlag aufgelöst: Legitim ist, was das dem Führer zujubelnde deutsche Volk will; Richter haben das Gesetz in diesem Sinne zu deuten und zu biegen. Dies in erwa hatte der Philosoph Ernst Bloch vor Augen, als er der «reinen Rechtslehre» eines Hans Kelsen vorwarf, sie überlasse 54 ZWISCHENWELT die Rechtssetzung letztlich dezisionistischer Willkür; der demokratisch gewählte Souverän könne von einer Diktatur abgelöst werden, ohne dass ihr aus dem Rechtssystem ein Hemmnis erwachse. Dass es Dr. Ascher schließlich gelingt, dem zur Hölle pervertierten Wien und dem Polizeigefängnis zu entkommen, verdankt er glücklichen Zufällen, aber auch Menschen, die ihr Mitgefühl und ihren Gerechtigkeitssinn bewahrt haben, die ihm also moralischen, nicht durch geltendes Recht oder Unrecht ernötigten oder legitimierten Beistand leisten. Das Recht, das ihrem moralischen Gefühl vorschwebt, ist in rechtspositivistischer Sicht nicht judiziell durchsetzbares Recht. Was ist es dann? Ist es die Überzeugung, jedem Menschen seien «von Natur aus» Rechte angeboren, Naturrecht? Die Berufung auf dieses Naturrecht spielte die Jahrhunderte hindurch eine wesentliche Rolle für alle zivilen Widerstandsaktionen und -bewegungen, aus ihm wurde das Recht auf Widerstand gegen herrschendes Unrecht abgeleitet, ob es sich dabei um eine einzelne Willkürmaßnahme oder um ein ganzes System der Rechtlosigkeit für Teile der Bevölkerung handelte. Man könnte sagen: Die enge Verbindung von Traditionen des Widerstands mit dem Naturrechtsdenken bringt es mit sich, dass die Verweisung des Naturrechts in eine rechtsferne Sphäre bloß metaphysischen Vorstellens zugleich jeglichen Widerstand demotiviert. Die massenhaften Vertreibungen und Fluchtbewegungen, die in eine frühere Zeit zurückzubannen uns heute nicht mehr vergönnt ist, haben die moderne Fragestellung universeller, jedem Menschen angeborener Menschenrechte dramatisch aktualisisiert. Die Rechte der Exilierten, Staatenlosen, «Nicht-Zugehörigen» lassen