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Franz Rudolf Bienenfeld nicht nach Österreich zurückkehren wollte, war ihm schon 1942 klar, doch auch Otto Harpner blieb - trotz seiner Hoffnungen aufeine Erneuerung in Österreich - im Exil. Wie dieses für ihn und seine KollegInnen ausgeschen hat, erfährt man in seinem Brief an Hunna. Überhaupt gewinnt man dank der Unterlagen Otto Harpners einen detailreichen Einblick in Arbeit und Leben österreichischer JuristInnen im Exil. So wie Bienenfeld oder Harpner blieben fast alle vertriebenen österreichischen JuristInnen im Exil. Ihre Abwesenheit machte es möglich, dass sogenannte Minderbelastete in Österreich in der Justiz bald wieder tätig werden konnten. Welche Auswirkungen dies auf das Justizwesen der Zweiten Republik und dessen Tradition bis in die Gegenwart hatte, zeigt der Beitrag von Karl Pfeifer über seine Erfahrungen mit Justiz und FPÖ. In ZW 3/2017 werden Friedl Garscha über die Volksgerichte und Michael Prager über den umstrittenen Medienrichter Ernest Maurer berichten. Gewiß sind weltweit ungezählte JuristInnen damit beschäftigt, Geldwäscherei zu unterstützen, steuerschonende Maßnahmen zu ersinnen, die Stellung von Monopolisten zu sichern. Aber ebenso Bruno Frei Der Zaddik von Unter Sankt Veit Josef Popper-Lynkeus Manuskript eines 1970 gehaltenen Vortrags. Von einem vergessenen Großen wird hier gesprochen. Ein Wiener, der in Böhmen geboren wurde, ein Atheist, der seine Bibliothek der Hebräischen Universität in Jeruscholajim vermacht hat, ein Maschinenkonstrukteur, der ein Menschenkonstrukteur sein wollte, ein Erfinder, der eine gerechte Gesellschaftsordnung zu konstruieren suchte, wie man eine Lokomotive konstruiert, ein Sozialist, der die freie Wirtschaft bestehen ließ, ein Gelehrter ohne akademischen Grad, aber verehrt von Einstein und Freud, ein Realist und zugleich ein Phantast — das alles ist Josef PopperLynkeus. Einen weltlichen Zaddik hat ihn Oberrabbiner Dr. Chajes 1921 in seiner Grabrede genannt. Das ist ein gutes Wort: ein Gerechter, abseits der Religion. Fragt man in Wien einen gebildeten Menschen: wer war Josef Popper-Lynkeus? so wird ein verlegenes Lächeln die Antwort sein. Vergessen. Sein Denkmal im Rathauspark haben die Nazis zeıstört. Die Gemeinde Wien hat es nach der Befreiung wieder aufgestellt. „Sozialethiker“ steht neuerdings auf dem Sockel. Was ist das? Das ist z.B. der Prophet Jeschaja, der gepredigt hat: „Wehe denen, die ein Haus an das andere ziehen und einen Acker zum andern bringen, bis daß kein Raum mehr da sei, daß sie allein das Land besitzen.“ (5/8) Latifundien, sagt der Prophet, sind unmoralisch, eine Sünde. Wer das Land bebaut, soll es besitzen. Sozialethiker bekämpfen die ungerechte Gesellschaftsordnung, sie erstreben eine gerechtere. Im modernen Sprachgebrauch nennt man Denker, die aus ethischen Motiven eine Änderung der Gesellschaft herbeiführen wollen, Sozialethiker. Sofern sie Pläne für eine zukünftige Gesellschaft schmieden, die nicht durchführbar sind, nennt man sie Sozialutopisten. Josef Popper-Lynkeus war ein solcher, ein liebenswerter Sozialutopist. 56 ZWISCHENWELT setzen sich weltweit ungezahlte JuristInnen für politische Gefangene, gegen polizeiliche Übergriffe, rassistische Diskriminierung ein. Sie tun das oft unter Einsatz ihres Lebens und unter Gefahr für ihre eigene persönliche Freiheit. So auch die Menschenrechtsanwältin Serife Ceren Uysal, die sich Ende 2016 dafür entscheiden musste, aus der Türkei zu üchten und ins Exil zu gehen. Zwischen Otto Harpner und Serife Ceren Uysal liegt ein knappes Jahrhundert. Ihr Kampf fiir eine gerechtere Menschheit, ein würdevolles Dasein ist wohl jenem selben Bedürfnis entsprungen, welches Albert Einstein in «Mein Glaubensbekenntnis» beschreibt: Ich bin zwar im täglichen Leben ein typischer Einspänner, aber das Bewusstsein, der unsichtbaren Gemeinschaft derjenigen anzugehören, die nach Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit streben, hat das Gefühl der Vereinsamung nicht aufkommen lassen. Diese Worte sprach Albert Einstein 1932 auf Platte, in dem Jahr, da er Deutschland verließ. Der Verkaufserlös sollte der deutschen Liga für Menschenrechte zugute kommen. Verbreitet werden konnte die Schallplatte nur mehr in kleinster Auflage... Geboren 1838 in der Judengasse der nordböhmischen Stadt Kolin, empfing er in der Ghettoschule die ersten Kostproben des Wissens. Dem deutsch-böhmischen Judentum, bewegt von der Welle der Aufklärung, war religiöser Fanatismus so fremd wie ahasverische Unrast. Man war da seit Jahrhunderten — die zweitgrößte Judengemeinde des Landes — und lebte, innerhalb der überlieferten Abgrenzungen, nachbarlich und tätig. Mit seinen vier Geschwistern teilte Josef das Brot der Armut. Daß ein Bruder der Mutter, dem bedrängten Dasein entstiegen, jener Welt angehörte, wo Bücher Ansehen genießen und Geltung verleihen — Onkel Selig war Schriftsteller - mochte den Lebensweg des Heranwachsenden mitbestimmt haben. Das Sturmjahr 1848 hatte den böhmischen Juden die Emanzipation gebracht; dem Knaben öffneten sich die Tore des deutschen Polytechnikums in Prag. Mit Fleiß und Begabung stürzte er sich in das Studium; was ihn am meisten beschäftigte, war Flugtechnik. Die siegreiche Reaktion setzte dem Aufstieg des Judenjungen ein jähes Ende; die akademische Laufbahn war unerreichbar geworden. Eine untergeordnete Stellung bei der Eisenbahn diente dem Broterwerb des Ingenieurs. Vor dem geistigen Tod auf einem Frachtenbahnhof im Banat rettete er sich nach Wien. Süchtig nach Wissen, versaß er seine Zeit in den Bibliotheken und Hörsälen der Technischen Hochschule und der Universität. Seinen kargen Lebensunterhalt verdiente er sich als Hauslehrer. Dann machte er seine erste Erfindung: Er konstruierte Metalleinlagen, die den Zweck hatten, von Dampfkesseln die Explosionsgefahr abzuwenden. Als Reisender in technischen Neuheiten war er der Brotsorge enthoben. Ungestillt freilich blieb der Hunger nach Wissen. Im Alter von 24 Jahren, während einer Vorlesung über