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und kleinen Rechtsbrüche, deren Opfer wir jetzt alle Tage sind, aufrütteln zu dem Bewußtsein, daß jeder einzelne die sittliche und soziale Pflicht hat, unbekümmert um persönliche Nachteile und Beschwerlichkeiten [...] das Recht gegen nackte Willkür und Gewalt zu verteidigen“. Das waren keine leeren Worte: Hupka sollte sich in den folgenden Jahren konsequent an diese Maxime halten. Universitärer Antisemitismus und Hupkas ‚Terrorakt‘ Josef Hupka folgte 1915 Karl Samuel Grünhut als ordentlicher Professur für Handels- und Wechselrecht. Es war Hupkas Glück, dass diese Berufung noch vor dem Ende des Ersten Weltkriegs erfolgte, denn nach 1918 wäre dies wohl unmöglich gewesen. „Mit Ausrufung der Republik [wurde] der Antisemitismus zu einem allgegenwärtigen Phänomen an der Wiener Universität“, erinnert sich der renommierte deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Eric Voegelin, der nach dem Ersten Weltkrieg einige Jahre an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät studiert hatte.? Tatsächlich hat es in der gesamten Zwischenkriegszeit an dieser Fakultät keine weiteren Ernennungen von Juden zu ordentliche Professoren mehr gegeben. Die Universität Wien geriet bereits unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg immer stärker unter den Einfluss antisemitischer Interessenvertretungen. Diese waren im Falle der Studenten ofhziell als Deutsche Studentenschaft organisiert und missbrauchten den autonomen universitären Boden ständig für Provokationen, Randale und Übergriffe, bei denen es zwar keine Toten, aber jede Menge Verletzte unter jüdischen oder linken Studierenden gab. Im Falle der Professoren waren es mehr oder weniger geheime Vereine wie die Deutsche Gemeinschaft'° und der Deutsche Klub oder informelle Professoren-Cliquen wie die sogenannte Bärenhöhle!! oder der Kreis um Othmar Spann’, die an der Philosophischen und der Juridischen Fakultät bei den Personalentscheidungen die Fäden zogen. Auch wurde nach 1918 kein Rektor mehr gewählt, der jüdischer Herkunft gewesen wäre — ganz anders als vor dem Ersten Weltkrieg. Bei den Dekanen gab es in zwanzig Jahren und drei Fakultäten nur ganz wenige Ausnahmen von der antisemitischen Regel: An der Juridischen Fakultät waren dies Hans Kelsen und der ebenfalls längst konvertierte Josef Hupka, der im Herbst 1926 sein Amt antrat. Wer denkt, dass die nationalsozialistische Unterwanderung der Universität Wien im Jahr 1926 noch nicht so stark war, wird angesichts der Proteste rund um Hupkas Ernennung eines Schlechteren belehrt. Insbesondere die Deutsch-österreichische Tageszeitung (DOTZ), das Sprachrohr der Nationalsozialisten und damit auch der Deutschen Studentenschaft, hetzte in zahlreichen Artikeln im Herbst 1926 gegen den ‚jüdischen Dekan‘. Dessen Ernennung sei „eine schwere Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der deutschen Bevölkerung“.'? Um den Druck zu erhöhen, wurde noch zu anderen Formen der Provokation gegriffen. Die ‚Hakenkreuzler‘ missbrauchten die Anschlagkästen direkt an der Aula, um mittels rassistisch inszenierter Fotos von Juden die antisemitische Stimmung zu schüren. Dekan Hupka ließ sich das nicht bieten und protestierte bei Rektor Hans Molisch, einem prononcierten Deutschnationalen, gegen die Anschläge. „Ganz zufällig“ erfuhr die DÖTZ von Hupkas Protest, der im Untertitel eines Hetzartikels der Zeitung prompt als der „erste Terrorakt des jüdischen Dekans“ denunziert 64 ZWISCHENWELT wurde.'* Nach weiteren antisemitischen Provokationen im Text folgte noch die Ankündigung einer „Einspruchskundgebung gegen die Verjudung der Universität“. Doch diese Demonstration blieb erfolglos: Die Professoren der Juridischen Fakultät stellten sich einstimmig hinter Hupka. Das eigene Simmverhalten aufgrund des Drucks der Studenten in wenigen Wochen zu ändern, wäre wohl doch zu weit gegangen. Der verlorene Schlüssel des Otto Halpern Einer der Fälle, bei dem Hupka nicht ganz erfolglos intervenierte, war der des jungen theoretischen Physikers Otto Halpern, der 1925 um die Erteilung der Venia legendi ansuchte. Das oflizielle Habilitationsverfahren begann mit Verzögerung zwei Jahre später und entwickelte sich zu einem der skandalösesten der österreichischen Universitätsgeschichte. Da Halpern fachlich bestens qualifiziert war, mussten die Antisemiten ‚persönliche Gründe‘ für seine vorgebliche Nicht-Eignung erfinden. Die Begründung ‚jüdischer Herkunft‘ hätte freilich dem Gleichheitsgrundsatz widersprochen, also musste man anders argumentieren. Zunächst beanstandeten Halperns Gegner, deren Wortführer der Historiker und nachmalige NS-Präsident der Akademie der Wissenschaften Heinrich Srbik war, dass der junge Physiker sozial unverträglich sei. Da diese Argumentation nicht haltbar war, mussten die Antisemiten einen anderen Vorwand erfinden: Halpern habe als 21-jähriger Student den Institutsschlüssel verloren und sei deshalb ungeeignet. Im Akademischen Senat trat Josef Hupka in zwei Stellungnahmen für Halpern ein, und zwar jeweils gegen die Mehrheit des Gremiums sowie gegen seinen entschiedensten Widersacher, den Strafrechtler Wenzeslaus Gleispach, einem der prononciertesten NS-Unterstützer unter den Professoren der Universität Wien." Im Herbst 1928 gab es dann einen kleinen ‚Knalleffekt‘, der auch medialen Niederschlag fand: Der Verwaltungsgerichtshof, den Halpern mit seinem Rechtsanwalt anrief, gab seiner Beschwerde recht und sah — wohl auch wegen der Gegengutachten Hupkas — die Ablehnung der Universität als mangelhaft begründet an.'‘