Der Streit zwischen Otto Halpern, der Universität, dem Mi¬
nisterium und dem Verwaltungsgerichtshof ging daraufhin über
Jahre hin und her. Ende 1932 waren auch die zuständigen Rich¬
ter am Verwaltungsgerichtshof so weit korrumpiert, dass sie der
Universität recht gaben, ohne dass sich am Sachverhalt etwas
geändert hätte: Halpern sei wegen seiner Persönlichkeit zur Ha¬
bilitierung nicht geeignet, weil er den Institutsschlüssel verloren
habe. Vertreten wurde die Universität in der abschließenden
Verhandlung vom katholisch-deutschnationalen und jedenfalls
antisemitisch eingestellten Dekan Richard Meister. Der Altphi¬
lologe und Pädagoge sollte im Studienjahr 1949/50 Rektor der
Universität Wien und von 1951 bis 1963 Präsident der Akademie
der Wissenschaften sein.
Erfolgreicher Einspruch gegen die
rassistische Studentenordnung
Der Fall Halpern war nicht die einzige Kontroverse zwischen
Hupka und Wenzeslaus Gleispach, der für das Studienjahr 1929/30
zum Rektor gewählt wurde und eine neue Studentenordnung
ausarbeitete, die am 20. März 1930 vom Akademischen Senat der
Universität Wien beschlossen wurde. Die Verordnung bestand im
Wesentlichen darin, das sogenannte Volksbürgerprinzip als ent¬
scheidendes Kriterium für die Studentenschaft einzuführen: Die
ordentlichen Hörer der Universität Wien gleicher Abstammung
und Muttersprache sollten eine sogenannte ‚Studentennation'
bilden. Das war freilich nichts anderes als eine Art Einteilung
nach rassi(sti)schen Kriterien: Jüdischen oder konfessionslosen
Studierenden sollte auf diese Weise der Zugang zur Universität
Wien möglichst erschwert werden.!’
Die Veröffentlichung dieser Studentenordnung am 9. April
1930 führte sofort zu heftigen Diskussionen. Allein in den ersten
14 Tagen nach der Proklamation des Texts erschienen in den ös¬
terreichischen Tageszeitungen Dutzende von Artikeln. Der erste
Universitätsprofessor, der sich in dieser Angelegenheit zu Wort
meldete, war Josef Hupka. In einem umfangreichen Artikel in
der Neuen Freien Presse machte der Rechtswissenschaftler auf die
rassistischen Implikationen der Studentenordnung aufmerksam.
Zudem zerpflückte er ihre rechtlichen Grundlagen und kam zum
eindeutigen Schluss, „daß die Studentenordnung der verfassungs¬
mäßigen Grundlage ermangelt“.'?
Für Hupkas Stellungnahme gab es postwendend öffentliches
Lob von den Vertretern der Deutschdemokratischen Hochschü¬
lervereinigung, die nichts mit der Deutschen Studentenschaft zu
tun hatte und sich dezidiert gegen diese stellte. Sie schrieben tags
darauf in der Neuen Freien Presse: „Es war uns allen eine große
Freude und Genugtuung, daß sich endlich ein Hochschullehrer
— bis heute der einzige — gefunden hat, der es wagt, öffentlich zu
der vielerörterten Frage des Studentenrechtes den demokratischen
Standpunkt zu verteidigen. Genehmigen Sie, hochverehrter Herr
Professor, den Ausdruck unserer unwandelbaren Hochachtung
und Verehrung.“'’ In den nächsten Wochen wurde die Verfas¬
sungsmäßigkeit der Gleispach'schen Studentenordnung erfolgreich
angefochten. Die Argumentation des Antrags stützte sich stellen¬
weise wörtlich auf den Text Hupkas in der Neuen Freien Presse.”
Engagement in der österreichischen Dreyfus-Affäre
Am öffentlichkeitswirksamsten war Josef Hupkas Engagement
im Fall Halsmann, einem der größten Justizirrtümer der Ersten
Republik, der als die ‚österreichische Dreyfus-Affäre‘ auch weit
über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen sorgte.”' Der aus Riga
stammende Student Philipp Halsmann, der später als Fotograf
weltberühmt werden sollte”, hatte im September 1928 wah¬
rend eines Aufenthalts in Tirol mit seinem Vater Morduch Max
Halsmann, einem jiidischen Zahnarzt, eine Wanderung in den
Zillertaler Alpen unternommen. Der Vater kam dabei unter bis
heute nicht restlos geklärten Umständen ums Leben. Die Indizien
sprachen eindeutig für einen gewaltsamen Tod, vermutlich wurde
er Opfer eines Raubmords. Es gab jedenfalls keinen einzigen
konkreten Hinweis, dass der 22-jährige Sohn, der sich während
der Wanderung von seinem Vater getrennt hatte, schuldig war.
Trotz Philipp Halsmanns Unschuldsbeteuerungen und unge¬
achtet fehlender Tatmotive wurde er verhaftet und ab dem 13.
Dezember vor ein Innsbrucker Geschworenengericht gestellt.
Zahlreiche Journalisten und Juristen fanden sich ebenso unter
den Beobachtern wie Psychologen und Psychiater. Josef Hupka
war ebenfalls in Innsbruck und gehörte vermutlich zum Team von
Halsmanns Verteidiger, dem Wiener Anwalt Richard Preßburger.
Nach vier Tagen fällten die Laienrichter ein skandalöses Urteil:
zehn Jahre Kerker. Das umstrittene Urteil wurde angefochten,
in ganz Europa wurde dagegen protestiert — unter anderem von
Albert Einstein und Thomas Mann. Es war zu offensichtlich,
dass antisemitische Vorurteile eine entscheidende Rolle bei der
Urteilsfindung gespielt hatten. Der Oberste Gerichtshof hob das
Urteil schließlich auf. Knapp ein Jahr später wurde das Verfahren
unter heftigen öffentlichen Protesten der Nationalsozialisten und
anderer Antisemiten wieder aufgenommen. Halsmann wurde am
19. Oktober 1929 erneut wegen Totschlags verurteilt, diesmal
zu vier Jahren Haft. Eine entscheidende Rolle spielte dabei ein
psychiatrisches Gutachten der Medizinischen Fakultät Innsbruck,
in dem psychoanalytische Begriffe wie ‚Ödipuskomplex‘ miss¬
bräuchlich gegen Halsmann verwendet wurden.
Schließlich führten weitere Interventionen aus dem Ausland —
insbesondere jene des ehemaligen französischen Premierministers
Paul Painlevé — dazu, dass Halsmann am 30. September 1930 auf
Antrag von Bundeskanzler Johann Schober von Bundespräsident
Wilhelm Miklas begnadigt und zugleich des Landes verwiesen
wurde. Eine wichtige Vermittlerrolle kam dabei der Wiener Salon¬
niere Bertha Zuckerkandl zu, die sich später in ihren Memoiren
erinnerte, dass Hupka zu diesem Zweck bei ihr persönlich vorstellig
geworden war. „Männer von hohem geistigen Rang, allen voran
Professor H.“, hatten damals schon zwei Jahre lang „für die Ehre
und das Leben eines Unschuldigen“ gekämpft.23
Professor H. alias Josef Hupka hatte tatsächlich nichts unversucht
gelassen, Halsmanns Unschuld zu beweisen. Doch auch dessen
Begnadigung durch die österreichische Regierung ging ihm nicht
weit genug: Er veröffentlichte Ende November 1930 in der Neuen
Freien Presse einen umfangreichen Text in zwei Teilen, in dem er
noch einmal auf die zahllosen Ungereimtheiten im Beweisverfahren
hinwies und die volle Rehabilitierung Halsmanns forderte. Wer
nämlich — wie er selbst — nicht ertragen könne, „daß ein Mensch
ohne einen Schatten von Beweis des schändlichsten Verbrechens
schuldig befunden wurde und auch nach der endlichen Befreiung
von Rechts wegen weiter als schuldig gilt, für den ist es innerer
Zwang, von dem Urteil der Innsbrucker Geschworenen an das