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Rudolf Bienenfeld, Otto Harpner
„Double Loyalty“ — ein Briefwechsel

Double Loyalty: is natural in every family and in every community
in spite of petty every-day differences; it is impossible when the soul
of one partner has been poisoned for a long period by the wish to
murder the other.

Franz Rudolf Bienenfeld, 1942!

War ein Miteinander in Deutschland und Osterreich von Verfolg¬
ten und Verfolgern nach Auschwitz möglich? Der bedeutende,
aus Wien stammende Rechtsgelehrte Franz Rudolf Bienenfeld
verneinte diese Frage, zumindest nicht für „die nächsten 20 Jahre
- solange bis das Nazigift aufgehört hat zu wirken“.

Franz Rudolf Bienenfeld (Wien 1886 — London 1961) war
von 1915 bis 1938 Anwalt in Wien. In seiner Jugend besuchte er
die Vorlesungen Sigmund Freuds, mit dem er gut bekannt war.
Er schrieb mehrere Bücher zum 'Ihema Judentum, so 1934 die
antinazistische Schrift „Deutsche und Juden“. Seine Schrift „Die
Religion der religionslosen Juden“ erschien zwar im Februar 1939
als Broschüre in Wien, wurde aber sofort eingestampft, jedoch ins
Englische übersetzt; 1955 wurde sie auf Deutsch neu aufgelegt.
Zur Zeit des ‚Anschlusses‘ in Zürich, konnte er 1939 nach London
weiteremigrieren. Als Grundideen der jüdischen Religion, die auch
unter religionslosen Juden weiterwirken, beschrieb Bienenfeld: „...
die Idee der brüderlichen Gleichberechtigung, der Gerechtigkeit,
der Vorherrschaft des Wissens und der Vernunft und endlich noch
eine vierte und letzte: der Gedanke der Diesseitigkeit.“ Als die
drei herausragendsten Vertreter der religionslosen Juden nannte
er Marx, Freud und Einstein, weiters u.a. Josef Popper-Lynkeus
und Walter Rathenau.

Ab 1937 wurde er Vorsitzender der österreichischen Sektion des
1936 gegründeten „World Jewish Congress“ (WJC). In London
wurde er zum Präsidenten der „Jacob Ehrlich Society“ gewählt
wurde, der zionistischen Vertretungsorganisation der Juden aus
Österreich, die nach dem 1938 im KZ Dachau ermordeten zionis¬
tischen Wiener Kultusvorsteher und Gemeinderat Jakob Ehrlich
benannt war.

1947 war Franz Rudolf Bienenfeld Mitglied der „Human Rights
Commission“ der „Vereinten Nationen“ und somit einer der
Mitarbeiter an der UNO-Deklaration der Menschenrechte vom
10. Dezember 1948. Im selben Jahr veröffentlichte Bienenfeld
in London das Buch „Rediscovery of Justice“, in dem er die
Entstehungsgeschichte des Völkerrechts und der verschiedenen
Staatsformen beschreibt und sein Rechtsverständnis erläutert:

The indestructible impetus of Justice springs from its function as a
weapon of security, peace and order, and therefore of survival. Great
poets and prophets have the power vividly to reveal sub-conscious
desires. There is a vision of Isaiah in the Old Testament in which he

foretells the emergence of the righteous, true and immaculate ruler,
endowed with the quality of authority and with the ability to teach
tolerance and understanding. This prophecy expresses humanitys eternal
desire for Justice and peace. It proclaims Justice as the regulating force
not for society alone, but for the whole of Nature, and it promises peace
and order not only for humanity, but for the whole living world.

Zur selben Zeit war er auch Mitglied des ,,Claims Committee“ und
nahm an den mühsamen Verhandlungen mit der österreichischen

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Regierung um eine Entschädigung der österreichischen Juden und
Jüdinnen teil. Einen ausführlichen Beitrag zu Leben und Werk
Franz Rudolf Bienenfelds verfasste Evelyn Adunka 2000 für die
Zeitschrift „David“.?

Der Wiener Rechtsanwalt Otto Harpner (1900 — 1959) spielte
eine erhebliche Rolle nicht nur im Kontext der Parteinahme für
ein befreites, unabhängiges Österreich, sondern auch bei den
Bemühungen für ein neues internationales Recht. Er entstammte
einer Wiener Anwaltsfamilie: Sein Vater Gustav Harpner, seines
Zeichens „Hofadvokat“, hatte 1919 die Habsburgergesetze der
Republik Österreich ausgearbeitet. Otto hatte früh die Kanz¬
lei übernommen, war jedoch schon 1937 nach Großbritannien
gezogen, ahnend, was in Österreich bald passieren würde. Er
engagierte sich für die Bildung eines „Nationalkomitees“ der
Exil-ÖsterreicherInnen aller politischen Richtungen, mit Persön¬
lichkeiten wie Friedrich Adler, Wilhem Ellenbogen, Hans Kelsen
und Hugo Breitner als Galeonsfiguren. Das „Memorandum“
allerdings, auf das im Briefwechsel mit Rudolf Bienenfel Bezug
genommen wird, ist im Nachlass nicht vorhanden.

Zentraler Gegenstand der sich in den Briefen spiegelnden
Kontroverse ist die Frage der Rückkehr oder Nicht-Rückkehr
nach Österreich. (Letztlich nahm auch Otto Harpner von einer

Rückkehr Abstand.)

Rudolf Bienenfeld an Otto Harpner

Dr. Rudolf Bienenfeld,
46, Beaufort Gardens, SW 3
26. November 1942

Sehr geehrter Dr. Harpner,

ich lege Ihnen vorerst in Beantwortung Ihres Memorandums und
Ihres offenen Briefes einen Artikel vor, den ich am 11. Septem¬
ber in der „Zeitung“ veröffentlicht habe. Mein Standpunkt war,
daß gegenwärtig und für die nächsten 20 Jahre - solange bis das
Nazigift aufgehört hat zu wirken — niemand ein Deutscher und
ein Jude zugleich sein kann, gilt auch für Österreich. Auch hat
es keinen Sinn auf ein Memorandum zu antworten, welches die
Tatsache, daß die deutschen und österreichischen Juden in Mittel¬
und Osteuropa bereits ausgerottet sind, nicht einmal erwähnt.
Ihr Satz „Das Schicksal Österreichs wird das jedes Emigranten
mitbestimmen“ ist offensichtlich falsch. Er kann doch höchstens
— und auch dies ist schr fraglich — für die 15.000 österreichi¬
schen Emigranten hier in England gelten. Er gilt nicht für alle
österreichischen Emigranten anderswo, besonders in Amerika.
Dort sind die Emigranten wirklich Emigranten, während sie hier
Refugees sind. Sie haben die rechtliche Anwartschaft Staatsbürger
zu werden, und zwar nach 5 Jahren oder, wenn sie in die Armee
eintreten, sofort. Ihr Appell an Kelsen, Walter‘, Schüller? dürfte
kaum wirksam sein; ich kann mir nicht denken, daß irgend ein
gewesener Österreicher in Amerika, der ja jetzt bereits knapp vor
Erlangung des amerikanischen Bürgerrechts steht, die Sehnsucht
haben wird nach Österreich zurückzukehren, um den Mördern