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des kleinen Haufens österreichischer Flüchtlinge zu betreiben. Es gilt also gemeinsame Plattformen zu finden, wozu vor allem gehört, daß heute entgegengesetzte Ideologien einander zu verstehen versuchen: Diesem Bemühen sind die folgenden Zeilen in erster Linie gewidmet, wobei sie versuchen, auch die Linien einer Verständigung zu skizzieren. Hiebei bemühe ich mich, eine möglichst wenig polemische Form einzuhalten, was mir durch meine persönliche freundschaftliche Verehrung für Sie und mein Verständnis für den Tenor eines Teiles Ihrer Argumente erleichtert wird. Freilich durch einige Ihrer Ausführungen und auch dem Ton, in welchem sie vorgebracht, auch erschwert ist. Dennoch hoffe ich, mehr dem Geiste der Versöhnung als der Gegnerschaft Ausdruck verleihen zu können. 1) Mein Memorandum hat ein Hauptproblem höchstens gestreift: das jüdische. Dies aber keineswegs in der Absicht es zu übergehen, gar zu unterdrücken. Zu verschweigen, daß eine erdrückende Majorität der österreichischen Emigranten nach Abstammung und/oder auch Bekenntnis jüdisch ist; daß diese ihre Abstammung, ohne Unterschied des Bekenntnisses deutliche äußerliche und überwiegend innerliche Ursache ihrer Emigration war; und daß ihre persönliche und ideologische Einstellung weitgehend von den obigen Umständen, den dadurch bedingten Gedanken, Sorgen und Interessen bestimmt ist. Wohl aber in der Absicht, darzutun, daß es dennoch eine Fülle von Emigrationsproblemen gibt, deren Erörterung nicht nur nicht zuläßt, sondern erfordert, daß man nebst überwiegend jüdischer Problematik auch andere zu schen vermag, ja sie in den Vordergrund der Erwägungen rücken läßt. Und andere, welche mindest erfordern, daß man vom jüdischen Standpunkt und Interesse nicht ständig spricht: Zumal auch ohne stete Betonung der Emigration selbst, ihren Zufluchtgebern und erst recht ihren vormaligen österreichischen Wirten wohl bekannt ist, daß sie Juden sind! Und daß sich daraus Sonderprobleme, Sondersorgen und Sonderinteressen gewichtiger Art ergeben! Vom Judentum schweigen, ist daher weit entfernt davon, es zu verschweigen oder gar zu verraten! Das ist der erste Gesichtspunkt, für den ich kämpfe! 2) Mir liegt eine Auseinandersetzung mit dem Zionismus schon deshalb ferne, weil ich die wichtigen Funktionen jüdischen Nationalismus nicht nur nicht bestreite, sondern anerkenne! Womit ich mich mit Ihnen, als einem Wortführer dieses Nationalismus, nur auseinanderzusetzen zu müssen glaube, ist, ob es für die österreichische Emigration, das Judentum und die Welt zulässig [ist], sich einer einheitlich jüdisch-nationalen Ideologie und Politik mit Haut und Haar zu verschreiben?! Ich glaube dies sowohl im Allgemeinen, als auch im besonderen Falle der österreichischen Emigration mit aller Entschiedenheit verneinen zu müssen! Darf ich mit den allgemeinen Erwägungen beginnen? Wie im Memorandum ausgeführt, scheint mir die Berechtigung jedes Nationalismus begrenzt: er hat die Aufgabe, um den Bestand historisch gewachsener Völker zu ringen; zu ringen aber nicht als Selbstzweck, sondern um wertvolle organisch gewachsene Socialstruktur im Dienste der universalen Sozialentwicklung zu erhalten. Jedes Volk steht also vor der Aufgabe, seinen Nationalismus mit seinen Pflichten gegenüber der Gesamtheit zu versöhnen. Der Nichtzionist, wie ich, vermag in diesem Sinne das Wirken des jüdischen Nationalismus voll anzuerkennen; aber er muß auch für die Erfüllung seiner Pflicht Verständnis zu werben suchen, der universalen jüdischen Mission auch gegen den Nationalismus zu dienen, wo Nationalismus zu überspannen droht. 72 ZWISCHENWELT Daß Nationalismus diese Tendenz hat, sollte Opfern nationalen Wahnsinns wahrlich nicht gepredigt werden müssen! Mindest alle großen Völker verdankten ihren Aufschwung nicht nur ihren nationalistischen, sondern ihren übernationalen Leistungen! Zionismus sollte nicht vergessen, daß kein Volk mehr Anlaß hat auf seine übernationalen Leistungen stolz zu sein! Darf ich den österreichischen Präsidenten des jüdischen Weltkongresses an Namen wie Schnitzler, Hofmannsthal, Mahler oder Freud erinnern? Darfich dem Mitpräsidenten des Weltkongresses seine eigene Erwähnung von Moses, Jesus, Spinoza, Marx, Einstein in Erinnerung rufen? Sie alle sind aber nur symbolische Heroen einer übernationalen Mission des jüdischen Volkes, der es, wie jedes Volk, seine Größe, die Leiden seiner Größe und die Größe seiner Leiden verdankt! Wer im Dienste der Menschheitsmission seines Volkes steht, verleugnet es nicht! Und schon gar nicht soll man ihm Verrat vorwerfen! Das ist der zweite Gesichtspunkt, für den ich kämpfe! 3) Dieses Ewigkeitsproblem jeder, besonders aber der über die Erde verstreuten jüdischen Nation, scheint mir von der nahen Zukunft eine Unterstreichung erwarten zu dürfen! Alle Anzeichen lassen hoffen, daß der Welle nationaler Übertreibung und Aggression eine Welle übernationaler Bewegung und nationaler Duldsamkeit der Niederlage des Nationalsozialismus folgen wird! Der Nichtzionist muß schwere Bedenken dagegen zur Geltung bringen, das Judentum gerade in einer solchen Periode den Wellen des Nationalismus anvertrauen zu wollen! Was nicht damit verwechselt werden soll, Recht und Pflicht des Zionismus zu bestreiten, das Judentum vor Übertreibungen in universalistischer Richtung zu bewahren, soweit sie geeignet sind, den Bestand des Volkes in Mißverhältnis zu seiner Mission zu gefährden! Auch britischer Nationalismus betätigt seine Pflicht, seine Sinne vor unproportionalen Gefahren zu bewahren. Aber er ginge völlig irre, wenn er nicht dennoch sein bestes Blut nicht nur nationalen, sondern übernationalen Sendungen freigiebigst zur Verfügung stellte. 4) Der Nichtzionist vermag nicht zu überschen, daß das jüdische Nationalheim, nicht nur wegen, aber auch wegen gegebener politischer Konstellationen keine Aussicht hat, die ganze jüdische Gemeinschaft zu beherbergen! Ja, nicht einmal jene europäischen Juden, welche den Naziterror überleben werden! Angesichts der großartigen Errungenschaften des Zionismus in Palästina bedarf es kaum statistischen Hokuspokus, um von der Bedeutung Palästinas für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu überzeugen! Es heißt gewiß nicht, diese Bedeutung bezweifeln, wenn ich Ihnen in Erinnerung rufe, daß leider nur ein kleiner Bruchteil — die Zahlen werden Sie besser kennen — der österreichischen Juden, welche von Hitlers Besetzung im Jahre 1938 in die Flucht getrieben wurden, in Palästina Aufnahme gefunden hat. Selbst wenn zionistische Blütenträume reifen würden, wäre nicht nur dem Judentum, sondern auch den österreichisch-jüdischen Emigranten zum überwiegenden Teil die Fortdauer seiner internationalen Laufbahn vorgeschrieben. Auch als Nichtzionist kann jeder die Forderung des Zionismus unterstützen, den vollen Fassungsraum des Nationalheims zur Aufnahme von Juden ausgenützt zu schen. Denn selbst die vollste Ausnützung vermöchte nur ein nationales Fürsorgeproblem zu lösen, das jüdische Volk aber nicht an der Aufrechterhaltung seiner übernationalen Tradition zu verhindern. Gerade angesichts des so beschränkten —- und von Außen noch beschränkteren — Fassungsraumes des Nationalheimes scheint es widersinnig gegen eine übernationale Mission ankämpfen zu wollen, welche dem Judentum nicht nur