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Gerhard Scheit zu weiteren Analysen und Abhandlungen. In „Suicide Attack“ (2004) und „Jargon der Demokratie“ (2007) setzte er sich mit dem Selbstmordterror in Israel, dem Islamofaschismus und der Fahrlassigkeit der westlichen Demokratien in Bezug auf den Antisemitismus in Nahost auseinander. Dabei geht es ihm auch um das Aufdecken der Tater-Opfer-Umkehr, denn nicht die Mörderinnen und Mörder, die Attentäterinnen und Attentäter stehen oft im Visier der Kritik, sondern eher die Opfer des Terrors. Dafür ist auch das Attentat in Oberwart ein Beispiel: Am 5. Februar 1995 konnte man im ORF-Teletext und in der APA-Meldung lesen, dass vier Roma „beim Versuch, eine romafeindliche Tafel zu sprengen ... tödlich verunglückt“ seien. Und das war noch die harmloseste TäterOpfer-Umkehr, die in den nächsten Wochen und Jahren folgte. Es wurde von einer Fehde unter den Roma gesprochen, schließlich davon, die „Linken“ hätten all diese Attentate verübt, um der FPÖ Schaden zuzufügen. 1945 war der Schrecken des Krieges vorbei, Österreich war frei, aber die Köpfe der Menschen waren nicht frei, das Bewusstsein nicht befreit vom Gedankengut des Faschismus und Nationalsozialismus. Gerhard Scheit beschäftigt sich eindringlich mit der Kontinuität nazistischen Bewusstseins. Er geht auch auf die Frage nach den Einzeltätern wie z.B. Franz Fuchs ein. Entscheidend ist für ihn hier nicht die psychopathische Veranlagung der Täter, sondern die Perzeption und Reaktion der Gesellschaft auf die Ereignisse. Es geht ihm um die Herausarbeitung der Bedingung der Möglichkeit für nazistisches und postnazistisches Bewusstsein. So auch in seinen Büchern „Der Wahn vom Weltsouverän. Zur Kritik des Völkerrechts“, 2009 und „Quälbarer Leib. Kritik der Gesellschaft nach Adorno“, 2011. Gerhard Scheit schreibt nach dem musikalischen Prinzip der sich entwickelnden Variationen. Und so entstand nach vielen Essays und Büchern das vor kurzem erschienene Werk Gerhard Scheit „Kritik des politischen Engagements“, das in gewisser Weise eine Synthese all seiner Schriften ist. Zusammenfassend entwickelt er im Diskurs mit Denkern, Dichtern und Kunstschaffenden aufäußerst tiefgehendem philosophiekritischen Weg die Anforderung an die Gesellschaft, den kategorischen Imperativ von Kant („Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“) in einen kategorischen Imperativ nach Auschwitz überzuleiten. Die Frage „Warum versinkt die Menschheit in eine neue Art von Barbarei anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten?“ beantwortet er mit der Aufforderung, den Weg zum denkenden, sein Handeln verantwortenden Menschen zu gehen. Hier zitiert er Theodor W. Adorno, der in der »Negativen Dialektik schrieb: ,,Hitler hat dem Menschen im Stande seiner Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: Ihr Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ahnliches geschehe.“ „Kritik des politischen Engagements“ erschien im Verlag ga ira. Dieser Verlag gibt seit 2012 auch „sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik“ heraus, deren Mitbegründer und Autor Gerhard Scheit ist. Zwei wichtige Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Stefan Horvath und Gerhard Scheit: zunächst — wie Konstantin Kaiser in seiner Laudatio bei der Preisverleihung in Niederhollabrunn sagte - einen langen Weg und Brüche in ihrem Werdegang, und zweitens ihr Motiv, gegen die Möglichkeit der Wiederholung von Auschwitz und den Rückfall in die Barbarei anzuschreiben und anzutreten. Dafür haben sie den Preis verdient. Beide sind kritische, kämpferische Personen, die nicht wegschauen, nicht schweigen, sondern an der Humanisierung unserer Gesellschaft mitwirken wollen. Auf solche Frauen und Männer können wir stolz sein. Gerade in Zeiten wie diesen. Herzlichen Glückwunsch! So gerne hätte ich nach Niederhollabrunn, Salzburg, Wien und Linz nun auch noch an dieser letzten Veranstaltung im Rahmen der Preisverleihung an Stefan Horvath und mich teilgenommen. Leider aber muss ich mich in diesen Tagen einer unaufschiebbaren Therapie in einer Klinik unterziehen. Auch deshalb ware ich hier in Mattersburg so gerne dabei, weil meine Mutter und meine Grofeltern aus Mattersburg bzw. Mattersdorf kamen, und zwar urspriinglich aus Rohrbach. Der Name Pusic verweist auf kroatische Herkunft. Irgendwann Anfang der 1930er Jahre übersiedelte meine Großmutter mit meiner Mutter nach Wien, die Großmutter wurde schließlich „Standlerin“ auf dem Naschmarkt. Meine Mutter war zwar durchaus froh, in der Großstadt zu leben, aber Rohrbach und das alte Mattersburg vor dem Nationalsozialismus blieben zugleich Sehnsuchtsorte für sie. Und wenn ich Gedichte von Theodor Kramer lese, muss ich auch an die Erzählungen meiner Mutter über ihre Jugend denken und sche ihr dann strahlendes Gesicht vor mir, das sonst nicht oft strahlte. In diesen Erzählungen erwähnte sie oft die Roma und die Juden und wie einfach und selbstverständlich das Zusammenleben sein konnte, verschwieg aber auch nicht die Anfeindungen und die Repressionen, die es ihnen gegenüber bereits damals gab. Dass ich jetzt den Preis der Theodor Kramer Gesellschaft verlichen bekommen habe, freut mich noch aus einem ganz anderen persönlichen Grund. Es gibt da eine ‚Frühgeschichte‘, die mich mit dieser Gesellschaft verbindet: Als ich in den 1980er Jahren aus Westberlin nach Wien zurückkam, irgendwie gescheitert bei meinen Versuchen, an die 1968er Studentenbewegung anzuknüpfen, und einigermaßen frustriert und ratlos — da haben mir Siglinde Bolbecher und Konstantin Kaiser, die zu eben dieser Zeit die Gesellschaft gründeten, einfach großen Mut Juni 2017 87