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für die Hinterbliebenen hingewiesen, die Apple bezahle. Die Aufzeichnungen der Autorin, die zudem in vielen kleinen empathischen Porträts KollegInnen aus allen Teilen Europas skizziert, verweisen implizit auf die aktuell herrschenden sozioökonomischen Rahmenbedingungen. MitarbeiterInnen so zu behandeln, wäre nicht möglich, wenn es nicht genug von ihnen gäbe. Mit Hühnern in einer Hühnerfabrik habe es ein Kollege verglichen, sagte Daniela Kickl im Ö1-Matrix-Interview. Es sei egal, wenn einer von der Stange falle, dann hole man sich eben den nächsten. Europa hat laut ILO die dritthöchste Jugendarbeitslosigkeit weltweit, nach den afrikanischen und arabischen Ländern. Auch die Misere der AbsolventInnen von geisteswissenschaftlichen Studien bildet sich beim Bildungshintergrund der AppleTelefon-BeraterInnen ab und das Drama der älteren ArbeitnehmerInnen, die immer länger hackeln sollen, aber immer weniger Jobs zur Verfügung haben. „Sie haben, trotz bester Qualifikationen, in ihrer Heimat keinen Job mehr gefunden. Keinen unterbezahlten, keinen, für den sie überqualifiziert waren, einfach gar keinen. Zu alt. Wer über vierzig ist, hat es schon schwer. Eigentlich stimmt das gar nicht. Es fängt schon mit 30 an“, überzeichnet Daniela Kickl eine perverse Entwicklung. Zudem stellen der Glanz der Marke, neue Mobilität und EU-Freizügigkeit steten Mitarbeiter-Nachschub sicher. Die Auswahl der Besten der Besten - so die im Buch wiedergegebene Apple-Diktion - erfolgt digital, der Aufnahmetest online. Wichtige Erkenntnisse vermittelt das Buch auch über das offenbar bereits weitgehend auf die business needs der Konzerne ausgerichtete System Irland. „Ich bin beeindruckt, hier richtet sich sogar ein Amt nach Apple“, schreibt Kickl. Ein Mitarbeiter der Personalabteilung hatte mitgeteilt, dass die social welfare für die über hundert Neuanfänger bei Apple extra am Nachmittag aufsperren werde, für die Zuteilung einer PPS-Nummez, der Personal Public Service Number. Irlands Sozialsystem sei nicht so ausgebaut, dafür liege der Mehrwertsteuersatz bei stolzen 23 Prozent, vermerkt die Österreicherin. Am Heiligen Abend arbeiten die BeraterInnen im Call Center im katholischen Irland ganztags, für die beiden Weihnachtsfeiertage werden ihnen Urlaubstage abgezogen. Der Vergleich der Sozialleistungen, der stets zugunsten Österreichs ausgeht, ist ein Gurt, der die Wienerin im Exil mit ihrem Herkunftsland verbindet. Ein anderes ist die Sprache. „Höre ich Österreichisch oder gar Wienerisch, bewirkt das stets einen wohligen Schauer bei mir“, schreibt Daniela Kickl. Dabei schätzt sie ihre „ehemaligen österreichischen Mitbürger“ am Telefon als „besonders schwierig“, sogar als oft „richtig herablassend“ ein. Das im irischen Süden gesprochene Englisch klingt für sie wie das Steirische. „Country Cork ist linguistisch betrachtet Venedig, Solothurn, Gdansk, Pula, Karlovy Vary und eine Reihe anderer Städte beherbergen Filmfestivals, die der Filmkritiker Horst Dieter Siehler ab den 1960er-Jahren regelmäßig besuchte und über die er in österreichischen und internationalen Medien schrieb. Hervorragende Filme, Trends und vor allem (Film-)Politik sind seine Themen (der Glamour-Faktor des einen oder anderen Festivals bleibt unberiicksichtigt). An der Griindung des ersten nur heimischen Filmen gewidmeten Filmfestivals, der „Österreichischen Filmtage Velden“ im Jahr 1977, ist Siehler nicht unmaßgeblich beteiligt. Aus den Filmtagen wurde später die „Diagonale“. Auch dass Klagenfurt heute mit dem Volkskino ein alternatives Kino besitzt, geht nicht zuletzt auf Bemühungen Siehlers zurück. Und mindestens eine Generation von interessierten Studierenden hat er als Lehrbeauftragter an der Alpe-Adria-Uni das Sehen und Verstehen von medialen Produkten gelehrt. In „Mein Kino des 20. Jahrhunderts“ hält er nun Rückschau auf viele von ihm gesehene und beschriebene Filme, Medien- und Filmgeschichte und sein eigenes Leben - übrigens völlig unsentimental, denn der 1938 Geborene ist ganz und gar kein Nostalgiker. Kritisch und manchmal ironisch blickt er auf ein paar Jahrzehnte unterschiedlicher Tätigkeiten im Filmbereich zurück. 98 _ ZWISCHENWELT Unzufriedenheit kann zu Ressentiment und Resignation führen, aber auch zu Innovation, und zum Aufbau neuer Strukturen. Dass es in Österreich — nicht zuletzt dank Filmförderung - eine, mitunter sogar international anerkannte, nennenswerte Filmproduktion gibt, dass nicht bloß „Blockbuster“ über heimische Leinwände flimmern, sondern dass in fast allen Landeshauptstädten Programmkinos Filme abseits des „mainstream“ zeigen, dass es eine jährliche repräsentative Filmschau heimischer Kinoprodukte aller Genres, nämlich die Diagonale, gibt, liegt daran, dass viele Filmschaffende, FilmjournalistInnen und andere Menschen, die den Film als Ausdrucksmittel und Kunstform schätzten, den tristen Zustand der Filmszene und Kinolandschaft im Nachkriegsösterreich nicht mehr als gegeben hinnehmen wollten. Ab den 1960er-Jahren setzten sich junge Cineasten für eine Änderung des damaligen Status quo im Kino- und Filmbereich ein. Einer von ihnen ist der Kulturjournalist Horst Dieter Siehler. Er ist unzufrieden damit, auf internationalen Filmfestivals wunderbare Filme zu entdecken, die seine LeserInnen über Filmkritiken kennenlernen, weil sie hierzulande niemals in den Verleih und somit auch nicht in die Lichtspieltheater gelangen. „Die Idee neuer alternativer Kino-Strukturen setzte sich fest“, schreibt die Steiermark Irlands“, deshalb verstehe sie die Einwohner hier so schlecht. Aber: „Ich besinne mich darauf, dass ich ein positiver Mensch bin und meine neue Heimat mag. Mit der einen oder anderen Unzulänglichkeit komme ich schon noch klar.“ Auf Anfragen von Öl äußerte sich Apple nicht zum Buch der ehemaligen Mitarbeiterin, man verwies nur darauf, dass man zu den beliebtesten Arbeitgebern im Land zähle. Die Presseabteilung ließ wissen, ‚wir kommentieren das Buch nicht‘. Zur missbilligenden Kenntnis wurde es gewiss genommen. Wird das Buch etwas verändern, wie es sich die mutige Autorin, die erst Appleintern Änderungen angeregt hatte, in ihrem Epilog wünscht? Solange gute Jobs rar sind und JobinhaberInnen noch mehr schweigen als früher, solange es Konsumentlnnen egal ist, wie Konzerne ihre MitarbeiterInnen behandeln und ob Konzerne im Land Steuern zahlen, solange Staaten wie Irland sich schützend vor ihre Konzerne stellen und nicht einmal eine von der EU verhängte Strafzahlung annehmen wollen, wird sich wohl nicht allzu viel ändern. Helene Belndorfer Daniela Kickl: Apple intern. Drei Jahre in der Europa-Zentrale des Technologie-Multis. Wien: edition a 2017. 284 S. € 21,90 Siehler in „Mein Kino des 20. Jahrhunderts“. Als „Ein-Mann-Wanderkino“ mit Projektor und Filmrollen ist er jahrelang unterwegs, um anspruchsvolle Filme unters Volk zu bringen. Ende der 70er-Jahre scheint der Wunsch nach einer fixen Spielstätte für alternatives Kino in Siehlers Heimatstadt Klagenfurt in Erfüllung zu gehen. Da dieses in keinem bestehenden Kino unterkommen kann, wird ein Neubau in Angriff genommen. Als das Land Kärnten seine Förderzusage kurzfristig zurückzieht, bedeutet das den endgültigen Baustopp und das Kino im Lendhafen bleibt bis heute ein Torso. Bezeichnend für das (Un-) Verständnis der Politik für Film- und Kinowesen ist eine Aussage des damaligen Kärntner Landeshauptmanns Leopold Wagner: ,, Was wollt‘s denn mit dem Kino, es geht ja eh alles in die Kassetten!“ Wobei Siehler gegen die „Kassetten“, also Video, gar nichts einzuwenden hat, denn Purist ist er keiner und technischen Neuerungen in Sachen Bewegtbild ist und war er stets aufgeschlossen. DVDs und Internet-Streaming nutzt er gern und oft für sein fortgesetztes Filmstudium, zumal ihn die Erkrankung an COPD in seiner Mobilität stark einschränkt. Fin in diesem Band erstmals veröffentlichter Artikel zum Thema Video aus dem Jahr 1975 erscheint heute fast naiv — dem damals neuen und schnellen Medium