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Thomas Wallerberger Das Gespräch zwischen Klient und Pädagoge — das Streitgespräch, Interventionsgespräch, das Gespräch zur Lebensplanung, zum sogenannten Sozialverhalten, über Regeln und Gesetze, Verfahren und einschlagbare Wege - es ist der Kern sozialer und pädagogischer Arbeit. Mindestens genauso zahlreich wie diese formalisierten Austausche sind die ungesagten Wörter dazwischen, die unsichtbaren Gespräche. Eines dieser unsichtbaren Gespräche in der Arbeit mit Flüchtlingen ist das stille Gebet. Oft versteht der Pädagoge, wenn der Klient „Religion“ sagt, seinerseits „Kultur“. Ein bewusstes Falschverstehen? Der Kulturalismus ist schon länger die neue Religion der Sozialwissenschaften; und ihnen zugehörig fühlen wollen sich, als Ergebnis einer fortschreitenden Professionalisierung, auch viele Sozialberufe. Der Kulturalismus ist aber auch die Verdoppelung von Rassismus, das hineingesummte Lied über den Kulturkampf. Ihm verdanken wir Begriffe wie „Islamophobie“, eine europaweite neurechte Bewegung (z.B. die Identitäre-Bewegung) und eine oftmals mit ähnlichen Ideologemen arbeitende Linke. Interessant am (essentialistischen) Kulturalismus ist, dass er nicht eindeutig festgelegt ist auf politische oder ideologische Lager. Er lehnt kulturelle Praktiken ab oder affirmiert sie, sieht Unterschiede als fundamental und natürlich - in seiner rassistischen Ausprägung als biologisch — und beurteilt die Gesamtheit dieser Praktiken, Einstellungen und Sozialisierungen als wertvoll oder wertlos. Kulturelle Identität wird dabei als definierend, nicht einfach nur als prägend verstanden, und die individuelle Wahl wird zugunsten einer Schicksalsgemeinschaft des Volkes abgewertet. In diesen Kulturgemischen, diesen Assemblagen des Bauchgefühls werden sodann unterschiedliche Aspekte betont: Die „eigene“ Kulturund Sozialgeschichte und — oftmals maßgeblich — die jeweiligen religiösen Prägungen und Überzeugungen. Der Kulturalismus ist dabei die Wiederkehr der Postulierung von grundsätzlicher (also wesenhafter) Unterschiedlichkeit des Anderen. Während rechtspopulistische Demagogen diese Andersartigkeit als unvereinbar mit ihrer eigenen Kultur schen, postuliert die vermeintliche Gegenseite lediglich die Vereinbarkeit, ohne die Behauptung der grundsätzlichen Unterschiedlichkeit in Frage zu stellen. Diese behauptete Authentizität des Kulturellen — positiv oder negativ aufgeladen — wird im Kontext professioneller Arbeit im Sozialbereich dann zum Problem, wenn Verhalten und Einstellungen von Klienten, die im weitesten Sinne als „problematisch“ geschen werden können, abgeschirmt werden und nicht, in einem Verhältnis von Achtung und Gleichheit, besprochen werden. Eines dieser problematischen Themen ist - viel diskutiert — die Frage nach Judenhass und antisemitischen Ressentiments unter Flüchtlingen. Antisemitismus als Auftrag an die Sozialberufe... Es gibt einen Unterschied zwischen einem pseudo-intellektuellen akademischen Antisemitismus, der sich an manchen Universitäten formiert und über hetzerische Kampagnen wie die BDS-Bewegung — einer Boykott-Bewegung gegen israelische Produkte aber auch 6 _ ZWISCHENWELT Intellektuelle und Künstler - äußert, dem sogenannten strukturellen Antisemitismus und zuletzt einem Antisemitismus von Migranten und Flüchtlingen aus bestimmten Regionen und Ländern, der sich über die Lebenssituation der sich Äußernden erschließt. Als Pädagoge und Sozialarbeiter in der Betreuung von minderjährigen Flüchtlingen bin ich oft mit der letztgenannten Form des Antisemitismus, mit dem antisemitischeen Affekt konfrontiert: „Juden sind Faschisten“, „Facebook ist Teil einer jüdischen Verschwörung; Zuckerberg ist auch Jude“, „Hitler war gut für die Deutschen“ etc. Ein Jugendlicher aus Pakistan verlor seinen Schulplatz, weil er im Geschichtsunterricht den Holocaust in Frage stellte, ein anderer wurde verwarnt, weil er (absurderweise neben seinem Engagement für die „sozialistische“ Kurdische Arbeiter Partei) stets Hakenkreuze in sein Schulheft kritzelte. In vielerlei Hinsicht ist dieser Antisemitismus beunruhigend und erschreckend, er ist aber auch erklärund daher bearbeitbar. Fr rührt von direkter Indoktrination und Nichtwissen her: Afghanische Jugendliche, chace ist die in iranischen Schulen jahrelang mit revisionistischen und antizionistischen Ideen gefüttert wurden, pakistanische Jugendliche, denen erzählt wurde, dass Hitler vor allem gegen die Kolonialmächte vorgegangen sei, „palästinensische“ Syrer, denen seit Generationen die syrische Staatsbürgerschaft verwehrt wurde, um sie als Faustpfand gegen den israelischen Staat zu positionieren. All jene brauchen Bildung und Aufklärung — keine Ächtung und Tabuisierung, aber auch kein verständnisvolles Einfühlen in ihre „Kultur“. Sozialberufe laufen Gefahr, letzteres zu tun, im stillen Gespräch die eigene Indifferenz gegenüber dem vermeintlich fundamental Anderen auf den eigentlich nur oberflächlichen Fremden zu projizieren und zu ontologisieren. Für diesen Vorgang können viele Bezeichnungen gefunden werden, letztlich ist es die Abdankung universalistischen Denkens gegenüber dem partikularistischen Ressentiment. Einem jugendlichen Asylwerber, der aufeine Gedenkkundgebung für die Opfer des Attentats auf die Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo geht, sollte nicht gesagt werden, dass man es gut finde, dass „er als Moslem“ sich dort zeige. Antisemitische Äußerungen sollten nicht als „Provokationen“ abgetan werden — dies würde nämlich implizieren, dass ein Flüchtling, der sich seit ein paar Monaten in Österreich aufhält, eben beispielsweise aus dem Iran kommend, tatsächlich den Inhalt seiner Provokation kennen würde. Und in der Diskussion um den Nahostkonflikt reicht es nicht aus, Jugendliche mit unkommentierten Bildern vom Gaza-Streifens auf „Euronews“ zu konfrontieren. Die Thematisierung von terroristischen, antisemitisch motivierten Akten, die sich auf den Islam berufen, ist — kommt sie nicht gerade aus der Fraktion der verlogenen Kulturkrieger rund um rechtspopulistische Parteien — eben nicht „islamophob“. Generell versteckt sich in der Rede rund um eine sogenannte „Islamophobie“ das kulturalistische Argument: Der Islam wird als alternative Lebensform im Kapitalismus verstanden. Die Glaubensgemeinschaft als wiedererlangte Nestwärme der Volksgemeinschaft gegenüber dem „korrumpierten“ Lebensstil des Westens. Diese Koalitionen zwischen Pädagogen mit Hochschulabschluss und einem Antisemitismus der zuallererst auf Indoktrination,