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Konstellationen in den Dramen bestimmt. Vielfach geht es um Ängste und Verbiegungen unter dem Druck einer erzwungenen oder angestrebten Konformität mit dem Bestehenden. Havels Feststellung, dass es so scheine, als würde es in seinem Land „seit einer gewissen Zeit keine Geschichte mehr“ geben, trifft auf ein universelles Erleben von Geschichtslosigkeit des modernen Menschen, das mit der steten Hinnahme des Vorhandenen und dem Verzicht auf eigenes Handeln einhergeht. Solches war andernorts ebenfalls, wenn auch gewiss anders, zu erfahren und bildete den Boden für die ubiquitäre Wirkung seiner Dramatik. Die Stücke hatten demnach auch jenen etwas zu erzählen, die unter anderen Voraussetzungen als den in der CSSR gegebenen lebten. Für das Theater wären bloß symbolische Gesten nicht ausreichend gewesen, um dauerhaft Interesse zu wecken, das Moment der Solidarität begleitete zwar die Rezeption des Autors, der eigentliche Impuls aber musste aus dem Hier und Jetzt des Bühnengeschehens kommen. Havels Stücke wurden offenkundig nicht — oder nicht nur — deshalb in den Spielplan genommen, da sie auf das Unrecht in einem anderen Land verwiesen, sondern weil sie auch für Wien wesentliche Probleme menschlichen Verhaltens wie Konformismus, Opportunismus und Selbstverleugnung unter dem Zwang der Verhältnisse trafen, wovon noch die Rede sein soll. Es ließe sich hier fast ein Modellfall für die Wirkung einer exilierten Literatur in einem Exilland studieren und auch dafür, dass diese nicht von selbst wirksam werden konnte, sondern der tatkräftigen Unterstützung bedurfte; in diesem Fall durch Mitglieder des Burgtheaters - insbesondere den Dramaturgen Rudolf Weys -, den Übersetzer Joachim Bruss sowie Klaus Juncker vom Rowohlt Verlag und nicht zuletzt durch Vertreter der Bundesregierung, hier vor allem Unterrichtsminister Fred Sinowatz.° Väclav Havel allerdings war kein Exilant, er lehnte es auch dann ab, sein Land zu verlassen, als ihm dies nahegelegt wurde, da man ihn loswerden wollte, ja als die Ausreise 1979 sogar als Alternative zum bevorstehenden langjährigen Gefängnisaufenthalt ins Spiel gebracht wurde.” Er blieb in der CSSR, nahm Verfolgung, Ausgrenzung und Inhaftierung in Kauf, die Stücktexte aber wurden außer Landes geschmuggelt,!" sein Werk war somit im Exil wirksam. Und als das wichtigste Exilland seiner Dramatik kann — durch das ihm zum „Muttertheater“'! gewordene Burgtheater — Osterreich angesehen werden. Dariiber hinaus wurde die, freilich durchaus in vielem begrenzte, internationale Rezeption seiner Werke durch die Burgtheater-Uraufführungen befördert, da die Stücke international nachgespielt wurden. Gleichzeitigkeit der Exile Das Burgtheater wurde aber auch zum realen Exilort für Exilanten aus der CSSR. Dies galt für den Schriftsteller Pavel Kohout, dessen Dramen an diesem Theater aufgeftihrt wurden und der hier zugleich als Dramaturg tätig war. Kohout, zunächst Mitglied der kommunistischen Partei, von der er nach der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ ausgeschlossen wurde, arbeitete bereits in Wien am Burgtheater, als ihm 1979 aufgrund seiner oppositionellen Haltung von den tschechoslowakischen Behörden die Staatsbürgerschaft aberkannt wurde und er nicht mehr in die CSSR zurückkehren durfte. Zum Ensemblemitglied wurde Pavel Landovsky — in seiner Heimat ein schr bekannter Schauspieler -, der 1979 nach Wien ans Burgtheater gekommen war und 1980 ebenfalls durch Aberkennung der tschechischen Staatsbürgerschaft 20 ZWISCHENWELT ‚ausgebürgert‘ wurde.'” 1981 fand am Akademietheater die Uraufführung seines Stückes Arrest statt. Väclav Havel, Pavel Kohout und Pavel Landovsky gehörten zu den Initiatoren der Charta 77 - der Petition gegen die Verletzung der Menschenrechte durch das Regime in der Ischechoslowakei —, deren AktivistInnen bzw. UnterzeichnerInnen von der sozialdemokratischen Regierung unter Bruno Kreisky Asyl in Osterreich angeboten worden war. Das Wort „Exil“ wurde und wird meist nicht dazu verwendet, um ihre Situation zu beschreiben, eher war es für die Zeitgenossen der Terminus „Dissidenten“, der zunächst insbesondere die Oppositionellen innerhalb der CSSR und anderer Staaten ‚Osteuropas‘ kennzeichnen sollte, dann aber auch die Geflüchteten sowie diejenigen, die nach einem Aufenthalt im Ausland nicht zurückkehren wollten oder konnten. Väclav Havel selbst hatte übrigens nach eigenem Bekunden ein großes Interesse am „Phänomen des Exils“; er hatte dazu sogar ein Buch geplant und war daher noch 1968 viel gereist, um „erwa dreißig bedeutende Persönlichkeiten des 48er-Exils“ zu besuchen.'? Den Begriff des „Dissidenten“ sah er als fragwürdig an, er galt ihm als Wortprägung ‚westlicher‘ Journalisten, die damit nicht nur Haltung und Werk unterschiedlicher Personen etikettierten, sondern zugleich auch das Bild eines Typus zeichneten, der sich von der Gesellschaft absentiert hatte. Havel aber hielt sich keineswegs abseits, sondern mischte sich ein; dennoch verwendete er selbst auch wiederholt die Bezeichnung „Dissident“, wobei er diese konsequent in Anführungszeichen setzte." Am Burgtheater der Jahre 1976 bis 1986 waren Angehörige verschiedener Exile präsent, die nicht gleichgesetzt werden können, zwischen denen aber personelle und inhaltliche Verbindungen bestanden. Erstens wurden Dramen von Autoren, die von den Nationalsozialisten vertrieben worden waren, gespielt. Aufgeführt wurden Werke von Elias Canetti, Hermann Broch und Robert Musil, die bislang am Burgtheater nicht vorgekommen waren, sowie das dokumentarische Stück Die Ermittlung (1981) von Peter Weiss. Erstmals in Österreich präsentiert wurde im Rahmen einer Burgtheater-Veranstaltung der Film von Karl Fruchtmann Zeugen, in dem Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz zu Wort kamen. Fruchtmann, der Häftling in den Konzentrationslagern Sachsenburg und Dachau gewesen und durch Freikauf ins Exil nach Palästina gelangt war, inszenierte während der Direktion von Achim Benning auch am Burgtheater. In mehreren Veranstaltungen wurden zudem Texte von verfolgten Autoren gelesen, „Zeitzeugen“ und Wissenschaftler sprachen über Verfolgungen durch das NS-Regime. Zweitens inszenierten kommunistische „DissidentInnen“ am Burgtheater; enttäuschte KommunistInnen, wie Adolf Dresen und Angelika Hurwicz, die sich selbst nicht als ExilantInnen oder EmigrantInnen bezeichneten, die DDR jedoch verlassen hatten, gerade weil sie nicht bereit waren, ihre politischen Haltungen aufzugeben und sich anzupassen. Angelika Hurwicz gehörte beiden Gruppen an: Sie war aus der DDR emigriert und hatte unter dem NS-Regime aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nicht als Schauspielerin arbeiten dürfen, jedoch bei Theatertruppen im Erzgebirge die NS-Bürokratie umgehen können." Angelika Hurwicz und Adolf Dresen wirkten übrigens am Burgtheater parallel zu Regisseuren, die erfolgreich in der DDR arbeiteten, wie Manfred Wekwerth und Thomas Langhoff. Von Teilen der Presse wurde hier nicht unterschieden, sondern pauschalierend eine Kampagne gegen „DDR-Regisseure“ betrieben, wozu auch diejenigen gezählt wurden, die aus der DDR weggegangen waren.