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Erinnerung und Vergleich Die Erinnerung an Väclav Havel ist heute durchaus verschüttet, vor allem die an den Dramatiker und seine Bedeutung für das österreichische Theater. Wenn es überhaupt ein Bild in der Gegenwart von ihm gibt, dann ist es das vom inhaftierten „Dissidenten“, der nach der ‚samtenen Revolution‘ von 1989 Präsident geworden war. Aber schon Milan Kundera hatte festgehalten, dass die Kenntnis der Dramen Havels dazu verhelfen könne, den Politiker Havel zu verstehen.° Die Stücke haben freilich zugleich ihre eigene Bedeutung und sie entstanden zu einer Zeit, da ihr Autor von jeglichem Amt, geschweige denn von hohen Staatsfunktionen, ausgeschlossen war. Havels Werk weist eine spezielle Verbindung von Eigenständigkeit und Geselligkeit auf. Seine unverwechselbare Figur des Ferdinand Vanek konnte, auf Vorschlag des Burgtheaters, auch von anderen Autoren, etwa von Pavel Kohout und Pavel Landovsky, aufgegriffen und in deren Stücke verpflanzt werden, die dann - am Akademietheater — wiederum gemeinsam mit einem Havel-Einakter aufgeführt wurden. Bezüge zu anderen Vertretern der tschechischen Literatur, namentlich zu satirischen Autoren wie Jaroslav Ha$ek oder Bohumil Hrabal, wurden immer wieder hergestellt, ohne dass hierdurch Havels Stücke erschöpfend deutbar wären.” Verweise auf Franz Kafka boten sich stets an, sie mochten den Rang der Havel’schen Dramen betonen, aber durch vage Vergleiche ihnen zugleich eine diffuse Geschichtslosigkeit zuschreiben und ihre Neutralisierung bewirken. Havel selbst hatte seine „lange und wahrlich intime Beziehung“ zum Werk Franz Kafkas zwar hervorgehoben, dabei jedoch betont, dass er kein „Kafkologe“ sei, vor allem kein Liebhaber „kafkologischer“ Spezialliteratur.’® Zusammenhänge lassen sich auch zwischen Havels dramatischer Welt und jenen luzidverwirrenden Welten zeitgenössischer Dramatiker herstellen, die trotz ihrer Unterschiedlichkeit gerne mit dem Etikett des Absurden versehen werden, wie Samuel Beckett oder Harold Pinter, aber auch Tom Stoppard, der die Absurditäten seiner szenischen Konstruktionen aus dem Geschichtlichen zu ziehen weiß. Havel, dem freilich nicht einfach eine Wohnung im unergründlichen Haus des Absurdismus zugewiesen werden kann, schätzte tatsächlich die genannten Autoren überaus” und hatte ihre Rezeption in Prag gefördert, sie wiederum unterstützten Havel und erklärten sich in der Zeit seiner Verfolgung mit ihm solidarisch.“ Die Stücke von Pinter und Stoppard waren im Burgtheaterspielplan der Jahre 1976 bis 1986 übrigens vielfach vertreten und beide hatten selbst ein biographisch geprägtes Interesse an der Situation in,Östeuropa‘, wo ihre familiäre Herkunft lag. Dies gilt besonders für den aus tschechisch-jüdischer Familie stammenden Tom Stoppard, dessen Eltern mit ihm und seinem Bruder nach der Okkupation der Tschechoslowakei durch die Nationalsozialisten ins Exil geflohen waren. Während die Dramen Havels jenen erwähnten Gestus der Geselligkeit aufweisen, der sie mitanderen Werken verbindet und den ZuschauerInnen ein gemeinsames Lachen über die Verhältnisse ermöglicht, widersetzen sie sich zugleich einem gemütlichen Einverständnis mit dem Weltlauf. Inhaltlich nämlich wird die jeweils dargestellte Geselligkeit unverkennbar problematisiert, denn in den szenischen Vorgängen tritt die Brüchigkeit, Verlogenheit, Bedrohlichkeit von Situationen zu Tage, die vordergründig auf freundliche Zwischenmenschlichkeit ausgerichtet sind. Gerade die scheinbare Nähe zwischen den Personen hält den Dialog in Gang, der dann allerdings von den Abgründen der Verhältnisse und des Verhaltens erzählt. Erkennbar wird die Einsamkeit, die nicht nur die Figur des Ferdinand Vanek betrifft, sondern auch jene, die sich dem Druck einer erpressten Gemeinsamkeit fügen und gerade hierdurch zu keiner Verständigung über die eigene Situation gelangen. Vanek aber ist das Geschehen meist peinlich, er empfindet jene Scham, die den anderen Personen fehlt. Der unbekannte Dramatiker Das Erstaunen darüber, dass Havels Dramatik heute zum Unbekannten gehört, muss nicht dazu führen, eine Laudatio auf sämtliche Stücke zu halten, die dem Nichtwissen undifferenziert Abhilfe schaffen soll. Im Gesamtwerk findet sich manches, dem abzulesen ist, wie das Schreiben den fürchterlichen persönlichen Folgen von Repression und Verfolgung abgerungen wurde. Auch konnte Havel nicht den Kämpfen um die Darstellbarkeit zeitgenössischer Wirklichkeit entrinnen, in der ein Festhalten an der dramatischen Form zur Donquichoterie werden kann. Gerade die einfache szenische Situation, die für ihn freilich nicht immer zu finden war, bot hier Aussichten, während die ambitionierte Stoffwahl Beschränkungen erzeugte.‘ Verblüffend an den Stücken Havels ist jedoch deren stete Ansiedlung in der Gegenwart, der Dramatiker weicht weder der politischen Repression noch den dramatischen Schwierigkeiten aus, er braucht nicht den historischen Stoff, um zeitgenössische Probleme zu illustrieren. Havel bewegt sich vielmehr unverblümt im Heute und kann dabei meist Dialog und Personen so gestalten, dass die Handlung wie selbstverständlich wirkt. Jene eigentümliche Verbindung von ethischer Festigkeit mit einer schwebenden Infragestellung des Gesprochenen dürfte der Beibehaltung der dramatischen Form förderlich gewesen sein. So liegen die Stücke in einem szenischen Dazwischen, das weder im stringenten Konflikt, noch im gänzlichen Verschwinden desselben beheimatet ist, aber von beidem etwas enthält. Väclav Havels Werken haftet nicht der Impetus öffentlichen Engagements an, ebensowenig findet sich in ihnen ein moralischer oder gar politischer Appell, und wenn, dann wird er nur von Personen gesprochen, die im Moment gut dastehen wollen — nicht zuletzt vor sich selbst. Obwohl das Geschehen durchaus modellhaft gedeutet werden kann, verzichtet der Autor darauf, die Handlung ins Parabelhafte zu bringen. Die Dramen sind in einem anderen Sinn politisch, der kaum fassbar ist, aber stets zu erkunden bleibt; was auch versucht wurde.“ Wie lokale Etüden wirkend, erweisen sie sich doch international mit einer Dramatik vom Ende des 19. bis ins 20. Jahrhundert verbunden, der die Bedrohung des Subjekts sowie dessen Angst zur formbildenden "Thematik wurde. Viele dieser Werke — aus verschiedenen Ländern — waren zuvor am Burgtheater nicht oder kaum gespielt worden und hatten zwischen 1976 und 1986 erstmals Eingang in den Spielplan erhalten.‘ Ohne angestrengte Vergleiche oder Wertungen anzustreben, können Havels Stücke als Teil jener dramatischen Welt verstanden werden. Auch wenn es bei Havel immer um dasselbe zu gehen scheint, stellt sich doch stets ein Erstaunen über die Vorgänge in den jeweiligen Stücken ein. Im Rhapsodischen sind die Katastrophen verborgen, und wenn sie zum Vorschein kommen, dann oft auf komische Weise. Vielleicht war das Genre des Einakters Havels eigentliches Metier, sogar einige seiner längeren Dramen sind, von Handlung und Konstellation her, mitunter durchaus als kürzere Stücke vorstellbar. Im personell und zeitlich begrenzten Ausschnitt, Oktober 2017 23