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als dominierende Persönlichkeit der deutschen Musikszene. Am Prager „Neuen deutschen Theater“ fungierte Ullmann unter seiner Direktion auch als Kapellmeister. Als Multitalent war er zudem Dirigent, Pianist und Musikjournalist. Der Vielfachbegabte spielte Trompete, Gitarre, Harmonium und Schlagzeug.® Berufliche Wanderjahre führten ihn in der Folge als Opernchef nach Aussig/ Üsti nad Labem und als Kapellmeister 1929 nach Zürich. Hier erlangte er Zugang zu den Kreisen der Freimaurer und fand sich auch als Besucher der Loge „In Labore Virtus“ wieder.’ 1931 hielt er vor den Brüdern sogar einen Vortrag über Die Gedankenwelt des Lao Tse."° Sein unstetes Wanderleben war durch diverse Brotberufe als Musiker und durch selbstständiges Schreiben als Kritiker geprägt, was seine Kompositionstätigkeit immer wieder behinderte. Manche seiner Werke erhielten renommierte Preise und einige wurden in den Zwanziger- und Dreißigerjahren uraufgeführt. Im Gegensatz zu anderen Kollegen aber gelang es ihm nicht, einen geeigneten Verlag zu finden. Seine 1935 komponierte Oper Der Sturz des Antichrist wurde erst Jahrzehnte nach seinem Tod einem Publikum zugänglich. Nicht zuletzt unterbrachen psychische Krisen sein Schaffen. Die erste Ehe scheiterte. 1931 heiratete er Anni Winternitz. 1932 kam Sohn Max, 1935 Johannes und 1937 Tochter Felicia zur Welt. Sein viertes Kind, Paul, wurde 1940 geboren.'! Nur ein Jahr später heiratete er ein drittes Mal. Zusammen mit seiner zweiten Frau Anni wandte er sich der Anthroposophie zu und wurde dank seines Bürgen, des Prager Avantgarde-Musikers Alois Häba, Mitglied der von Rudolf Steiner gegründeten Weltanschauungsgemeinschaft. Voller Enthusiasmus unterbrach er seine musikalische Laufbahn und widmete sich ausschließlich der Bewegung. Das Paar zog in das deutsche Zentrum der Anthroposophie nach Stuttgart. Sein diesbezügliches Engagement als Eigentümer der „Novalis Bücherstube“ bescherte ihm jedoch ein finanzielles Desaster, und beide Hohen 1933 völlig mittellos nach Prag. Durch verschiedene Tätigkeiten versuchte Ullmann ein finanzielles Auskommen zu erlangen, wirtschaftliche Sorgen waren jedoch Alltag. Er war mit Vorträgen im deutschen Sender des Prager Rundfunks präsent und ebenso im Volksbildungsverein „Urania“, der als Dozenten auch den Publizisten Hans Günther Adler gewonnen hatte. Ihn wird Ullmann in Theresienstadt wieder treffen und ihn in der Folge zu seinem Nachlassverwalter bestimmen.'? Die königliche Kunst In Prag finden wir ihn 1934, bereits ein Jahr nach seiner Ankunft, als Mitglied der Loge „Freilicht zur Eintracht“.'? Die Loge war 1922 gegründet worden und umfasste 1937 den beachtlichen Stand von 92 Mitgliedern." Sie war eine von dreißig Bauhütten der Großloge „Lessing zu den drei Ringen“, die insgesamt fast 1400 Brüder aufwies. Als Ehrenmitglieder fungierten unter anderen der Advokat Dr. Richard Schlesinger, der Großmeister der Großloge von Wien, und der berühmte Jugendstilmaler Alfons Mucha, der Großkommandeur des Obersten Rates der Tschechoslowakei. 1937 dokumentiert ein Verzeichnis vier Logen in Prag, von denen „Hiram zu den drei Sternen“ mit 146 Mitgliedern zu den größten zählte. Ihr gehörte der Schriftsteller Oskar Wiener an, der zahlreiche Anthologien publizierte und 1928 im Auftrag der Großloge Lessing einen Almanach freimaurerischer Dichtung herausgab.'° Auch Iyrische Kettensprüche entstammten seiner Feder: (...) Hat der Mensch sich selber überwunden, überwindet 50 _ ZWISCHENWELT er das Zeitgeschehn. (...)“'° Der Opernsänger Rudolf Bandler war zusammen mit dem kubistischen Maler Fritz Kausek, dem Porträtisten des Staatspräsidenten Tomä$ Garrigue Masaryk, als auch mit Karl Wagner und dem Bildhauer Karl Vogel in der Loge „Adoniram zur Weltkugel“. In der Loge „Harmonie“ befanden sich der Pianist und Professor der Musikakademie Franz Langer und die Architekten Viktor Löbl und Paul Albert Kopetzky. Kopetzky entwarf Grabmäler auf dem Neuen Jüdischen Friedhof und Logenbijoux.'” George Szell, Komponist, Pianist, Dirigent und Opernchef des Deutschen Theaters, gehörte ebenfalls dieser Loge an. Er war Freund und Kooperationspartner von Rudolf Serkin. Ihm gelang die Flucht nach Amerika, wo er als Chefdirigent das Cleveland Orchester leitete und zu Weltklasseniveau führte. Unter den Mitgliedern der Großloge befanden sich neben mancher künstlerischen Prominenz Prags vor allem zahlreiche Generaldirektoren, Advokaten, Ärzte, Bankiers und Fabrikanten mit einer besonderen Häufung von Akademikern jüdischer Herkunft. Auch Ullmanns Loge entspricht dieser Zusammensetzung. Gleichzeitig war die Kunst hier durch besondere Persönlichkeiten vertreten. Max Liebl war der stellvertretende Direktor des Deutschen Theaters. Dr. Ernst Weiss, ursprünglich Arzt, hatte sich der Schriftstellerei zugewandt und wurde mangels ausreichender Einkünfte von Ihomas Mann und Stefan Zweig finanziell unterstützt. 1937 lebte er in Paris, wo er sich 1940, nach dem Einmarsch der deutschen Iruppen, das Leben nahm. Wilibald Schweyda hingegen war ein berühmter Violinvirtuose. Er amtierte als Professor an der deutschen Musikakademie und spielte die erste Geige im Prager Quartett, einem der renommiertesten Kammermusikensembles der Zwischenkriegszeit. Dr. Paul Nettl, ein anderer Logenbruder, war ausgebildeter Jurist und Komponist, der unter anderem in Wien bei Guido Adler studiert hatte. In der Zwischenkriegszeit etablierte er sich in Prag als berühmter Musikwissenschaftler und Mozartforscher. 1932 publizierte er über Mozart und die Königliche Kunst, die freimaurerische Grundlage der Zauberflöte. Zudem unterrichtete er als Privatdozent an der Prager Universität, war seit 1927 Leiter des Musikwissenschaftlichen Instituts und ab 1933 musikalischer Direktor der deutschsprachigen Abteilung des Rundfunks der CSR. Zudem engagierte er sich für Flüchtlinge, die seit 1933 in Deutschland gefährdet waren. Selbst jüdischer Herkunft, gelang ihm die Emigration in die Staaten, seine Eltern hingegen wurden nach Theresienstadt deportiert, wo sie an den unmenschlichen Verhältnissen starben. Als Logenbruder war Nettl äußerst umtriebig. So gab er 1935 in Vertretung der Quatuor coronati coctus Pragensis das Blaubuch der Weltfreimaurerei heraus. Zudem zeichnete er sich durch zahlreiche Beiträge in der Freimaurerzeitschrift Die drei Ringe aus, in der auch Ullmann rege vertreten war. In der Mitgliedsliederliste stand Ullmann als Kapellmeister und Musikpädagoge. Bereits 1935 war eine große Anzeige über ihn geschaltet, dass er Musikunterricht in allen Gegenständen gebe. '"® Durch die intensive Auseinandersetzung mit der Anthroposophie und der Freimaurerei erfolgte für Ullmann Anfang der Dreißigerjahre eine geistige Neuorientierung. Er betätigte sich nicht nur aktiv am internen Musikprogramm für die Brüder — er spielte für sie während der rituellen Arbeiten Klavier —, sondern war immer wieder bei logenübergreifenden Festveranstaltungen aktiv und erntete dafür Beifall. So glänzte er im Sommer 1935 anlässlich eines Abends der Musiksektion, der von der Forschungsloge Quatuor Coronati veranstaltet wurde. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Künstler in der Kette“ und fand im Tempel des