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Lessingheims statt. Dabei wurden nicht nur Werke verstorbener
Brüder wie Mozart, Haydn oder Benda gespielt, sondern auch
zeitgenössische, wie die 1929 entstandenen Schönberg-Variationen
von Viktor Ullmann. Die Variationen hatten beim Musikfest der
„Internationalen Gesellschaft für Neue Musik“ 1929 in Genf
Aufsehen erregt, als sie vom bekannten Pianisten der Prager Oper,
Franz Langer, am Klavier vorgetragen worden waren. Nun fanden
sich beide als Brüder unterschiedlicher Logen in Prag vereint und
beeindruckten ihr ausgewähltes Publikum. In der einschlägigen
Zeitschrift Die drei Ringe. Monatsblätter für Freimaurerei und
verwandte Gebiete stand lobend zu lesen:

Einen überaus starken Erfolg hatten ferner die Schönberg-Variati¬
onen von Br. Viktor Ullmann (...). Ullmann hat seit dieser Zeit eine
Stilwandlung mitgemacht, es war aber außerordentlich interessant,
dieses Werk, das einer vergangenen Epoche angehört, zu hören. Die
sehr schwierigen polyphonen Variationen, insbesondere die Doppelfuge
am Schluß wurden von Br. Langer mit besonderer Gestaltungskraft
herausgearbeitet.”

Auch im Frühling, im April 1937, war er bei einem Abend mit
dem Titel Musik in Böhmen mit Brüdern und Schwestern aktiv
bei der Programmgestaltung präsent.”” Im Sommer brillierte er
in einer logenübergreifenden Festarbeit beim musikalischen Pro¬
gramm zusammen mit anderen, wie in der Zeitschrift des Bundes
berichtet wurde:

Um den glanzvollen Verlauf der Festarbeit hatten sich die Brüder
Ullmann, Langer, Bandler und Schwejda (sic!) durch ausgezeichnete
musikalische Darbietungen besonders verdient gemacht.”

Alle waren Vollprofis: Wilibald Schweyda Violinist, Franz Langer
Pianist und Bandler Opernsänger. Da sie alle in unterschiedlichen
Logen arbeiteten, bot ihnen die logenübergreifende Festarbeit den
idealen Rahmen, um auf musikalischer Ebene zu kooperieren.

Die Freimaurerzeitschrift Die drei Ringe bot Ullmann gleichzei¬
tig ein geeignetes Forum, seine Beschäftigungen mit Musik und
fernöstlicher und westlicher Philosophie in ausführlichen Artikeln
darzustellen. Mancher Artikel war nicht neu, sondern bereits früher
erschienen. Im September 1935 publizierte er seine Gedanken zur
Ästhetik der Tonarten, im Dezember über Swedenborgs Einfluß auf
Goethe, Balzac und Strindberg, im Jänner 1936 über Gustav Mahler
und im November 1936 über Musik und Staat.” Hier schloss er
mit den Worten:

Für den Künstler von heute ist es aber vielleicht nicht gleichgültig,
zu vernehmen, wie ältere Zeiten über seine Sendung dachten. Das
öffentliche Leben unserer Zeit ist ja nichts weniger als harmonisch, es
ist von Leidenschaften zerrissen wie unsere cholerisch-melancholische
Musik. Um zu „Mitte und Maß“ zu gelangen, zu jener heiter-ge¬
lassenen Stimmung, die über die großen Meisterwerke der Klassiker
ausgegossen ist, bedarf es bewusster Durchgeistigung unserer Musik,
die, wenn Plato zu vertrauen ist, auf das Leben der Staaten und
Völker einwirken wird.

Die „bewußte Durchgeistigung durch Musik“, um zu „Mitte
und Maß“ zu gelangen, scheint für Ullmann auch ein wesentlicher
Bestandteil seiner Kompositionstätigkeit gewesen zu sein.

1937 verstummte er und unterbrach sein Engagement im Bruder¬
kreis. Viktor Ullmann erlebte einen psychischen Zusammenbruch
und musste sich in therapeutische Behandlung begeben. Diese fand
er in Wiesneck bei Freiburg im Breisgau in einer anthroposophi¬
schen Klinik.’ Dort erhielt er nicht nur psychische Hilfe, sondern
hielt quasi als Selbsttherapie Vorträge über Musik.

Sein psychischer Zusammenbruch machte ihm bezüglich seiner
Abwesenheit in der Loge große Sorgen. In einem Brief an seine
Frau Annie vom 28.12.1937 schrieb er: ,,... denn die L ... z.B.
darf ich länger nicht versäumen (...) Wer soll dort spielen?“ Am
1.1.1938 klagte er: „DieL ... haben keinen Ersatz, sie zu verlieren
wäre schlimm. “”* Zudem rief man ihn zu seinem sterbenskranken
Vater nach Wien. Ebenso wie zu seiner Mutter war das Verhältnis
stets schwierig gewesen, nun erfolgte auf dem Sterbebett die Ver¬
söhnung. Als der Vater 1938 verstarb, ermöglichte ihm sein Erbe
nicht nur, seine finanziellen Ausstände für den Therapieaufenthalt
zu begleichen, sondern viele seiner Kompositionen im Selbstverlag
herauszugeben und damit für die Nachwelt zu sichern.

Doch die politischen Verhältnisse spitzten sich zu und konfron¬
terten ihn durch die Nürnberger Gesetze und die Zerschlagung der
CSR durch Hitlerdeutschland nicht nur mit Berufs- und Auffüh¬
rungsverbot, sondern zudem mit seiner jüdischen Abstammung.
Sein Leben war gefährdet. Der mittlerweile der evangelischen
Konfession Angehörende bemühte sich zusammen mit seiner
Frau intensiv um die Emigration. Dem Paar gelang es, zwei seiner
Kinder nach England zu evakuieren, ihnen selbst misslang die
Flucht. Auch die Ehe wurde geschieden, und Ullmann heiratete
1941 Elisabeth Frank-Meissl. 1940 starb seine Mutter in Prag an
Krebs. Ullmann konnte bis Herbst 1942 noch innerhalb der Prager
Jüdischen Kultusgemeinde unter der Deckbeschäftigung so ge¬
nannter Umschulungskurse in einem Untergrundkonservatorium
komponieren und unterrichten. Am 8. September 1942 wurde er
nach Theresienstadt deportiert, ebenso seine zwei geschiedenen und
die aktuelle Ehefrau. Sein kleinster Sohn starb bereits im Jänner
1943 in Theresienstadt an den Lagerbedingungen, alle anderen

wurden in Auschwitz ermordet.

Komponieren im Wartesaal des Todes

Theresienstadt war und ist für mich Schule der Form.
Viktor Ullmann”

Die ehemalige Garnisonsfestung der Habsburgermonarchie wurde
von den Nationalsozialisten zwischen 1941 und 1945 in ein jü¬
disches Sammellager verwandelt. Hierher deportierten sie in den
folgenden dreieinhalb Jahren auch viele Prominente aus Kunst
und Wissenschaft aus dem ehemaligen Österreich, der ehemaligen
Tschechoslowakei und dem deutschen Reich, die die Nürnberger
Gesetze als jüdisch definiert hatten. Zu Nummern degradiert,
lebten sie unter menschenunwürdigen Rahmenbedingungen zu¬
sammengedrängt in unglaublicher Dichte aufkleinstem Raum. Im
September 1942 zählte man auf den nur 1,5 Quadratmetern einen
Höchststand an Inhaftierten. Über 53.000 Personen vegetierten,
hungerten, froren und litten hier. Allein in diesem Monat starben
3.941 Personen.” Theresienstadt erhielt eine Sonderstellung in¬
nerhalb der Konzentrationslager. Vom NS-Regime als „Jüdische
Mustersiedlung“ getarnt, fungierte Terezin in Wirklichkeit als
Transitstation in die Massenvernichtungslager des Ostens.

In Iheresienstadt potenzierte sich alles. Es herrschten Resignati¬
on und Apathie, aber auch der physische und psychische Überle¬
benswille. Einigen wenigen rettete die musikalische Tätigkeit das
Leben. Manche konnten sich vor einem Transport durch Inter¬
vention bewahren. Die dadurch entstandene Lücke in der von der
SS festgelegten Anzahl musste allerdings durch eine andere Person

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