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Editorial Der Vorzug eines Buches, so wenig es vielleicht unter die Leute kommt, ist seine greifbare Körperlichkeit: Es ist da im Reich der Dinge und läßt sich, sofern es nur minimale Verbreitung fand, nicht mehr wegwischen. In den Bibliotheken nimmt es teil an der großen Demokratie der Bücher. Was zwischen zwei Buchdeckel gepreßt ist, müßte auch inhaltlich einen Zusammenhang haben. Wenn Menschen, die im Exil leben oder gelebt haben, ihre Erinnerungen als Bücher gedruckt schen wollen, wo es doch günstiger und bequemer schiene, sie in bloß digitaler Form bereitzustellen, geht es ihnen um eine Präsentation in physischer Präsenz und mit dem Prestige, das ein Buch hat. Ähnlich verhält es sich ja mit dem Unterschied zwischen einem virtuellen Museum des Exils und einem Haus oder Museum des Exils mit einem festen Platz auf dem Erdboden - wie jede andere Gedenkstätte auch. Das Geburtshaus Theodor Kramers sollte - ginge es nach den Wünschen der Theodor Kramer Gesellschaft - zur Gedenkstätte werden. Beherbergte es ursprünglich, vermutlich samt nicht mehr vorhandener Nebengebäude, die Meierei des benachbarten Gutshofes, wurde es 1892 zum Wohnsitz der Familie und zur Ordination des Gemeindarztes Dr. Max Kramer. Nachdem dieser nach seiner Pensionierung 1928 nach Wien übersiedelt war, wurde es, zuerst von den „Dienerinnen des heiligsten Herzens Jesu“, dann von der Marktgemeinde, für den Kindergarten genutzt. 1996 wurde es durch einen Zubau erheblich erweitert, auf eine Grundfläche von 363 m?. Seit 2009 steht das Haus leer. Eigentümerin ist die Gemeinde. Im Innern des Hauses hat sich praktisch nichts aus der Zeit erhalten, in der Theodor Kramer hier aufwuchs. Derzeit ist in ihm noch die Theodor Kramer-Ausstellung „Vom Nicht-Beigeben“ für angemeldete BesucherInnen und auf ihm eine schlichte Gedenktafel für Kramer zu schen. Was erhalten geblieben ist, ist die Lage des Hauses, eine Perspektive, die in viele Gedichte Kramers Eingang fand. Harald Maria Höfinger, geboren in Niederhollabrunn und Mitglied des Vorstandes der Theodor Kramer Gesellschaft von den Anfängen an, beschreibt die Besonderheit des Platzes mit den Worten: Das den Naturgewalten ausgesetzte Doktorhaus auf dem Kirchberg, das letzte Haus vor dem Friedhof und der von den Bauern geschaffenen Kulturlandschaft, eröffnete Theodor Kramer einen Blickwinkel, der Weite und Abstand zuließ,, ohne den einzelnen mit dem Dasein ringenden Menschen, die schnaufende Kreatur, das zu nichts nutze Unkraut zu übersehen oder gar gering zu schätzen. Es bedarf der Distanz, um die empfindlichen Instrumente sinnlicher Wahrnehmung zu schärfen, den Mehrwert des Nichtigen fernab von bloßem Messen und Wägen zu erfahren, dem Einebnen, Begradigen und Ausgrenzen zu widersagen. Trat er aus dem Haus, hatte er jenseits des seichten Hohlwegs freie Sicht auf die Felder, die je nach Jahreszeit in unverrückbaren grünen, strohgelben oder braunen Streifen vor ihm lagen, wo die fruchtbaren Ackerflächen nach der Aussaat zu flachen, weitläufigen Quadern aus windbewegten Halm- und Blattpflanzen heranwuchsen, zuerst mäßig doch alsbald Neigung gewinnend zum Weinberg hin anstiegen und am Horizont scheinbar in den Himmel übergingen. Aufdem Weg dorthin lockte die kleine Schlucht, eine mit Bäumen und Sträuchern verwachsene Geländeeinkerbung, im Volksmund „Gschliachdn“ genannt, ein 4 ZWISCHENWELT für den Ackerbau ungeeigneies, verwildertes Niemandsland, das den Heranwachsenden als Zufluchtsort für zeitenthobenes Spielen und Täagträumen fern jeglichen elterlichen Zugriffs diente. Rehe suchten hier tagsüber Deckung, Fasane saßen zur Nachtruhe im Astwerk der Nussbäume auf, Vogelscharen waren Holler und Hagebutte, den Beeren von Schlehdorn und Kornelkirsche hinterher .... (Harald Maria Höfinger: Theodor Kramer - „In einem Dorf bin ich geboren“, Beitrag zur neuen Einführung in Leben und Werk Kramers, die aus Anlass des 60. Todestages erscheinen wird). Blick vom „Doktorhaus“ auf die „Gschliachdn“. Foto: H.M. Höfinger Für das „Doktorhaus“ bietet sich aufgrund der Größe der umbauten Fläche eine gemischte Nutzung an, und zwar als Kultur-, Seminar- und Begegnungszentrum. Denkbar wäre die Einrichtung eines kleinen Kaffeehaus-Betriebes im Bereich des Zubaus von 1996, der einen eigenen Eingang besitzt. Einer der beiden großen ehemaligen „Gruppenräume“ könnte als Ort für eine ständige Theodor Kramer-Ausstellung genützt werden, der andere als Seminar- und Veranstaltungsraum, in dem auch Ausstellungen von Gegenwartkunst gezeigt werden könnten. Die Theodor Kramer Gesellschaft wäre in diesem Fall bereit, in ihrem Besitz befindliche Originale - so eines der typischen Gedicht-Hefte Kramers und Erstausgaben seiner Bücher - für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Sinnvoll wäre es, in einem der Nebenräume eine kleine Dokumentationsstelle für Theodor Kramer einzurichten, die Publikationen, Vertonungen, Hinweise auf Veranstaltungen und auf künstlerische Auseinandersetzungen mit Theodor Kramer-Bezug sammelt. Auch dafür könnte die Theodor Kramer Gesellschaft etliches Material zur Verfügung stellen. Im Vorgarten könnten Sträucher und Bäume angepflanzt werden, die in Kramers Gedichten vorkommen - eine Art Kramer-Garten. Das wäre die Idealvorstellung. Schon seit einigen Jahren wird informell verhandelt. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hat zugesagt, das Anliegen eines Kramer-Gedenkraums in Niederhollabrunn nach Maßgabe der Möglichkeiten durch die entsprechenden Stellen der Landesregierung zu unterstützen. Inzwischen ist auch die Zufahrt, der Theodor-Kramer-Weg, an dem auch der Friedhof und der neue Kindergarten liegen, asphaltiert worden. Es besteht also Hoffnung.