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gegenüberstanden. Von Beginn an bestand Liselotte auf ihre Unabhängigkeit: Sie ging fast täglich ins Kino, um Englisch zu lernen, matrikulierte am Hunter College und verließ das Elternhaus. Da das in Manhattan gelegene Hunter College die Aufnahmebedingungen recht locker interpretierte, begannen zahlreiche jüdische weibliche Flüchtlinge, an dieser Universität zu studieren. Ruth Klüger beschrieb diese Zeit später in ihrem Buch weiter leben: Eine Jugend (Göttingen 1992) und kam auch aufihre Freundinnen Liselotte, Kit und Monique zu sprechen, mit denen sie über die Jahrzehnte eine enge Freundschaft verband. Die Schriftstellerin beschrieb das gegenseitige Einverständnis, das zwischen Liselotte und ihr herrschte: „Sie und ich hatten als ein Gemeinsames eine Kindheit, die das Vorstellungsvermögen strapaziert.“ Sie zitierte in diesem Werk auch einen Ausspruch, den Liselotte — in der deutschen Version trägt sie den Namen Anneliese — tätigte: „Eine unnatürliche Situation [...] wird natürlich, wenn sie dort, wo man sich befindet, ‚normal‘ ist.“ Nach Abschluss eines Bachelor-Studiums begann Liselotte Marshall auf der Yale Universität ein Master-Studium für vergleichende Literaturwissenschaft. Dort lernte sie ihren späteren Mann Peter Marshall kennen, der an seinem Doktorat im Fach US-amerikanische Geschichte arbeitete. Liselotte beschrieb in späteren Jahren, wie entsetzt ihre Mutter war, als sie erfuhr, dass ihr einziges Kind einen Mann zu heiraten beabsichtigte, der kein Jude war. Nach Ansicht ihres Vaters konnte die Familie jedoch nur froh sein, dass irgendwer seine Tochter, einen „Krüppel“ und eine Konvertitin, heiraten wollte (sie ging aufgrund der Auswirkungen der Knochentuberkulose an einem Stock). Dass sie diese Tatsachen mit einer Prise Sarkasmus berichtete, sagt viel über ihre Einstellung zu ihren Eltern und ihrer Behinderung aus. Ihre Eltern bemitleidete sie fast ob ihrer engstirnigen Anschauungen. Was ihre Behinderung betraf, so sah sie sich selbst niemals als Opfer und wollte auch als keines behandelt werden. Diese Einstellung untermauern nichts mehr als ihre eleganten Gehstöcke, die sie in Antiquitätengeschäften fand und die unter ihren Freunden heiß begehrt waren, auch wenn diese auf keinen Gehbehelf angewiesen waren. Im Jahr 1953 zogen Peter und Liselotte nach England, um zu heiraten. Peter hatte an der Universität in Bristol eine Stelle Liselotte Marshall. Foto: Archiv Oliver Marshall 8 _ ZWISCHENWELT angenommen. Im Jahr 1954 und 1957 wurden ihre Kinder Eleanor und Oliver geboren. In den darauffolgenden Jahren führte Peter Marshalls akademische Karriere die Familie nach Kalifornien, zurück nach Bristol, nach Montreal und schließlich nach Manchester. In Bristol und Montreal unterrichtete Peter die Geschichte des britischen Imperiums, was die Familie mit vielen internationalen Studenten, besonders aus Afrika, Bekanntschaft schließen ließ. Liselotte entdeckte in den fünfziger Jahren afrikanische Autoren für sich und begann in Bristol an einem Doktorat über diese Literatur zu arbeiten, wiewohl die Werke dieser Schriftsteller damals keiner wissenschaftlichen Erörterung wert befunden wurden. Sie schloss die Dissertation nicht ab, behielt aber ein lebenslanges Interesse an der Literatur des afrikanischen Kontinents bei. In den Trödlerläden von Bristol entdeckte Liselotte auch ihr Talent, wahre Schätze ausfindig zu machen, und bildete sich auf Auktionen und in Antiquitätengeschäften weiter. Auch literarisch begann sie sich in dieser Zeit zu betätigen Da Liselotte ohne ein richtiges Zuhause aufgewachsen war, war ihr ihre physische Umgebung enorm wichtig. Häufige Umzüge fielen ihr nicht zur Last, sondern stellten für sie eine Gelegenheit dar, neue Einrichtungs- und Kunsthandwerksgegenstände sowie Antiquitäten zu erwerben, wegzugeben oder neu zu arrangieren. Selbst als Yale-Studentin unternahm Liselotte gehörige Anstrengungen, um Schwung in die Studentenbuden ihrer Freunde zu bringen, indem sie eine hübsche Bettdecke oder ein buntes Poster für sie fand. Nach ihrer Pensionierung zogen Liselotte und Peter von Manchester nach Derbyshire und schließlich nach London. Peter lebte dort bis zu seinem Tod im Jahr 2008, Liselotte verblieb bis zu ihrem Tod im Mai dieses Jahres in der Wohnung in Wimbledon. Zeit ihres Lebens erhielt Liselotte ihr Verbindung mit der Schweiz aufrecht. Sie besuchte oft ihre Freunde sowie die Krankenschwestern in de Klinik in Leysin sowie Bekannte und Kollegen in Zürich. Die Schweiz spielte auch in ihrem Werk Tongue-Tied eine wichtige Rolle, in dem Leysin in Péniel umbenannt wurde. Jahrelang bestand sie darauf, dass das Buch nur als Fiktion betrachtet werden sollte, gab mit der Zeit jedoch zu, dass es ein autobiographischer Roman war, und kam schließlich zu dem Schluss, dass ihre Liselotte Marshall in späten Jahren. Foto: Archiv Oliver Marshall