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war „ein Mann nach Görings Geschmack, brutal und gierig“.’ In Polen verband Mühlmann auch eine Freundschaft mit Odilo Globocnik, dem Leiter der „Aktion Reinhardt“ zur Vernichtung der Juden, dem die polnischen Konzentrationslager Sobibor, Belzec und TIreblinka unterstanden. Als Arthur Seyss-Inquart von Hitler zum Reichskommissar für die besetzten Niederlande im Mai 1940 bestellt wurde, konnte Mühlmann in Den Haag die „Dienststelle Mühlmann“ aufbauen. In Paris leitete sein Halbbruder Josef, der nach dem Krieg als Kustos der Salzburger Landesgalerie nahtlos in den öffentlichen Dienst übertreten konnte, die Außenstelle. Wieder ging es um den Raub von Kunstgütern und deren Verkauf an die Nazi-Größen Hitler, Göring, Baldur von Schirach und Hans Frank.‘ Kajetan Mühlmann tat sich aber stets auch selbst an den geraubten Kunstgütern gütlich und ließ sich Werke in seine Wiener Wohnung am Rennweg 6 bringen. Vorübergehend wurden auch Antiquitäten im Schloss Fischhorn in Bruck an der Glocknerstraße gelagert. Nach der Kriegserklärung Deutschlands an die Sowjetunion und der Besetzung Lembergs war der unbarmherzige Kunsträuber Mühlmann wieder an vorderster Stelle mit von der Partie, um, Hankiert von SS-Einheiten, Kulturgüter zu rauben. Besonders abgeschen hatte er es auf die Dürer-Zeichnungen des OssolinskiMuseums, die er unverzüglich an Hermann Göring weiterleitete, der sie Hitler schenkte. Ob Mühlmann in die Gräueltaten der SS involviert war, lässt sich jedoch nicht feststellen. Historisch gesichert ist jedenfalls, dass vom 3. auf den 4. Juli 1941 in Lemberg 25 Professoren der Universität verhaftet und mit ihren Frauen und Kindern erschossen wurden. Als der für seine gigantomanischen Skulpturen von Hitler besonders geschätzte Bildhauer Josef Thorak im Jahr 1943 das im Besitz der Familie Hugo von Hofmannsthals befindliche Schloss Prielau bei Zell am See in seinen Besitz gebracht hatte, ließ er sich von Mühlmann gotische Türen und Skulpturen aus Frankreich und den Niederlanden herbeischaffen. Thorak wie Mühlmann waren gewissenlose Karrieristen reinsten Wassers. Bei Kriegsende floh Mühlmann nach Seewalchen am Attersee, wo er schließlich am 13. Juni 1945 verhaftet wurde. Zu einem Prozess kam es aber nicht. Im Jahr 1947 gelang ihm die Flucht aus dem amerikanischen Internierungslager in Peuerbach/OÖ. Fortan lebte er unbehelligt am Starnberger See und bestritt seinen Lebensunterhalt durch den Verkaufvon Kunstgütern, die er in seiner verbrecherischen Tätigkeit beiseite geschafft hatte. Ein Leben im friedlichen Rückblick dürfte ihm aber nicht beschieden gewesen sein, denn er starb 60-jährig am 2. August 1958 an Krebs. Siebzig Jahre nach dem Ende des Krieges sind noch Tausende der von Mühlmann geraubten Kunstgüter vermisst. Walter Genewein (1901 — 1974) — Der Verklarer des Genozids Die NS-Strategen verfolgten zur Vorbereitung des Holocaust an den europäischen Juden eine zweifache Strategie. Zum einen wurde mit Hilfe von Propagandafılmen wie „Jud Süß“ oder „Der ewige Jude“ die jüdische Bevölkerung als „verdorbene Rasse“ dargestellt und mit Ratten und Ungeziefer verglichen. Zum anderen wurden auch Filme wie „Iheresienstadt“ gedreht, welche die Lebensverhältnisse in einem Konzentrationslager als eine „Wohltat Hitlers“ erscheinen lassen sollten. Auch Fotoserien in der nationalsozialistischen Presse dienten dem Zweck, die Wirklichkeit zu manipulieren. Be REEL Walter Genewein beim Geldzählen. Foto: Jüdisches Museum Frankfurt/M. Zu den propagandistischen Machwerken der NS-Ära zählen auch die 400 Farbfotos, die der aus Saalfelden am Steinernen Meer stammende Walter Genewein in Ghetto Lödz (Litzmannstadt) anfertigte.” Er war Leiter der Finanzverwaltung und hatte den Auftrag, als Gegensatz zur Realität des beengten Lebensraumes, des Hungers, der täglichen Deportationen und Erschießungen zu zeigen, wie die ghettoisierten jüdischen Bewohner ein normales Leben führen konnten. Im Ghetto Lödz, das 1940 eingerichtet worden war, mussten an die 200.000 Juden Zwangsarbeit leisten. Im Mai 1942 begannen erste Deportationen ins Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof), denen 55.000 Juden zum Opfer fielen. Erst als der Lagerleiter Hans Biebow das KZ zu einer Produktionsstätte zur Erzeugung von Textilien für die Wehrmacht umwandelte, wurden die Deportationen eingestellt. Für Neckermann, Karstadt und die AEG wurde emsig unter unmenschlichen Bedingungen produziert. Als im Mai 1944 das Ghetto schließlich aufgelöst wurde, wurden die verbliebenen Insassen nach Auschwitz verfrachtet und zum größten Teil mit Giftgas ermordet. Genewein, der sich bereits vor seinem Dienst im Ghetto als Hobbyfotograf versucht hatte, dürfte für seine Aufnahmen einem jüdischen Insassen die Spezialkamera entwendet haben. Seine Fotos zeigen überwiegend Arbeitsabläufe im Ghetto, keineswegs aber die Alltagsrealitäten, wie Selektionen, Deportationen, an Seuchen Erkrankte oder Erschießungen. Das tatsächliche tägliche Grauen bekommen wir durch die Fotos der beiden jüdischen Ghettobewohner Mendel Grossmann und Henry Ross vermittelt, die für die Erstellung von Fotos für die Identitätskarten der Juden zuständig waren. Unter größter Lebensgefahr haben die beiden die unter grausamem Druck und Hunger zu erduldende Zwangsarbeit der Juden dokumentiert. Erst als 1988 ein Angehöriger eines soeben Verstorbenen die Negative Geneweins dem Antiquariat Löcker in Wien zu Verkauf anbot, gelangten diese durch die Herausgabe des Buches „Unser einziger Weg ist Arbeit — Das Ghetto in Lödz“ an die Öffentlichkeit.‘ Genewein, der fotografische Verklärer des Holocaust, leugnete 1947 bei einem Prozess vor dem Volksgericht in Nürnberg, sich an den Wertgegenständen der Juden bereichert zu haben. Auch von den rund 100.000 Deportationen und den 55.000 Tötungen habe er nichts mitbekommen. Er wurde freigesprochen und lebte als angeschener Bürger in Salzburg. Genewein ist ein weiterer Beweis, dass in totalitären Regimen die Stigmatisierung und Dämonisierung des Anderen (in diesem Fall der Juden und Bolschewisten) nicht als radikale Inhumanität, sondern als bürokratischadministratives Problem aufgefasst wird. Das Führerproblem und die Bewunderung für Verbrechen sind nach Hannah Arendt ein siamesischer Zwilling. Dezember 2017 17