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Andreas Rieser (1908 — 1966) — Ein Kaplan gegen „Nazedonien“ Während der Wiener Erzbischof Theodor Innitzer den Einmarsch Hitlers in Österreich bloß als eine „große politische Umwälzung“ empfand und die Bevölkerung aufforderte, „Gott dem Herrn zu danken für den unblutigen Verlauf“ und „allen Anordnungen der Behörde gerne und willig Folge zu leisten“, gab es unerschrockene Geistliche, die vor der Gefahr des Nationalsozialismus warnten und Gefahr liefen, vom Regime vernichtet zu werden. Einer davon war der unerschrocken und wehrhaft auftretende Pfarrer Andreas Rieser. Er wurde am 1. August 1908 in Dorfgastein geboren und wirkte zunächst als Kooperator im Zillertal. Als er im Jahr 1938 zum Pfarrprovisor seiner Heimatgemeinde Dorfgastein bestellt wurde, erfolgte gerade die Renovierung der Kirche. Entsprechend einer kirchlichen Gepflogenheit wird im Knauf des Turms ein Zeitdokument hinterlegt, wie dies seit Jahrhunderten der Fall ist. Der junge Priester legte in seinem Schriftstück die politischen Geschehnisse der letzten Monate in seinem Heimatland dar, weil er für die Nachwelt den ideologischen Wahnsinn und die grausame Inhumanität dokumentieren wollte. In diesem Dokument bezeichnete Rieser Hitler-Deutschland als „Nazedonien“: Alle erhoffen sich von Hitler die Rettung... das preufSische Grofsmaul hat viele Worte, aber wenig Geist... Wir Priester haben einen schweren Stand. Gar manche, von den Nazi eingekerkert, sitzen heute noch. Viele berühmte Männer kamen nach Dachau und wurden dort schrecklich behandelt." In Verkennung seiner persönlichen Gefährdung übergab er das Dokument dem Spengler Reichholf, der es dem Ortsgruppenleiter Katholnigg weiter reichte. Rieser wurde daraufhin am 31. Juli 1938 ins KZ Dachau transportiert, mit Knüppelhieben traktiert und am Todestag des Papstes Pius XI. zusätzlich grausam gequält. Die Gestapo-Beamten verspotteten Papst und Kirche: Was sagst dazu, Kaplan vom Zwiebelturm? Der Papst in Rom ist kaputt ... Nach dem kommt keiner mehr! Werft Euer Gelumpe weg! Wenn wir nach Rom kommen, werden alle Pfaffen umgebracht. Daraufhin wurde er drei Tage lang geschlagen, ihm das Nasenbein gebrochen und das Knie zerschlagen. An einem eisigen Wintertag drückten ihm die SS-Schergen eine Stacheldrahtkrone aufs Haupt. Nachdem ein SS-Offizier einen Brief Riesers nach Rom geschmuggelt hatte, soll der Papst das Schreiben dem NSAußenminister Ribbentrop gezeigt haben. Daraufhin wurde den Priestern in Dachau eine bessere Behandlung zuteil. Von nun an erhielt Rieser eine Vertrauensstellung und konnte vielen Mithäftlingen helfen, was ihm den Ehrentitel „Der Engel von Dachau“ eintrug. Nach seiner Befreiung durch die US-Iruppen war Andreas Rieser Pfarrer im Oberpinzgauer Ort Bramberg, wo er sich besondere Verdienste bei der Kirchenrenovierung erwarb. Er starb an den gesundheitlichen Folgen seiner siebenjährigen Haft bereits 58-jährig und liegt auf dem Bramberger Friedhof begraben. 20 ZWISCHENWELT Johann (1902 - 1971) und Margarethe (1912 — 2006) Oblasser — die Beschiitzer der Deserteure vom Bondlsee Man mag es als politische Einfaltigkeit oder als Beharren auf den christlichen Werten der Nachstenliebe und Barmherzigkeit einschätzen, was den ' Bergbauern Johann Oblasser „ im Unterpinzgauer Ort Ta=< xenbach dazu bewogen haben mag, Wehrmachtsdeserteuren © Schutz und Unterkunft zu bie4 ten. Sechs Deserteuren rund um B) den 34-jährigen Witwer Karl mj Ruppitsch war es gelungen, sich im Jahr 1944 in der Nähe des Böndlsees zwischen Goldegg und Lend zu verstecken.'’ Karl Ruppitsch war schon friiher dem NS-Regime aufgefallen, weil er illegal geschlachtetes Fleisch verkauft und damit gegen die kriegswirtschaftlichen Gesetze verstoßen hatte. Eines Tages erschienen zwei dieser Deserteure am Vorderbrandstättgut des Johann Oblasser auf 1.000 m Seehöhe und baten um Zuflucht für einige Zeit. Wohl auf Fürsprache seiner Schwester Margarethe, die beim Zementwarenerzeuger Kaspar Wind in St. Johann im Pongau (damals: Markt Pongau) arbeitete und dadurch Kontakt zur Widerstandsgruppe hatte, gewährte der Bauer Johann Oblasser den zwei Flüchtigen in einem Nebengebäude Unterschlupf. Ob einer der beiden Deserteure Ruppitsch gewesen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Nach ihrem Verschwinden vom Hof sprach jedenfalls einer von ihnen bei einer Tanzveranstaltung in Goldegg zu viel dem Alkohol zu und prahlte von seinem Versteck, was in einer Gesellschaft voller politischer Spitzel und Denunzianten nicht ohne Folgen blieb. In der Nacht vom 1. auf den 2. Juli wurde von der SS, die mit 1.000 Mann anrückte, das gesamte Gebiet zwischen Mühlbach am Hochkönig und Dienten eingekreist und alle Höfe nach den Deserteuren abgesucht. Dieses Ereignis wird noch heute im Pongau als der „Sturm des 2. Juli“ bezeichnet. Eine 25 Mann starke Truppe rückte auf dem Hof des Bauern Oblasser an. Oblasser wurde gefangen genommen und nach Salzburg in die Haftanstalt eingeliefert. Karl Ruppitsch hatte Oblasser versprochen, dass er sich im Falle seiner Verhaftung durch Selbstmord einem Prozess und der sicheren Hinrichtung entziehen würde, um seine Unterstützer nicht zu gefährden. Ob der von der Folter schwer gezeichnete Ruppitsch im Polizeigefängnis Oblasser als seinen Beschützer verraten hat, kann dokumentarisch nicht belegt werden. Ruppitsch wurde am 28. Oktober 1944 in Mauthausen gehängt. Oblassers Schwester Margarethe wurde am 11. Juli 1944 wegen verbotenen Radiohörens und Unterstützung der Deserteure durch die für ihre Brutalität bekannten Gestapo-Beamten Georg König und Josef Erdmann verhaftet. Ihr wurde auch ihr Dienstgeber Kaspar Wind vorgeführt, dessen Gesicht durch die Foltermethoden derart entstellt war, dass sie ihn zunächst gar nicht erkennen konnte. Margarethe Oblasser wurde in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert (Häftlingsnummer 61.365) und kam Johann Oblasser. Foto: Eltz-Hoffmann