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Wolfgang G.H. Schmitt-Buxbaum Carl Frieds Exil in Brasilien Genialer Radiologe und Gelegenheitsdichter Carl Fried wurde am 22.7.1889 im bayerischen Bamberg geboren. Er stammte aus einer Familie jiidischen Glaubens, die im Hopfenhandel tatig war. Er war vielseitig talentiert. Das Privileg, Medizin studieren zu diirfen, vertiefte seine Verbundenheit mit seinem Heimatland, die auch durch Unrecht und Vertreibung nicht zerstört wurde. Er war Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg. Ohne seine Gedichte wüssten wir fast nichts über ihn; diesen Gedichten ist kein ästhetischer, sondern ein biographischer Maßstab anzulegen. Fried könnte man einen „begabten Dilettanten“ nennen, einen, der das Verlangen spürte, Wahrnehmungen, Erfahrungen, Träume, Ängste in Versen festzuhalten. Worms, „Heidenhain und Fried“, Politik 1920, zu Friedenszeiten fand Carl Fried in dem Chirurgen L. Heidenhain! in Worms am Rhein den entscheidenden Förderer. Dieser hatte sich einen Namen gemacht, ihm war als Erstem die Operation einer angeborenen Zwerchfelllücke gelungen. Sein Plan für seine letzten Berufsjahre war eine Herausforderung, die er nicht alleine bewältigen konnte. In Carl Fried fand er den geeigneten Mitarbeiter. Das Thema, welches die beiden Chirurgen Heidenhain und Fried zu einem wissenschaftlichen Markenzeichen ausbauten, war die Beeinflussung von Entziindungen durch kleine und kleinste Dosen von Réntgenstrahlen.? Das war zu dieser Zeit die stärkste Maßnahme zur Entzündungshemmung, die bei nicht-bösartigen Krankheitsbildern angewendet wurde, wo andere, damals bekannte Mittel versagten. — Hauptsächlich wurden Strahlen damals wie heute bei Erkrankungen durch maligne Tumore angewendet. Die literarische Gesellschaft „Schlaraffia“ nahm Fried als Mitglied auf. Die Stadt und das Krankenhaus zollten Fried und seiner jungen Familie höchste Anerkennung.’ Diese überwog bei Weitem gewisse antisemitische Ressentiments, welche nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und den wirtschaftlichen Schwierigkeiten aufkeimten. Fried sah sich in der Pflicht, als Vorsitzender einer Ortsgruppe jüdischer Frontsoldaten (RjF) an ca. 100.000 Glaubensbrüder zu erinnern, die im Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite gekämpft hatten, und an 12.000 jüdische Soldaten, die auf der Seite des Reichs gefallen sind. In Österreich-Ungarn war die Zahl der Soldaten jüdischen Glaubens mit 300.000 noch viel größer, ebenso auch die Zahl der Gefallenen. Er plante und verwirklichte das „Wormser Denkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Angehörigen der Israelitischen Wormser Gemeinde“, erhalten auf der Hochheimer Höhe bei Worms als Zeugnis für das Selbstverständnis der Wormser Juden nach 1918. G. Bönnen hat das Totschweigen dieses jüdischen Denkmals über lange Zeiträume untersucht und vergleicht es mit der „Damnatio memoriae“ im alten Rom.‘ Zurück zur Strahlentherapie: Im Rahmen der Vorbereitungen einer systematischen Untersuchung der Bestrahlung nicht-maligner Erkrankungen schickte Heidenhain Carl Fried zu einer längeren 22 __ ZWISCHENWELT Hospitation nach Wien zu Leopold Freund, der bereits 1897, gut ein Jahr nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen, über deren Anwendung bei einer nicht-bösartigen Erkrankung berichtet hatte. Er hatte 1903 das erste Lehrbuch der Strahlentherapie verfasst. Würzburg ist der Ort der Entdeckung, Wien der der ersten therapeutischen Anwendung dieser Strahlen am Menschen. In Frankreich (Paris) wurde durch Becquerel 1896 die natürliche Strahlung von Uranverbindungen entdeckt und der Begriff „radioaktiv“ geprägt. Das Ehepaar Curie hat aus großen Mengen von Oxiden des Urans zwei neue Elemente Polonium und Radium isoliert. Der geistige und materielle Austausch zwischen den chemaligen Kriegsgegnern war gestört. Trotzdem gab es in Deutschland und Österreich viele, die besonders Marie Curie mit großer Hochachtung begegneten. — Fried hat erst 1940 in Brasilien Radium zur Therapie verwendet, worüber sein Buch berichtet. Die hier geschilderten Arbeiten von Heidenhain und Fried in Worms erfolgten ausschließlich mit Röntgenröhren, also mit Geräten die mit elektrischem Strom betrieben werden und an- und abschaltbar sind. Die beiden Wormser systematisierten die Auswahl, Betreuung und Nachuntersuchung der Patienten, die technischen Grundlagen, sowie die bakteriologische und experimentelle Untermauerung — nie ohne den Appell an die Einfühlsamkeit des Arztes, wie sie Carl Fried in folgenden Versen anspricht: Tulpen im Sprechzimmer Und mancher Kranke, dem ich Schweres künde, sieht auch die Blumen, und er ahnt vielleicht, dass aus dem Zimmer das Gefühl nicht weicht und dass ich — als ein Mensch mit ihm empfinde. (Werkverzeichnis 6) Neben Wien, Berlin, München, Köln war das Duo „FriedHeidenhain“ fast zehn Jahre führend auf dem Gebiet der Strahlentherapie. — In den Folgejahrzehnten rückte man von den Anweisungen Frieds ab. Kunstfehler° brachten die Methode in Misskredit, außerdem entstand übermächtige Konkurrenz durch neuartige Medikamente (Antibiotika). Heute haben nationale Fachgesellschaften in Europa Richtlinien festgelegt: Unter deren strengen Kriterien werden diese Methoden auch heute noch angewendet. „Entzündungsbestrahlung“ ist ein stark vereinfachendes Schlagwort.’ Am jüdischen Krankenhaus in Breslau, Flucht 1928 übernahm Fried in Breslau eine leitende Stelle am „Jüdischen Krankenhaus“. Er profilierte sich durch technische Neuerungen. — Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 verlor das Krankenhaus einen Großteil seiner Patienten, und zwar die nicht-jüdischen. Die jüdische Bevölkerung verarmte und konnte sich daher die Krankenhaus-Behandlung nicht mehr leisten. Willkür und Schikane im Alltag wurden durch Gesetze ermöglicht, die den Schein der Legalität wahrten. Eine der vielen