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Maßnahmen, die Fried betrafen, war die Auflösung der literarischen Gesellschaft „Schlaraffia“. Die zwangsweise Schließung der ältesten „Schlaraffenburg in Prag“ kommentiert Fried in den Versen: Praga Brüder, wir sind ärmer worden, seit man siegelte und schloß unsrer Praga® hohe Pforten, seit die witzlosen Barbaren niedertrampelten, was groß. Schlugen machtlüstern und dreist, was sie nicht verstanden: Geist. (Werkverzeichnis 81) Die Menschen, besonders die jüdischen, lebten unter Angst, was Fried mit fast barockem Pathos schildert: Sonett von der Furcht Die Furcht ist grausam — schlimmer als der Tod, der alles und mit einem Mal beendet, dass sie dich anpackt und dein Schicksal wendet, dich unstet macht, dich martert und bedroht, da sie, von einem bösen Gott gesendet, noch nach des Tages ausgestandener Not in deine Träume dringt. Zum Morgenrot liegst du zerfleischt, entgeistert und geschändet. Die Furcht ist grausam, denn sie endet nicht; nicht die Vernunft, nicht hohes Selbstgefühl hilft dir, der Furcht grausame Schatten scheuchen. Der Mensch in Furcht ist wie ein Kerzenlicht, das hilflos flackert in des Windes Spiel, bis es dem Wind beliebt ins Nichts zu weichen. (Werkverzeichnis 39) Trotz dieser quälenden Stimmung blieb man vor 1938 innerhalb des Jüdischen Krankenhauses von direkten Gewaltanwendungen, Razzien, Verhaftungen und Misshandlungen verschont. Das änderte sich mit der Pogromnacht (9./10.11.1938). Frieds vertrauter Kollege, der Chirurg Siegmund Hadda° !° !! berichtete, dass das Krankenhaus in dieser Nacht versuchte, Menschen durch stationäre Aufnahme zu schützen. Diese Maßnahme wurde an Gestapo und SS verraten: Es gab eine Razzia im Krankenhaus, während unablässig Opfer von Suiziden und Suizidversuchen eingeliefert wurden. Dr. Fried erschien vor den Gestapobeamten mit einer dunkelroten Brille; diese trug er zur Adaptation an die Dunkelheit, da er gerade mit Röntgen-Durchleuchtungen beschäftigt war. Er wurde wegen respektlosen Verhaltens verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Deportationen nach Buchenwald’? hatten zu diesem Zeitpunkt noch nicht die direkte Intention, die Verschleppten umzubringen. Mit zynischer Präzision wurde Druck aufgebaut, insbesondere auf die, die durch eine relativ gefestigte Position noch nicht von der ersten Fluchtwelle 1933 erfasst worden waren. Lebensgefährlich waren diese KZ-Einweisungen trotzdem. Unter den zahllosen Opfern ist Jura Soyfer das berühmteste; aber auch Haddas Bruders Heinrich verstarb wenige Tage nach der Entlassung aus Buchenwald an einer dort erworbenen Sepsis. Es wird hartnäckig behauptet, Fried habe über solche Ereignisse nicht gesprochen. In Versen jedenfalls offenbart er seine Gefühle: Der Brief Im Rinnstein lag ein Stück von einem Brief, quer durchgerissen, schmutzig und zerknittert; der war wohl lange durch den Staub geschliddert, bis er im Straßenschlamm gefangen schlief. Die zarte Madchenschrift war ganz verblasst; vom Regen war verwaschen, was sie schrieb. Doch stand noch da: ich hab dich lieb, und jetzt bin ich Dir nichts als eine Last. Grad“ auf dem Worte „lieb“ war jetzt ein Tritt: Der Stiefelabsatz hatte schön getroffen! Vergebens, hier auf guten Sinn zu hoffen: wo Liebe stirbt, stirbt Menschlichkeit meist mit. (Werkverzeichnis 38) Vorerst lastete banges Warten’? auf der Familie. — Fried kam frei, es gelang ihm (im Gegensatz zu seinem Kollegen Hadda), mit seiner Frau und den beiden Söhnen den Machtbereich der Nazis Richtung New York zu verlassen und damit der physischen Vernichtung zu entrinnen. Man muss sich vor Augen halten, dass dem Holocaust durch eine Vernichtung der Rechte'* vorgearbeitet wurde. Rechte beinhalteten: Anschen, Familie, Weiterbildung und alle materiellen Aspekte. Sogar die Erinnerung sollte getilgt werden. Diese Vernichtung des Gedächtnisses war ein ganz wichtiges „Etappenziel“. (Nach 1945 wirkte die „Vernichtung des Gedächtnisses“ mit anderen Vorzeichen in erstaunlichem Maße fort. Zum Beispiel blieben die alten Arbeiten von Fried und unzähligen anderen Autoren vergessen.) 35 30 N oa 8 Zitierungen » un be o© u ° Il ARBEITSLEBEN ot 1 . PP LELE PIE PIPPI IPL EL Zitierungen Carl Frieds in der Zeitschrift „Strahlentherapie“ Wenig untersucht ist das „de facto“ bestehende Publikationsverbot fiir Juden und missliebige Autoren. Fried war, wie so viele andere, in der gefahrlichen Situation, dass er in den Jahren 1933 bis 1939 fast nichts mehr hatte veröffentlichen dürfen. Die 1939 noch verbliebene wissenschaftliche Reputation war aber nach Gertrude Frieds Aussage!” „der entscheidende Grund für die erfolgreiche Ausreise“ .!° Dezember 2017 23