OCR
Die Bedingungen in New York waren schwierig, wie Frieds Frau notiert. Von ihr stammen alle folgenden Zitate, soweit nicht anders angegeben: „Zwischenzeitlich liefen Verhandlungen mit Brasilien“. Was bedeutete Brasilien als Fxil-Land? Politische Situation und Exil in Brasilien 1930 bis 1945 Die Zeit ist geprägt durch den Präsidenten und Diktator Getülio Vargas.'’ Zentralistisch, Minderheiten-feindlich, nazibegeistert und populistisch, war er doch schlau genug, überfällige soziale Reformen durchführen zu lassen. Seine Politik war von einer Besonderheit geprägt: dem Verbot sämtlicher politischer Parteien. Trotz der Kooperation mit Hitler-Deutschland in Wirtschaft und Polizeiarbeit wurde auch der brasilianische Ableger der NSDAP verboten. Es ist bedrückend, dass die Mehrheit der Deutschstämmigen offenbar mit dieser Partei sympathisiert hat! Die Verbindung Berlin-Rio zerriss mit dem 7.10.1941, dem Datum des japanischen Überfalls auf Pearl Harbor. 1941 wurden deutschsprachige Druckerzeugnisse und die deutsche (gleichzeitig die italienische und japanische) Sprache in der Öffentlichkeit verboten. '® Am 22.8.1942 erfolgte die Kriegserklärung Brasiliens an Deutschland und Italien. Deutschsprachige Brasilianer wurden zu Ausgleichszahlungen herangezogen. Sie waren einer zunehmenden „Sicherheitsparanoia“ (Furtado-Kestler) ausgeliefert. Betroffen waren gleichermaßen Sympathisanten des Nationalsozialismus wie dessen Opfer. Schon vor diesen Ereignissen hatten — oftmals nicht veröffentlichte — Restriktionen das ursprünglich großzügige brasilianische Recht zunichtegemacht. Die Einwanderungspolitik war deutlich antisemitisch geprägt. Brasilien stellte kein Einwanderungsziel der ersten Wahl dar. Es grenzt an ein Wunder, dass trotz der Behinderungen — bis zum Verbot der Einwanderung (7.4.1941) — bis zu 16.000 Deutschsprachige (überwiegend Juden) in Brasilien einwandern konnten. Ärzten drohten in Brasilien schärfere Restriktionen als anderen Berufsgruppen. Die nationalen Ärzte-Organisationen wehrten sich gegen die aufkommende Konkurrenz. — Bei allen Schwierigkeiten war und blieb die Faszination Brasiliens stark. Frieds in Brasilien Trude Fried schreibt im oben zitierten Brief: Nachdem die Verhandlungen mit Brasilien versprechender waren als die in New York, gingen wir im Juli 1940 nach Säo Paulo/Brasilien (Röntgen- und Radium-Institut Sao Francisco de Assis). Da sein deutsches Staatsexamen nicht anerkannt wurde, durfte Fried kein Rezept unterschreiben. Carl Fried arbeitete solchen Restriktionen durch sein bereits 1941 in brasilianischer Sprache geschriebenes Lehrbuch der Radium- und Röntgen -Iherapie entgegen. — Irude Fried fährt fort: „Es war ein harmonisches Zusammenarbeiten, leider hat es durch die Krankheit und das Hinscheiden meines Mannes im Jahre 1958 ein Ende genommen.“ Fried war in Brasilien ein vorbildlicher Arzt und Vordenker der Strahlentherapie. Das war sein Brotberuf. Eine wichtige Vorliebe aber galt der deutschsprachigen Literatur. 24 ZWISCHENWELT Eine wichtige Autorin zur Frage „Exil in Brasilien“ ist FurtadoKestler”. Deutsche Exilliteratur erschien in Brasilien aufgrund der geschilderten Umstände schr spärlich. Das Verbot der deutschen Sprache galt nur wenige Jahre, aber es verschlechterte die Sprachkenntnisse der Bevölkerung erheblich. Insofern wirkte das Sprachverbot lange und nachhaltig.” Außer Stefan Zweig sind zwei weitere bedeutende Namen zu nennen: Paula Ludwig und Ulrich Becher”? („Das Märchen vom Räuber, der Schutzmann wurde“). Dass von dem letztgenannten so fleißigen und kreativen Dichter nur ein einziges kleines Werk in Brasilien gedruckt wurde, zeigt, wie die obengenannten Umstände die dichterische Produktivität beschränkten. Es war von vorneherein unstrittig, dass Fried in seiner dichterischen Qualitat in keiner Weise an Zweig und auch nicht an Becher und Ludwig heranreicht. Furtado-Kestler ist es hauptsachlich zu verdanken, dass Carl Fried neben den bekannten Dichtern nicht gänzlich vergessen wurde. Durch glückliche Umstände wurden 1954 von B.A. Aust in Säo Paulo 20 Gedichte von Carl Fried und weitere von Louise Bresslau im Selbstverlag” herausgegeben. Die Auflage betrug lediglich 200 Exemplare. Selbst Frau FurtadoKestler war nur im Besitz einer Kopie. Bewertung von Frieds Dichtung Furtado-Kestler beurteilt Frieds Iyrisches Werk als „epigonenhaft“ und „ziemlich formell“. Zitat: „... er bedient sich konservativer, altbewährter dichterischer Formen.“ Sie vermisst vor allem eine Auseinandersetzung mit spezifisch brasilianischen Themen. Brasilien diene ihm allenfalls als Kulisse. Furtado-Kestler gesteht allerdings einschränkend zu, dass Dichtungen des Exils mit der Dichtung von regulären Auswanderern nicht zu vergleichen sei. Hiltrud Häntzschel betont: „In der literaturwissenschaftlichen Exilforschung besteht Einigkeit, dass Exil-Literatur dazu neigt, weder avantgardistisch zu sein, noch Neuland zu betreten. Neuland hatte man ja schon durch den Verlust der Heimat im Überfluss. Gerade die traditionellen Formen, Reime, Versmaße verbürgten die herbeigeschnte Kontinuität, ‘Trost und Selbstvergewisserung.“™4 Furtado-Kestlers Einschatzung ist in vielen Punkten zuzustimmen. Allerdings ergeben sich, da durch die vorliegende Arbeit die Zahl der bekannten Fried’schen Gedichte von 20 auf 130 angewachsen ist, ergänzende Aspekte. Frieds Gedichte mit Bezug zu Brasilien Mehrfach wird bei der Schilderung einer brasilianischen Landschaft die für Exilanten typische Schwierigkeit”? angesprochen, sich deren Genuss ganz hinzugeben zu können. Es erscheint ihm fast als Verrat, da der Exilierte eigentlich ganz andere, ihn bedrückende Fragen ansprechen sollte: Unter einem Orangenbaum Die Sonne blickt durchs dunkle Laub und schminkt das Gras mit lichten Ringen. Ein Wasservogel hebt die Schwingen. Fern wälzt sich eine Wolke Staub.