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Die kleinen weissen Segel ziehen so still und sorglos übern See, als gäb es in der Welt kein Weh ... als könnte man der Zeit entfliehen. Die Zweige hängen tief und schwer von süsser golden-reifer Frucht. Ich bin zu glauben fast versucht, dass, was ich sehe, wirklich wär. (Werkverzeichnis 7) 1949, neun Jahre nach seiner Ankunft in Säo Paulo, als er mit Stolz auf das Erreichte zurückblicken kann, ist Fried über seine anhaltende Fremdheit mit dieser Stadt enttäuscht. Typisch, dass es dies in einem Sonett schildert: Die Stadt Sao Paulo Doch blieb sie fremd. — Ihr Lied ist nicht mein Lied, die Sonne wahrlich ist dieselbe nicht, wie dort, wohin Erinnerung mich zieht. So sehr ich mir darum auch selber grollte: „ich bin daheim“ zu sagen, wäre Pflicht. Ich bin nicht der, der Auskunft geben sollte. (Werkverzeichnis 10) Er diagnostiziert auch im folgenden Gedicht seine Schwierigkeiten mit der Adaptation an sein Gastland: Brasilianischer Herbst Ist dies wahrhaftig Herbst, wenn milde Sonne die bunten Fliesen vor den Häusern wärmt; und in des Feigenbaumes hoher Krone, wenns kühlt, das Vogelheer noch zirpt und lärmt? Ist es ein Herbst, wenn in jung-grünen Gärten zum zweiten Mal erblühn die Azaleen und beerenrot die Erdbeerstauden werden, als müsse alles Reifen jetzt geschehn? Ich kannte einst den Herbst mit kalten Stürmen, trüb, lichtlos und mit tödlich frühem Frost. Die Wetterfahnen kreischten auf den Türmen, man fror, — kam Wärme nicht vom Ofenrost. Muss man denn frösteln, weil es Winter wird? Alterndes Herz, in Sorgen eingesponnen, lern von Brasiliens Herbst, dass der sich irrt, der glaubt, nichts könne seinen Herbst besonnen. (Werkverzeichnis 9) Trotz der Gewöhnungsschwierigkeiten trifft er (später, nach einer letzten Europareise) eine Entscheidung für Brasilien (Werkverzeichnis 23): Statt Efeu wird Maracuja sich ranken; statt Tannen an meinem Grabstein allein ragt eine Palme und aus des Kranken Herz fliegen heimwärts die Gedanken, wär dort —im Tod selbst — nicht allein. "Trotz verschiedener Vorbehalte scheint hier die Faszination des lyrischen Ichs für Brasiliens groß und echt zu sein, so auch in einem von drei Gedichten, die sich alle einem besonderen brasilianischen Blütenbaum widmen: Die IPES III Die IPES tragen wieder gelbe Hauben, und um die Bäume liegen gelbe Ringe zerstreuter Blüten, welke Blütentrauben, und unausweichlich scheint der Gang der Dinge. Im vorigen Jahr erlagen sie der Sonne, und gestern Nacht zerschmettert sie der Regen, schon reckt sich todesschwarz und leer die Krone, und Schönheit liegt zertreten auf den Wegen. (Werkverzeichnis 17) Fried verwendet auch hier spezifische Naturmotive zur existenziellen Deutung seines Lebens. Diese Naturphänomene sind mit dem Komplex Heimat verwoben. Ähnliche Verse findet er bei der Europareise über die gesprungenen und zerschlagenen Glocken des Doms zu Lübeck.?° Endzeitstimmung findet sich auch in: Abends ist die Sonne müd... Und dann ist es plötzlich Nacht... Aus dem Wald steigt drohend Schwärze und verstummt mein arglos Herze... Dezember 2017 25