OCR
kam, löschte er aus. Was das Sterben zum Nichts macht, ist der Blitz, der Schlag, der Sekundenteil, der das Wissen zerschneidet, Sein trennt von Nicht-Sein, keine Zeit lässt dem Sterben, weil der Tod da ist, che du stirbst. Er allein stirbt schmerzlich und elend, den die Krankheit befillt, die ihn mählich verzehrt mit der Gier des Bösen und ohne Gnade; die leiden lässt, hungern und bluten; die zunimmt und nachlässt, hinhält und vorhält; immer denken macht und zittern; die Hoffnung und Furcht mischt, Erschlaffen und Aufleben, und doch nur verstört — heimlich oder brutal, mit dem vernichtenden Willen des peitschenden, ebbenden, lauernden Sturms. Der allein stirbt, der langsam stirbt, wissend geht aus der Wirklichkeit. Die Pein des Leibes, die zerschlagene Hoffnung, die Kraft, langsam erstickt, die schwindenden Muskeln und dann das Denken: quälender immer, doch gefügig gerne auch, bald seltener, mühvoller, bis es willfährig wird das Vergehen zu leiden... das ist Sterben. Sterben ist schwer. (Werkverzeichnis 62) Gelegentlich sind also Bezüge zum Naturalismus und Expressionismus zu erkennen. Was allerdings bei Fried fehlt, ist die Radikalität, mit der vor allem im Expressionismus nach neuen Formen, einer neuen Sprache und einer neuen Aussagerichtung gesucht wurde. Die von Furtado-Kestler bemängelte Auseinandersetzung mit brasilianischer Literatur ist hingegen nicht ohne Ausnahme. Seine Übersetzung von Ribeiro Couto spiegelt die Hektik und Unruhe wieder, mit der dieser die Stadt schildert. Er hält sich an den Verzicht auf gleiche Zeilenlänge und fehlenden Reim: „Rio de Janeiro“ v. Ribeiro Couto Berge sind — für die Touristen — um das Meer gestellt. In malerischer Waldlandschaft zücken Argentinier und Engländer die blitzenden Ferngläser: „Ob, la natureza!“ „Very beautiful indeed!“ Die Kriegsschiffe in der blauen Bucht blasen still ihren Rauch in die Luft. Schwitzende Portugiesen hetzen durch die Straßen; sie kümmert nicht der ruinöse Sturz des Cruzeiro ... (Werkverzeichnis 14) Offenbar war manches Buch (trotz der Bemühungen um deutschsprachige Literatur durch die Buchhändlerin Susanne Bach) schwer oder nur leihweise erhältlich: Fried hat deshalb Rino Sanders und Jean Arp selbst abgetippt. Er versuchte sogar — wohl cher aus Spaß — ein dadaistisches Gedicht. Kästner” hat er spät studiert und sich an einem Gedicht in dessen Stil versucht. Morgenstern” parodiert er aus brasilianischer Sicht: „... Jedoch der Morgenstern vergisst, dass Gott ein Brasilianer ist ...“ Dagegen sind die Anlehnungen an Goethe, Schiller, Hölderlin, Eichendorff und Heine häufig und vielfältig. (Siehe übernächstes Kapitel.) Schmerz über den unverschuldeten, endgültigen Verlust der Heimat Die bisherigen Gedichte hatten einen Bezug zum Gastland Brasilien. Dabei kam die überstandene — aber doch nicht verkraftete — Bedrohung zum Ausdruck. Im Folgenden steht die seelische Abhängigkeit von der europäischen Heimat noch deutlicher im Vordergrund; sie charakterisiert fast alle Exilierten: der Schmerz über den Verlust, der nicht verschuldet, sondern erlitten ist, dessen Endgültigkeit aber akzeptiert werden muss. Diesen Komplex zu charakterisieren, hat sich ja auch ZW in vielen Beiträgen zur Aufgabe gemacht. Daheim Wo du daheim warst, ist nicht mehr dein Heim. Und wo dein Heim ist, bist du nicht daheim. Gingst du auch heim, es wär nicht mehr daheim. Wo du auch gehst du findest nimmer heim. (Werkverzeichnis 25) Man fühlt sich an Bertolt Brechts Gedicht „Radwechsel“ erinnert, das ebenfalls eine Situation zwischen den Lebenswelten artikuliert. Dezember 2017 27