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gehaltenen Gemälde bewundern. Geradeaus kam man in einen fast quadratischen Raum mit einem großen Bett, auf dem eine Tagesdecke und an die zehn verschieden gemusterte Polster lagen, an der gegenüberliegenden Wand stand ein Pianino, an der Seite ein Tischchen mit einigen bequemen Sesseln, einer davon etwas größer, wohl ein Lesefauteuil. Gegenüber, neben einem großen Fenster stand ein Bücherregal. Decke, Polster, Teppiche und Möbel in weichen, gedämpften Farben mit ein paar wenigen leuchtenden Akzenten. Ich war begeistert. Von zu Hause war ich biederes, spießiges „Schöner Wohnen“ gewohnt. Der nächste Raum ganz ähnlich mit einer langen Fensterfront, davor eine leere Staffelei. Trude arbeitete damals an Holzschnitten, am Zyklus „Schöpfung und Vernichtung (Das Goldene Kalb)“, den später die Albertina von ihr kaufte. Der Raum war geteilt durch eine lange Falttüre, die zu einem runden Esstisch mit vier Sesseln führte. Der letzte Raum war meiner, ein nicht besonders einladendes Zimmer mit hellgrün gestrichenen Möbeln. Ein Bett, ein Kasten, eine Kommode, eine Schreiblläche vor dem Fenster. Unebener Holzboden Hedwig Wingler Alfons Hochhauser Dies ist meine Erinnerung an den einzigen Menschen, dem ich zugestehe, den Heldentod gestorben zu sein. Unter ,,Heldentod* ist gewöhnlich gemeint, dass „Für Volk und Vaterland“ im Krieg gestorben werde; für Alfons Hochhauser galten diese Kategorien nicht, deshalb unter Anführungszeichen; er war zwar im Krieg, hat ihn aber überlebt. Sein Leben war nicht heldenhaft, sondern eher abenteuerlich-unstet und voller Wechsel und Widersprüche. Obwohl von mir ein Vorkommnis heldenhaft genannt wird. Ich komme später darauf zurück. Er war der Cousin meiner Mutter Hedwig Hochhauser, die Väter waren Brüder. Er war, wie unsere Mutter noch nach Jahrzehnten errötend gestand, ihr erster Schwarm. Da war sie etwa 15, er war neun Jahre älter und nannte sie sein Leben lang Hederl, was sonst niemand tat. Kein Wunder, dass „she had a crush on him“, wie es auf Englisch heißt. Seinem Charme war nicht leicht zu widerstehen. Es war kein Anbiedern, sondern weltmännische Großzügigkeit, die ihn auszeichnete. Er hatte seine contenance, wie es auf Französisch heißt, nicht auf der Schule erworben, die er als Teenager bereits verließ, sondern in einem Leben voller Beschwernisse. Seine Haltung kam aus der Spannung zwischen unbedingtem Freiheitsdrang und absoluter Ungesichertheit im Materiellen, dies alles im Gegensatz zu seinem gutbürgerlich gesicherten Elternhaus. Das Gebäude in Frohnleiten erzählt heute noch von der Familie, indem der Name des Vaters auf der Giebelseite, zum Hauptplatz hin, zu lesen ist -— Holzhandel, Kaufhaus. Den Drang, diese Zwänge zu verlassen, teilte seine Mutter mit ihm, die sich vom Vater hatte scheiden lassen — in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts noch nicht alltäglich. Die Mutter zog von Frohnleiten nach Graz und besserte ihre Einkünfte dadurch auf, dass sie Zimmer an junge Mädchen vermietete, und eines davon war meine Mutter, die 1930 als Fünfzehnjährige in Graz ihre Ausbildung zur Lehrerin begann. Da muss sie wohl den Cousin zum ersten Mal getroffen haben, wenn er die Mutter besuchte, von Griechenland kommend. Dort lebte er seit 1926. Schon mit siebzehn Jahren war er über Italien, Südfrankreich, Spanien bedeckt mit einem Fleckerlteppich. Ein oder zwei einfache Stühle, ein Bücherregal. Das schönste an dem Raum war das Licht. Am Abend schaute ich in den von der Straßenbeleuchtung rötlich gefärbten Himmel. In der ersten Nacht dachte ich, es brennt. Manchmal saßen wir gemeinsam im Esszimmer und sie erzählte mir vom Architekten Josef Frank, von Oskar Kokoschka und anderen. Auch von Heimito von Doderer. (Dieser hatte das Atelier 1938 übernommen, bis 1948 lebte Albert Paris Gütersloh dort als sein Untermieter. Doderer musste das Atelier 1956 zurückgeben). Sie befragte mich zu meinem Psychologiestudium und war erstaunt, dass ich noch nichts über Maria Montessori gehört hatte. Da sie wegen oftmaligen und längeren Auslandsaufenthalten nicht schr viel in Wien war, kamen wir viel zu wenig zu solchen Gesprächen. Ich hätte gerne viel mehr von ihr gelernt über Kunst und Politik und ihre Erfahrungen in im Exil. Wochenlang arbeitete sie in Venedig oder Dieulefit. Dann genoss ich die großzügige, helle, ruhige Wohnung und wünschte mir, auch einmal so in Wien zu leben. Dazu kam es nie. und Nordafrika nach Palästina getrampt, wo er in Jerusalem als Zisternenputzer arbeitete und wahrscheinlich im Österreichischen Hospiz betreut wurde. Dorthin zog es dann später auch seine etwas ältere Schwester Edith, die am Hospiz arbeitete, bis sie von dort nach Kairo als „Gesellschafterin“ eines Ehepaares weiterreiste und hier ziemlich feudal bis zum Tod von König Faruk lebte. Alfons war von Jerusalem nach einigen Monaten über die Türkei nach Österreich zurückgekommen. Aber wieder zu meinen Erinnerungen, zu dem, was mir in meiner Kindheit erzählt wurde. Nach dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich war Alfons plötzlich „deutsch“; er musste von Griechenland, wo er in der Nähe von Volos, dem antiken Iolkos, als Hirte und Fischer gearbeitet hatte, „heim ins Reich“, und bei Kriegsbeginn 1939 wurde er Soldat. - Wie und wo er dann seine erste Frau Lotte kennenlernte, weiß ich nicht; jedenfalls brachte er sie, als sie schwanger war, aus Berlin, ihrer Heimatstadt, nach Knittelfeld — damit ihr dort, in der ruhigen Provinz, wegen der Kriegshandlungen in der Hauptstadt nichts passieren sollte. In Knittelfeld starben Lotte und das Kindchen bei der Geburt. Beide sind auf dem Friedhof von Frohnleiten im Familiengrab der Hochhauser bestattet. Alfons war jetzt Witwer, frei genug, eine Frau zu heiraten, deren Kind, ein Bub, von einem jüdischen Deutschen stammte, ein Schulkind. Das ist jetzt, was ich seine Heldentat zu Lebzeiten nenne. Die Frau und das Kind zogen in die Steiermark, vermutlich war es ohnehin nur eine pro-forma-Ehe, denn Alfons war weiterhin Soldat. Es gab jetzt also eine neue Hedwig Hochhauser; so hatte meine Mutter vor der Ehe geheißen. Den Vornamen des Jungen habe ich vergessen, beide lebten bis zu ihrem Tod in den sechziger oder siebziger Jahren in Leibnitz. —- Was aus dem leiblichen Vater des Kindes wurde, weiß ich nicht; niemand sprach davon, und als es mich zu interessieren begann, war niemand mehr da, der gefragt werden konnte. Ich bleibe dabei: es war eine Heldentat in jener Zeit. Dezember 2017 33