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Über das, was Alfons sonst im Krieg erlebte, ist auf Wikipedia nachzulesen. In meiner Erinnerung taucht der „Onkel“, der mich sein „Nichtchen“ nannte, etwa um 1946/47 persönlich auf, er lebte damals in der Obersteiermark als — Köhler. Er bediente Meiler, um Holzkohle zu erzeugen. Nicht weit davon entfernt lebte die Familie seines älteren Bruders, ein Nazi-Verteidiger bis zu seinem Tod um das Jahr 2000 und ehemaliger SS-Mann. Also auch eine Polarisierung — ob sie sich damals trafen? Ich weiß es nicht. Aber Alfons besuchte sein Cousinchen Hederl-Hedwig und deren Familie. Meinem Vater war er— aus gewisser Distanz — sympathisch. Dann kam die Arbeit für Hans Hass, 1950 bis 1956, dessen Expeditionen auf die Galapagos-Inseln Alfons mitorganisierte. Auch im Roten Meer war er mit Lotte und Hans Hass „unter Haien“. Wir lauschten gespannt, wenn Alfons davon erzählte. Aus Hamburg brachte er eine Gefährtin und eine kleine Tochter mit, die einige Zeit in Frohnleiten wohnten, wo damals auch die Mutter von Alfons lebte. Danach kehrte er zurück in sein geliebtes Griechenland, auf die Insel Trikkeri im Golf von Volos. Dort pachtete er ein Gebäude, das sich Kloster nannte und dem Bistum von Volos gehörte. Er ließ sich aus taktischen Gründen vom Bischof griechischorthodox taufen und nannte sich jetzt Andreas, was erstens der Landessprache entgegenkam, zweitens aber auch der Name seines Vaters, meines Großonkels, war. Dessen Bruder, mein Großvater, hieß Georg — griechisch „Bauer“, also bereits eine Inklination zu den Hellenen. Mein Urgroßvater war Emanuel Hochhauser, geboren als uncheliches Kind der Theresia Hochhauser, Vater wahrscheinlich ein Grazer Fleischhauer namens Friedrich Wenzel oder Wenzel Friedrich. Als meine Eltern 1938 kurz nach dem bereits erwähnten „Anschluss“ heiraten wollten, musste meine Mutter bis in die Matrikel der Grazer Stadtpfarrkirche Einblick erbitten, um zu beweisen, dass Emanuel römisch-katholisch getauft, nicht beschnitten und sie selber nicht „jüdisch versippt“ war. Ich besitze eine Kopie aus diesen Matrikeln. Der „Kindsvater“ ist namentlich eingetragen, aber durchgestrichen, annulliert. Jedenfalls bekam die Mutter des Emanuel jenes schöne Haus in Frohnleiten zweifellos als Entschädigung; sie war zur Zeit der Geburt - und vermutlich der Empfängnis — des kleinen „Manu“ die „Magd“ von Friedrich Wenzel — oder Wenzel Friedrich! — gewesen und stammte aus Böhmen, der Legende nach aus Theresienstadt. Ja, damals auch Österreich. Von den Erinnerungen an „Onkel“ Alfons möchte ich einige überspringen, so die beiden wunderschönen Sommer auf’ Irikkeri in den frühen sechziger Jahren. Einmal fuhren Gudrun, Alfred K. und ich mit dem Auto nach Griechenland und durften in der Pension wohnen, die Alfons inzwischen im Kloster errichtet hatte und recht erfolgreich für Gäste aus Deutschland — Berlin — und Österreich betrieb. Um dies tun zu können, hatte er Chariklia geheiratet, die kochte - wunderbare Köchin -, putzte und alles Mögliche tat, um es den Besuchern schön zu machen. Er hatte sie schon Jahrzehnte zuvor gekannt, inzwischen hatte sie erwachsene Kinder und war Witwe eines Griechen. Also es fügte sich. — Das zweite Mal fuhren meine Eltern mit mir nach Volos und dann mit dem Schiff nach TIrikkeri, das war zur Zeit der griechischen Ostern und besonders eindrucksvoll. Das erste Mal, mit Alfred, fand die Reise im Sommer statt und ich erlebte — auf der Peloponnes, wohin wir dann von Trikkeri aus zu zweit fuhren, vor den ausgegrabenen Ruinen von Mykene die „Stunde des Pan“, um mit Sokrates zu sprechen — eine Ausnahmesituation, eine 34 2WISCHENWELT Trance, wahrscheinlich eine Kreislaufschwäche, aber ich fühlte mich, unter einem Olivenbaum embryonal kauernd, den griechischen Heroinnen und Heroen des Homer über Jahrtausende hinweg verbunden. Die Lieblingslektüre von Alfons war übrigens Herodot. Warum, das kommt später. Mitte der sechziger Jahre trafich Alfons in Graz, wo er von schr freundlichen Verwandten beherbergt wurde, wenn es ihn nach Österreich „verschlug“; seine Mutter lebte damals noch. — Wir verabredeten uns und spazierten in der Sommernacht ein wenig umher, Bürgergasse, Stiege zum Mausoleum und zum Dom hinauf. Er blickte zum klaren Sternenhimmel hinauf und sprach die unvergesslichen Worte: „Erst wenn jeder Mensch ein Boot haben wird, darauf ein Holzfeuer im Kohlebecken machen und aufs Meer hinausfahren kann, um den Himmel zu schauen und ins Weltall hinaus zu denken, dann wird die Menschheit glücklich sein.“ Er hatte solch ein Boot. Ob er glücklich war, weiß ich nicht. Jedenfalls schien er eine romantische, sozusagen jugendbewegte Neigung zu haben. Um 1970 zerschlug sich seine Freundschaft mit dem Klerus; die Pacht für das Kloster wurde zu teuer. Außerdem müsste es „Kloster“ heißen, denn die Anlage war im 19. Jahrhundert von Piraten errichtet worden, als getarnter Zufluchtsort. Das war nicht untypisch für die Atmosphäre um Alfons. Nicht ignorieren will ich in diesem Zusammenhang das Gerücht um eine Frau, die am Ufer der Insel Irikkeri ums Leben kam; ofhziell war es ein Unfalltod, inofhiziell ging das Gerücht, der Ehemann habe nachgeholfen. Alfons war durch diesen Vorfall sehr irritiert, die ertrunkene Frau, eine Steirerin, war aus der Nähe von Frohnleiten als Gast zu ihm gekommen. Seine Chariklia hatte von ihrem Vater ein Grundstück an der Ostküste des Pelion-Gebirges geerbt. Der Mann war jener Bauer und Fischer, bei dem Alfons in den Zwanzigern und Dreifigern, bis 1938, als Helfer tatig gewesen war. Alfons identifizierte dies Grundstiick am Meer, heute genannt Kap Koulouri, Postadresse Chorefto, als jene Küste der Ägäis, die bei Herodot genannt ist, wo die Flotte der Perser zerschellte, bevor sie Athen dann doch, über den Landweg, eroberten. Er war so stolz auf diesen historischen Hintergrund! Dort baute er mit eigenen Händen für sich ein Haus zum Wohnen und für Sommergäste einige Behausungen, cher Hütten. Es schlief sich gut im Freien im Sommer. Ich bin nie dort gewesen, kenne es nur von Erzählungen. Meine letzte Begegnung mit „Onkel“ Alfons war im Januar 1971 in Darmstadt. Er hatte eine Freundschaft mit Ernst Kreuder, den er seit den zwanziger Jahren kannte. Der Schriftsteller Kreuder lebte damals im Odenwald und galt gerüchteweise als Nazigegner, war jedenfalls nicht unbekannt für Hans Wingler, mit dem ich auf der wunderschönen Rosenhöhe hinter dem Löwentor von Bernhard Hötger wohnte und unseren kleinen Sohn Johannes, damals knapp zwei Jahre alt, hütete; es war in den Neujahrsfeiertagen. Ich erwähne dies, weil Alfons von dem Zeitpunkt an - es folgten nur mehr Briefkontakte — nie vergaß, nach dem Kind zu fragen. Also er kündigte sich telefonisch an, ich erwartete ihn im Freien, der Winter war eisig und der Eingang zum Haus nicht leicht zu finden, und er kam, hoch aufgerichtet wie immer. Er war ein schön anzusehender Mann, durchtrainiert bis ins hohe Alter, wenn er auch damals schon Probleme mit Hand- und Schultergelenken hatte. Sein Gesicht, dunkle Augen, war geprägt durch eine fein gekrümmte, schmale Nase, gelocktes Haar.