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Wir hatten zufällig an diesem Tag noch einen Gast in Darmstadt, nämlich John Pritchard aus England, Hersteller von Bugholzmöbeln und mit einigen Menschen vom Bauhaus, etwa Walter Gropius, noch persönlich bekannt. Es störte weder den „Griechen“ noch den Briten, dass sie sich trafen, im Gegenteil. Es war ein Nachmittag, der mir in schöner Erinnerung blieb. Was hat es nun mit dem Heldentod auf sich? Nie hörten wir auf, uns Briefe zu schreiben. Alfons hatte ein Postfach in Veneto-Chorefto, beschwerlich zu erreichen im Winter. Im Sommer nahm er — um das Postamt und die Einkaufsläden zu besuchen — das Boot, welches er „Ihetis“ genannt hatte, nach der Nymphe, deren Sohn Achilleus der tragische Held der homerischen Epen ist. Wir schrieben uns zu den Geburtstagen — er hatte zwei Tage vor mir im Mai Geburtstag und zwei Tage nach meiner Mutter Hederl-Hedwig — und zu Weihnachten. Am Jahresende 1980 erhielt ich in Berlin, wo wir inzwischen wohnten, einen fünf Seiten langen, handgeschriebenen Brief von ihm. Seine Handschrift war gut leserlich, übersichtlich. Zu Herzen ging mir, wie er unsere gemeinsame Herkunft beschwor, unsere verwandtschaftlichen Beziehungen und unsere Verbundenheit im Geiste. — Ich wusste, dass ihm die Winter besonders beschwerlich waren. Das Essen musste reichlich vorrätig sein, das Heizen war mühsam, die Einsamkeit nicht leicht erträglich. Chariklia war nicht mit ihm nach Kap Koulouri gekommen. Auf seinen Brief antwortete ich sofort. — Er kam nach fünf Monaten ungeöffnet zurück mit einem Stempel, diagonal über das Kuvert: „Decede“. — Naturgemäß wusste ich durch die familiären „Nachrichtendienste“ in Österreich bereits, dass er gestorben war. AUTOBIOGRAPHIK VON EXIL, Er hatte sich von seiner Behausung aus aufgemacht, war ins Gebirge hinaufgestiegen, um einem Dahinsterben unter dem häuslichen Dach zu entkommen. Er hatte die Kraft, ziemlich weit hinauf zu wandern, dann legte er sich in der Kälte hin und starb, ohne dass er Selbstmord beging. Man fand ihn im Schnee liegend, einige Tage nach seinem Tod. Das ist meine Geschichte von Alfons Hochhauser, 15. Mai 1906 geboren, 15. Januar 1981 den Heldentod gestorben. Ich schrieb dies am 16. Januar 2016, 35 Jahre danach. Zu Mittag fiel mir Alfons ein, am Nachmittag klopfte ich den Text herunter. — Ist das Datum nun Zufall? Arbeitet so das „Unbewusste“? Nachtrag, philologisch-historisch. Betreffend Kap Koulouri: Alfons bezog sich auf das Geschichtswerk des Herodot, welches er natürlich auf Griechisch las. Dort steht im Buch VII, 188 ff. über den Krieg unter der Führung des Perserkönigs Xerxes im Jahr 480 v.u.Z., dass am Vorgebirge Sepias (von sepia, Tintenfisch) gegenüber der Insel Skiathos etwa 400 Schiffe der Perser durch ein Unwetter — den Boreas — vernichtet wurden. Das fand einige Wochen vor der bekannten Schlacht an den Thermopylen statt. — Alfons war in der Jugend auf Skiathos und Skopelos mit anderen Männern als Dynamitfischer, siehe das Buch von Werner Helwig „Raubfischer in Hellas‘; dessen Hauptheld ist Alfons — unter anderem Namen. Diese Fischer starteten naturgemäß vom Kap Koulouri aus. Und auf all diese Bezüge historischer und mythologischer Natur war Alfons stolz; denn es soll auch die Nymphe Thetis in Sepias zu Hause gewesen sein, daher der Name seines Bootes (Ruder mit Außenbordmotor). WIDERSTAND, VERFOLGUNG Konstantin Kaiser Autobiographik von Exil, Widerstand, Vom 23.-25. November 2017 fand in Wien eine große Tagung zum Thema statt. Die Ergebnisse werden 2019 publiziert werden. Einige ForscherInnen bzw. AutorInnen, die an der Tagung nicht teilnehmen konnten, haben uns Aufsätze, Interviews und andere Texte zur Verfügung gestellt, die schwerpunktmäßig in diesem und dem folgenden Heft (März 2018) von ZW vorgestellt werden sollen, ergänzt durch biographische Nachforschungen und Auszüge aus autobiographischen Texten. Vorauszusetzen ist, daß zwischen autobiografischen Berichten und Erinnerungen an einzelne Episoden einerseits, Autobiographien (die zumindest intentional ein ganzes Leben zu fassen suchen) andererseits zu unterscheiden ist. In all dem wird Zeugenschaft abgelegt, doch mit unterschiedlicher Zielrichtung und meist auch mit anderen stilistischen Mitteln. Die Autobiographie erhebt an die Schreibenden und Lesenden andere Ansprüche als ein Bericht über ein bestimmtes Ereignis, eine zeitlich begrenzte Lebensphase. Gibt es aber Gemeinsamkeiten zwischen des Autobiographien Exilierter und von Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslagern, die ihre gemeinsame Aufnahme in einen Text-Corpus rechtfertigen? Bemerkenswert ist hier, daß auch ein großer Teil der Exilautobiographien bittere Lagererfahrungen verarbeitet, KZ-Gefangenschaft vor dem Exil, in Internierungslagern des Gastlandes und dann wiederum in Konzentrationslagern der Nazis, so z.B. in den Autobiographien Bil Spiras und Fred Wanders, die beide in Frankreich von den NS-Verfolgungen wieder eingeholt worden sind. Hinzu kommt, daß sich die Exilierten, sofern sie nach den Nürnberger Gesetzen als jüdisch galten, prinzipiell der gleichen Bedrohung ausgesetzt fühlen mußten wie die in den Lagern Gefangenen: nämlich der mit den Mitteln eines modernen Staats-, Militär- und Polizeiapparates geplanten Ausrottung des „jüdischen Volkes“. Allerdings: Die Exilierten fürchteten zwar für die im Machtbereich Hitlers zurückgebliebenen Jüdinnen und Juden das Schlimmste, aber das Ausmaß des nationalsozialistischen Massenmordes und die Konsequenz, mit dem er vollführt wurde, wurde oft erst spät erkannt. Man kann von Exil-Autbiographen nicht erwarten, daß sie stellvertretend die Leiden jener Verwandten, Freunde, Schicksalsgenossen schildern, die von der NS-Mordmaschinerie erfaßt worden sind. Auch die Exilierten unterlagen der Tendenz, das Geschehene zu verdrängen, nicht etwa durch dessen Leugnung, sondern vielfach durch Überspielung und Verallgemeinerung. Dezember 2017 35