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Ein Beispiel der „Überspielung“ bietet Hans Reichenfeld in seinem „Bewegten Exil“, in dem er sich in seiner Exilzeit als ein immerfort Vorangetriebener darstellt, dem nicht vergönnt ist innezuhalten und darüber nachzudenken, welche Konsequenzen sich aus der Shoah für die Welt, in der er lebt, ergeben. Für eine Eva Kollisch hingegen, die ja auch als Jugendliche Hüchten konnte, bleibt das Geschehene in allen Fasern ihrer Erinnerns präsent, ohne daß es darum immerzu expliziert werden muß. Die an sich gut gemeinte „Verallgemeinerung“ setzt an die Stelle der Reflexion der Shoah die Abwehr gegenwärtiger globaler, sozialer, politischer Bedrohungen. Die Shoah ist hier als eine Art Weckruf präsent. Generell fallen die autobiographisch geschilderten Lebensläufe in zwei Perioden auseinande - in die der Verfolgung bis 1945, in der die Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit im Gleichtakt mit den dramatischen Ereignissen verläuft, und die Periode nach 1945, in der sich diese Lebens- und Welteinheit in eine Vielzahl von Aktivitäten, Beziehungen und Realitätsebenen zerfasert und aufsplittert. Das führt zu der oft verzweifelten, manchmal auch unfreiwillig komischen Anstrengung, durch Geschlossenheit der erzählerischen Form eine Einheit „wie aus einem Guß“ vorzuspiegeln, welche doch nur in differenzierender Reflexion wiederzugewinnen gewesen wäre. Etliche Autobiographen verstehen es aber, daraus stilistische und formale Konsequenzen zu ziehen. So schilderte ein PalästinaExilant, der nach Österreich zurückkehrte Willy Verkauf-Verlon, sein Leben nach 1945 als „Wort-Collage“, während die aus dem K7-befreite Ruth Klüger ihr Leben in den USA in eine Reihe von selbstständig nebeneinander stehenden Erzählungen schildert, in denen der autobiographische Bezug oft nur mehr Anlaß ist. Gemeinsam ist den Autobiographien des Exils und der KZÜberlebenden die Problematik, von einem Leben zu handeln, das mehrfach gebrochen worden ist (durch die Verfolgung, durch den Wechsel von Sprache, Umgebung, des Landes, durch den Verlust von Angehörigen). Angesichts dieser Brüche ist ein sinnvolles, in sich selbst als gültig erfahrendes Leben nicht mehr selbstverständlich. In vielen Autobiogrphien, ob sie nun authentisch sind oder nur den Eindruck der Authentizität erzielen wollen, wird dieses SinnManko durch Delegierung der aus der eigenen Lebenserfahrung zu ziehenden Lehre an die Nachgeborenen (die Kinder, Enkel, die Jugend) zu bewältigen gesucht, so z.B. in Conny Hannes Meyers unauthentischem Mauthausen-Buch. Sie erscheinen damit als bewußte Iradierungen jener Traumatisierungen, die sonst unbewußt zu sequentiellen geworden sind. Die Frage der Authentizität und Nachprüfbarkeit des Beschriebenen oder Erzählten stellte sich den Autobiographen zuerst selbst. So hatten frühe Darstellungen der Gräuel in den Konzentrationslagern damit zu rechnen, daß sie auf Unglauben stießen, auf Zweifel, daß so etwas im 20. Jahrhundert noch möglich sei. Hingegen nit der zunehmenden, oft sehr verwaschenen Kenntnis der Verbrechen des Naziregimes entsteht dann für spätere Autobiographen bis hin zu jenem „Binjamin Wilkomirski“ (Bruno Dössekker), der eine Kindheit im KZ erfand, eine Art Plausibilität der Schrecken: Man kennt sie schon die Geleise, die zum Lagertor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“ führen, die bellenden Schäferhunde, die Schaftstiefel und die kriminellen Kapos. Es entsteht eine Tendenz, die Darstellung eigener Erlebnisse auf diese Plausibilität, 36 ZWISCHENWELT also auf ein diffuses Vorverständnis zu stützen und damit auch wieder zu verwischen. Sehr verschieden sind allerdings die Orte der Deportation, der Zwangsarbeit, des Massenmordes. Die Erinnerungen eines Ray Eichenbaum an das Ghetto von Litzmannstadt/Lodz weisen andere Handlungsspielräume aus als die von Ella Lingens an ihre Gefangenschaft in Auschwitz-Monowitz. Oft ist hier das Unwahrscheinliche, das allem Anschein nach wenig Plausible das, was Authentizität verbürgt, während das, was sich allzu glatt unserem Vorverständnis einfügt, fragwürdig sein kann. So wird z.B. Ruth Klügers Flucht aus dem KZ Christianstadt in vielen Kurzbiographien Klügers unterschlagen oder durch das scheinbar Plausiblere ersetzt, daß sie und ihre Mutter in Christianstadt befreit worden seien. Plausibilität richtet sich tendentiell gegen die Authentizität. Im Unterschied zu den Zeugnissen der KZ-Überlebenden können sich Exil-Autobiographien nicht in dem Maße auf Plausibilität stützen. Franziska Tausigs Erinnerung an das Shanghai-Exil (auch dieses mit einer Lagererfahrung verbunden) konfrontierte bei ihrem ersten Erscheinen mit ganz Ungewöhnlichem und Unbekanntem. Die vielfältigen Wege der Exilierten, die vielen kleinen und großen Wunder, die Zufälle und Absurditäten, denen sie ihr Überleben und Fortkommen verdankten, lassen sich nur in einer Vielzahl von Geschichten erzählen. Freilich macht sich bei den Exilierten stärker ein Bedürfnis der Beschönigung, des Herunterspielens widerfahrener Demütigung und Entbehrung geltend. Georg Stefan Troller, selbst einer der Autobiographen, bemerkt am Ende einer Textpassage, in der er nachdrücklich das Elend der Flüchtlinge vor Augen führt, dennoch: „Der Kampf um die eigene Haut, ohne höheren Lebenszweck, hat immer etwas Komisches.“ Es steht außer Zweifel, daß man nur aus den autobiographischen Texten anschauliche und lebendige Kenntnis der Verhältnisse an einem bestimmten Ort, in einem bestimmten Zeitabschnitt, im Handlungsgefüge einer beschränkten Menschengruppe schöpfen kann. Das betrifft vor allem die Lebensmöglichkeiten, die Handlungsspielräume, die Reichweite der Information und Kommunikation der Beteiligten, ihre Möglichkeiten zu lieben, einander zu helfen und sich zu Widerstand zusammenzuschließen. Die Wahrheit, die sich daraus destillieren läßt, ist aber nur über den Umweg der sorgfältigen Beachtung der Probleme und Intentionen des autobiographischen Schreibens zu gewinnen. Selbstverständlich ist nie noch eine Erinnerung verfaßt worden, in der nicht manche Eitelkeit und Gedächtnislücke, manche Notlüge und Beschönigung vorkommen. Es scheint relativ müssig, sich auf diese Mängel zu stürzen. Wo aber ein wahrer Kern ist, besitzt auch die Lüge eine Aussagekraft, die kritisch zu erschließen wäre. Angesichts der Tatsache, dass die „Zeitzeugen“ immer weniger zu persönlicher Zeugenschaft aufgerufen werden können, geht es uns darum, ihre Erinnerungen und hier in erster Linie die von ihnen selbst mit wachem Geist und Verstand verfassten Schriften zu sichten. Diese Schriften sind nur zum Teil veröffentlicht und nur zum Teil auf Deutsch geschrieben. Manche sind auch in mehrere Sprachen übersetzt. Und vor allem gehst es zuerst einmal darum, die literarische Bedeutung dieser autobiographischen Schriften zu würdigen, ohne sie als bloße Illustrationen des Zeitgeschehens zu funktionalisieren, sie vielmehr als Bereicherung unseres Wissens und Erweiterung unseres Horizonts zu verstehen.