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Bücher, die von den Verlagen verfasst wurden, wurde entweder betont, dass das hier vorliegende Buch nicht zur „Literatur der Erfahrung“ zu zählen und daher von größerem Wert sei, oder dass dieses oder jenes Buch nun zur „echten Literatur der Erfahrung“ gezählt werden müsse und nicht jenen Büchern ähnle, die üblicherweise mit diesem Namen bezeichnet würden. In der Einführung des nicht namentlich erwähnten Herausgebers der Mauthausen-Memoiren Sändor Milloks A kinok tja (dt.: Die Straße der Peinigungen, 1945), heißt es: „... das Buch Sandor Milloks ist wahrhaftig ein Text der ‚Literatur der Erfahrung‘, da er die Realität weder reduziert noch ihr etwas hinzufügt. Es ist sowohl Quellenmaterial für die Geschichtsschreibung als auch wahrhafie Literatur, ein Meisterwerk eines echten Schriftstellers, der durch die Balance zwischen konkreter Erfahrung und literarischer Gestaltung ein authentisches Modell fiir Texte der ,Literatur der Erfahrung‘ schafft.“ (Millok, 1945, 6. Hervorhebungen durch den Verf.). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Empfehlung durch den Herausgeber der ungarischen Übersetzung von Vasily Grossmans Die Hölle von Treblinka, die 1945 zum ersten und letzten Mal publiziert wurde. Der anonyme Autor empfiehlt das Werk mit folgenden Zeilen: „Die deutsche Barbarei ließ eine ganz neue Art von Literatur entstehen, die schrecklichen Ereignisse und die große kollektive Tragödie gerannen zur ‚Literatur der Erfahrung‘. Es geht uns hier nicht darum, die Notwendigkeit dieser Literatur anzuzweifeln, wir sind jedoch überzeugt, dass Schriftsteller dazu verpflichtet sind, dem Frlittenen eine Stimme zu verleihen und eine authentische Anklage zu formulieren. Heutzutage gilt Vasily Grossman als einer der talentiertesten Autoren. Er schreibt seine Bücher nicht basierend auf persönlicher Erfahrung, sondern als objektive und künstlerische Wahrheit, so dass diese eine reale Anklage gegen die Welt der Barbarei und Sklaverei darstellen.“ (Grosszman, 1945. Hervorhebungen durch den Verf.). Anders liest sich der Ankündigungstext der Memoiren Päl Kirälyhegyis Mindenki nem halt meg (Jeder ist nicht gestorben, 1947), der unterstrich, dass „dieser Roman [...] nicht zur Literatur der Erfahrung [zählt], aber das Lesen eine wahrhafte literarische Erfahrungen werden könnte.“ (Kirälyhegyi, 1947). Alle diese Beispiele zeigen die widersprüchlichen Verwendungen dieses Labels bzw. Begriffs, da selbst die Verfasser der Ankündigungen immer wieder den Kontrast zwischen der „durchschnittlichen“ Literatur der Erfahrung und dem gerade vorliegenden Buch betonten. Einige dieser Werke sprengen den Erwartungshorizont, der heute für kanoninisierte Holocaust-Texte allgemein als akzeptiert gilt. Terrence des Pres betont mit Blick auf die moralischen und ethischen Standards für Repräsentationen des Holocaust den verpflichtenden tragischen und würdevollen Ton (des Pres, 1988). Die Möglichkeit einer humorvollen oder satirischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust sei erst seit dem Erfolg von Roberto Begninis Film Das Leben ist schön gegeben (vgl. Gilman, 2000). Dieser Beobachtung stehen aber einige Texte der ungarischen Nachkriegsliteratur entgegen, Romane und Memoiren gleichermaßen, z.B. das zuvor erwähnte Werk Kirälyhegyis oder die Memoiren Jänos Föthys Horthyliget (Horthy Park, 1945), die von einem grellen und satirischen Ton getragen sind. Die Erinnerungen Kirälyhegyis zeigen die Deportation und die Irrungen und Wirrungen des Erzählers in der Form eines Schelmenromans oft mit den brutalen Mitteln der Slapstick-Comedy (vgl. Kisantal 2016). Doch die zeigenössische Literaturkritik stellte nicht die 40 ZWISCHENWELT ethische Frage nach der Möglichkeit eines satirischen oder ironischen Tons in Texten über den Holocaust, sondern sprach der „Literatur der Erfahrung“ im Allgemeinen literarischen Wert ab. Wie wir auch in Bezug auf Grossmans Text schen können, galten weder die direkte Erfahrung des Autors noch die Authentizität der Zeugenschaft als absolutes Kriterium. Das hier Zitierte zeigt genau das Gegenteil: die Nahaufnahme, die direkte Perspektive des Augenzeugen wurde als problematisch angeschen. Die Kritik an der „Literatur der Erfahrung“ gruppiert sich daher um drei Probleme: Zunächst wird deutlich, dass den Werken durch die Abgrenzung von „echter“ Literatur ein niedriger Stellenwert im literarischen Feld zugewiesen wurde. Den Texten wurde die Fähigkeit abgesprochen, die historische Bedeutung der Ereignisse zu erkennen und zu interpretieren. Mit anderen Worten, diese Bücher konnten weder der Literatur (im Sinne von fiktionalen Texten) noch der Historiographie zugeordnet werden, sondern wurden dem Journalismus oder dem Genre der Kriegsmemoiren zugerechnet. Diesen Genres wurde in der Literaturkritik immer ein niedrigerer Stellenwert eingeräumt, da sie meist nur lokale Ereignisse in den Mittelpunkt rückten und ihnen unterstellt wurde, Sensation erwecken zu wollen. An dieser Stelle muss jedoch erwähnt werden, dass die Kriegserinnerungen kein neues Genre repräsentierten, die Karriere dieses Genres begann eigentlich zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mit dem Bestseller Rodion Markovits, Szibériai garnizon (Sibirische Garnison, 1928). Richtig populär und erfolgreich wurden diese Erinnerungstexte dann in den 1930er Jahren in Ungarn. Interessant ist hier, dass die Rezeption dieser Kriegsmemoiren aus dem Ersten Weltkrieg ähnliche Wege nahm wie die der späteren Texte, auch der Begriff „Literatur der Erfahrung“ wurde hier zum ersten Mal verwendet. Bald sollte diese Bezeichnung eine Kategorie werden, um diese Genres in die Nähe des Sensationsjournalismus zu rücken. In einem Artikel aus den 1930er Jahren heißt es: „... ‚die Literatur der Erfahrung? [...] führt dem Leser die gegenwärtige Situation ohne Weichzeichner oder Verschönerung vor Augen, oft in einer schr simplen Sprache, ohne auf die Lesegewohnheiten und Genrekonventionen früherer Texte einzugehen. Die neuen ‚Romane der Erfahrung‘ folgten auf die Texte von Kriegsgefangenen und stellten Räuber, Mörder, Mägde, Spieler, Prostituierte und kleine Händler in den Mittelpunkt der Handlung.“ (L.A., 1937). Hier also wurden mit „Literatur der Erfahrung“ nonfiktionale Texte über individuelle Abenteuer aus der Feder von schriftstellerischen Laien verstanden. Ein zweites Merkmal, das auch die Rezeption maßgeblich beeinflusste, war jenes der oftmals behaupteten minderen literarischen Qualität dieser Texte. Diese Meinung findet sich auch in der Rezeption durch bekannte ungarische AutorInnen in den Jahren 1945 und 1946, so nannte Tibor Déry die „Literatur der Erfahrung“ „die schmuddeligste Stilrichtung, die die ungarische Literatur je erfasst hat.“ (Dery, 1946). (Hier ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass D£ry selbst ein Stück über die Verfolgung der Juden geschrieben hatte, das aber erst in den 1970er Jahren in ungarischen Iheatern gezeigt wurde.) Viele Kritiker zeigten sich jedoch nicht nur abgestoßen von den stilistischen Schwächen dieser Texte, sondern auch von den blutrünstigen Gewaltdarstellungen, die oftmals als Ausdruck von Sensationsgier interpretiert wurden. Vor allem Kritiker in linksgerichteten Medien kritisierten die dargestellte Brutalität und verglichen die „Literatur der Erfahrung“ mit billigen Groschenromanen. In dieser Hinsicht muss die Haltung des oben bereits