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Lore Segals Wunsch, Schriftstellerin zu werden, erwachte, als ihr ihre Mutter David Copperfield von Charles Dickens vorlas, als das Mädchen eines Tages von all den Strapazen im Exil krank wurde. „I was kept in bed and my mother sat beside me reading David Copperfield. And as I [was] listening to David Copperfield, I thought, ‚Ihat’s what I’m gonna do‘! But oddly enough, this was when I was 12. I had already been writing for 2 years. I didn’t call it that. The word ‚writer‘ was not a concept to me until my mother read me David Copperfield.“* Nach Kriegsende erhielt sie ein Stipendium, um an der University of London englische Literatur zu studieren. In ihrem dritten Universitatsjahr wurde ihr Grofvater in der Dominikanischen Republik krank, und ihre Mutter beschloss, dorthin zu übersiedeln. Nach Beendigung des Studiums folgte ihr Lore schweren Herzens. Ihr Onkel Paul betrieb in der Provinzstadt Santiago de los Caballeros ein Geschäft, und Lore ließ sich als Englischlehrerin in der Hauptstadt Ciudad Trujillo — dem heutigen Santo Domingo — nieder. Der Diktator Rafael Trujillo hatte in der Kriegszeit jüdische Exilierte ins Land geholt, um — wie der Historiker Allan Metz meint - die landwirtschaftliche Entwicklung im Land voranzutreiben, die Bevölkerung „aufzuhellen“ und sein Image in den USA aufzubessern, nachdem er in einem Massaker an der haitianisch-dominikanischen Grenze im Oktober 1937 20.000 haitianische Menschen ermorden ließ.° Nach dem Tod des Großvaters zog die Familie — die Mutter Franzi, Lores Onkel Paul sowie die Großmutter — im Jahr 1951 nach New York, nachdem sie von den US-amerikanischen Behörden die Einwanderungsgenehmigung erhalten hatten, um die sie im Jahr 1938 angesucht hatten. In der Ostküstenmetropole arbeitete die Mutter als Köchin und Krankenschwester und der Onkel als ungelernte Laborkraft. Lore Segal versuchte sich zunächst als Sekretärin, begann in der Folge Schreibseminare zu besuchen und in verschiedenen Zeitschriften Kurzgeschichten zu veröffentlichen. Das renommierte literarische Magazin The New Yorker beauftragte sie 1961 mit einer Kurzgeschichtenserie über ihre Erfahrungen als Kind, die die Grundlage von Other Peoples Houses bildete. Die Sammlung von Erzählungen wurde im Jahr 1964 von Harcourt, Brace & World als Roman veröffentlicht. Lore Segal gewann dafür im Jahr 1965 den Guggenheim-Preis, eine der höchsten literarischen Auszeichnungen des Landes. Die Schriftstellerin war mit dem beim renommierten Knopf Verlag beschäftigten Publizisten David Segal ab 1961 bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1970 verheiratet. Ab 1968 lehrte sie an der Columbia University kreatives Schreiben und setzte diese Tätigkeit als alleinerzichende Mutter am Bennington College und am Sarah Lawrence College fort. Im Jahr 1987 erhielt sie einen unbefristeten und unkündbaren Vertrag an der University of Illinois in Chicago. Im Jahr 1978 veröffentlichte sie bei Farrar, Straus & Giroux ihren zweiten Roman, Lucinella, über New Yorks Literaturszene in den fünfziger und sechziger Jahren. Der Roman Her First American erschien im Jahr 1985 bei Random House. Er erschien in der deutschen Übersetzung von Inge Leipold unter dem Titel /hr erster Amerikaner im Jahr 1996 im Fischer Taschenbuchverlag. Lore Segal zeichnete sich auch als Kinderbuchautorin aus. Im Jahr 1970 erhielt ihr Buch Tell Me a Mitzi (Farrar, Straus & Giroux) den Preis der US-amerikanischen Bibliothekarsvereinigung. Ihm folgte Zell Me a Trudy im Jahr 1977 sowie das Tierbuch The Story of Mrs. Lovewright and Purrless her Cat (Knopf, 1985). Sie arbeitete dabei mit dem berühmten New Yorker Kinderbuchillustrator Maurice Sendak zusammen, für den sie 23 Märchen der Gebrüder Grimm übersetzte. The Juniper Tree, and Other Tales from Grimm (Farrar, Straus & Giroux) erschien im Jahr 1973. Sie fertigte ebenso auf der Basis von englischen und deutschen Texten eine Kinderversion des Alten Testaments an, das den Titel The Book of Adam to Moses wägt und 1987 bei Knopf erschien. Das alttestamentarische Kinderbuch The Story of King Saul and King David erschien bei Schocken Books im Jahr 1991. Lore Segal hatte bis in die frühen neunziger Jahre wenig Kontakt mit dem offiziellen Österreich. Erst als die Fotografin Alisa Douer sie im Jahr 1990 für das Buchprojekt Die Zeit gibt die Bilder kontaktierte, stellte die Österreichische Exilbibliothek Kontakt zu ihr her. Aufgrund der Zusammenarbeit mit deren Leiterin Ursula Seeber wurde ihr Buch Other Peoples Houses in der Reihe „Österreichische Exilbibliothek“ von Sabina Illmer übersetzt und vom Picus Verlag unter dem Titel Wo andere Leute wohnen im Jahr 2000 aufgelegt. Dieses Buch wurde mit dem Kinderbuchpreis der Republik Österreich ausgezeichnet und im Jahr 2003 vom Münchner Knaur Verlag als Taschenbuch aufgelegt. Im Jahr 2001 schrieb Lore Segal auch das Vorwort für die englische Version von Ruth Klügers Erinnerungswerk Still Alive (Feminist Press). Der Picus Verlag veröffentlichte im Jahr 2004 auch eine Kurzgeschichtensammlung unter dem Titel Die dünne Schicht Geborgenheit (übersetzt von Sabina Illmer). Unter dem Titel Shakespeares Kitchen (W.W. Norton) veröffentlichte Lore Segal diese Sammlung in einer erweiterten Version im Jahr 2007 und wurde für einen Pulitzer-Preis nominiert. Ihr jüngster Roman, Half he Kingdom, erschien bei Melville House im Jahr 2013. Lore Segals und Franzi Grossmanns Lebensgeschichte war auch Gegenstand der Dokumentarfilme My Knees Were Jumping von Melissa Hacker (1999) und Into the Arms of Strangers (2000) von Jonathan Harris, die für einen Oscar nominiert bzw. mit einem Oscar ausgezeichnet wurden. Autobiographisches Lore Segal, die von 1961 bis 1964 ihr Erinnerungswerk Other Peoples Houses in Fortsetzung in der Zeitschrift New Yorker veröffentlichte, erinnert sich an folgendes Schlüsselerlebnis, in dem sie sich gewahr wird, dass die Geschichte ihrer Flucht andere Menschen in Bann zieht: „I did go to the New School to a course in creative writing [...] and in one of those classes, somebody said: ‚So how did you come to America?‘ And I began to tell the story. And as I was talking I looked around and everybody was listening. [Flüstert:] I have a story“!° Other Peoples Houses erschien in Serien- und Buchform zehn bzw. zwölf Jahre nach der englischen bzw. deutschen Veröffentlichung des Tagebuchs der Anne Frank, eines Welterfolges, der das Interesse einer internationalen LeserInnenschaft für Stimmen von Kindern bzw. Erinnerungen an die Kindheit in und außerhalb von Hitler-Deutschland weckte. Dass Lore Segals Kurzgeschichtenserie Aufsehen erregte, ist wahrscheinlich auch ihrem Erscheinen in der Zeitschrift New Yorker zuzuschreiben: Dieses 1925 gegründete Magazin ging im Laufe seiner über 90-jährigen Geschichte für seine Kurzprosa und Kulturbeiträge in die US-amerikanische Mediengeschichte ein. Auch im Jahr 2016 erreicht es weiterhin eine Auflage von 1,07 Millionen Zeitschriften pro Ausgabe. Nicht außer Acht gelassen werden darf in diesem Zusammenhang die Dezember 2017 55