OCR
geprägt durch die sie umgebenden Männer wie auch durch historisch-politische Umstände gezeigt werden. Andreas Enderlin beschrieb in einer explorativen Reise durch Joseph Roths Erzählungen, wie sechs „kaputte“ Männlichkeiten „Heimat“ suchen und diese dabei zu einem geschlechtlich vielfältig konzipierten Ort wird. Marion Röwenkamp stellte dar, wie die Erinnerung an wichtige politische Akteurinnen der zweiten spanischen Republik im Exil diffamiert oder überschrieben wurde. Im dritten Panel präsentierten vier Vortragende ihre Forschung zu Gendered Images. Bilder sollten nicht länger nur schmückende Illustration, sondern als „eigenständige Artefakte“ als diskursive Bildersprache erfasst werden, die gesellschaftliche Wirklichkeit produzierten. Die neue Frau tritt hier als selbstbewusste Bilderproduzentin auf. Heike Klapdor zeichnete anhand des Filmdrehbuchs der österreichischen Autorin Anna Gmeyner den Wandel weiblicher Lebensentwürfe im Exil nach. Iris Meder und Andrea Winkelbauer widmeten sich dem Schaffen jüdischer Wiener Fotografinnen und untersuchten, ob diese im Exil an ihre beruflichen Erfolge der Zwischenkriegszeit anschließen konnten. Pnina Rosenberg schließlich widmete sich den „Grafic Novels“, die gefangene Frauen der Lager Rieucros und Gurs während ihrer Gefangenschaft produziert haben. Im vierten Panel, das erstmals auf einer Exiltagung Queerness in Exile verhandelte, spannte zunachst Andreas Brunner die queeren Netzwerke der Fotografin Erica Anderson auf und zeigte, wie so wesentliche informelle Verbindungen abseits der bekannten institutionalisierten Zusammenhänge gefasst werden können. Ruth Jenrbekova näherte sich Erfahrungen einer REZENSIONEN Transidenität aus persönlicher, autobiografischer und zeithistorischer Perspektive, versuchte dabei Praktiken des „Queering Soviet, Creolizing National“ zu theoretisieren und „Closet“ und Exil in Zusammenhang zu bringen. Margit Franz wiederum begab sich auf die Spur queerer Kultur in britisch-indischen Internierungslagern. In der Performance des Kvir Kosmonaftki Feministiki 100 Years after the Revolution. Unfulfilled Promises of a Gender/Queer Utopia and the New Post-Soviet Person verdichteten sich Themen wie die Situation von LGBTIQ* Geflüchteten und feministische Erinnerung nochmals in einer fiktiven Geschichte um die Raumfahrerin und Asylwerberin Valentina Tereshkova. Das fünfte Panel widmete sich dem Austausch von Exilant*innen auf sprachlicher und institutioneller Ebene. Eva Eppler Duran analysierte die Konstruktion von Identität und CodeSwitching in der Kommunikation von vier geflüchteten Österreicher*innen in London. Charmian Brinson ging den Verbindungen von deutschsprachigen Exilant*innen in verschiedenen kulturellen und politischen Organisationen nach und beschrieb ihre Besonderheiten, speziell wenn es sich um Gruppierungen innerhalb etablierter „männlicher“ Flüchtlings-vereinigungen handelte. Panel sechs nahm Doing Gender in the US Entertainment Industry in den Blick. Susanne Korbel zeigte Praktiken des Aushandelns um Geschlechtlichkeit in der populären Unterhaltungsszene New Yorks auf, wie sie vor dem Hintergrund der Notwendigkeit „to make a living“ stattfanden. Katharina Strasser ging auf die traditionellen Männlichkeiten des Karl Farkas, der Teil dieser Szene war, ein und zeigte, wie Farkas‘ Bild von Geschlechterverhältnissen im Exil Erschütterung erfuhr, um aber nach der Remigration wieder nahtlos aufgenommen zu werden. Vera Kropf lieferte mit Materialien zur Agentin Ilse Lichtblau-Lahn erste Fragmente zu den Möglichkeiten einer kulturellen Übersetzerin. Das letzte Panel widmete sich aktuellen Exilsituationen: Anna Di Giusto zeichnet die Situation jener Italienerinnen nach, die sich aus der Zugehörigkeit zur Mafia befreien wollten und als Zeuginnen in der Justiz aussagten. Ihr Exil — häufig in Norditalien - erfordert einen Bruch mit der vergangenen Identität und ermöglicht neue Gender- wie Lebensentwürfe. Der letzte Vortrag behandelt die Situation geflüchteter Afghaninnen, die als passive und vom Westen zu rettende Opfer dargestellt wurden - ein Bild, dem Diana Sherzada deutlich widersprach. Insgesamt zeigte sich, wie sowohl der Blick auf aktuelle Exile wie auch die Perspektive des „Doing Gender“ den Exilbegriff weit öffnete. Verschiedene Arten der „Heimatlosigkeit“ — auch durch Auswanderungen, die erst zum Exil werden wie auch aufgrund von „Heimatlosigkeit“ in traditionellen Geschlechterverhältnissen — stehen in engen Zusammenhang mit Geschlechtsidentität als „site of struggle“. Vorstellungen von Geschlechterverhältnissen — durch Exile oft erschüttert oder entwurzelt, aber auch befreit — werden in fremder Umgebung kontinuierlich und vielfältig neu verhandelt oder auch festgehalten, um zu „überleben“: „Doing Ehemann / doing Ehefrau“, „doing Ernährer*in“, „doing Familie“ etc. können in den gendered spaces des Aufnahmelandes neu aufgenommen, verworfen oder übersetzt werden. Es fing alles mit einem Buch an, so könnte man es sieben Jahre später erklären. Natürlich wäre das falsch, denn konservative Strömungen und nationale Gesinnung und die Versuche, beides in die breite Öffentlichkeit zu tragen, haben in Deutschland eine sehr lange Tradition und es hat sie auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer gegeben, auch wenn sie teilweise stark ins Hintertreffen und ins Vergessen gerieten, das kann man in „Die Autoritäre Revolte“ sehr gut nachlesen. Aber seit Thilo Sarrazin mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ einige zentrale Themen, Schlagwörter und Begrifflichkeiten konservativer/rechter Uberzeugungen salonfahig gemacht hat, ist die Anwesenheit dieser Strömung/Gesinnung nicht mehr zu übersehen. Mit Pegida und der AfD haben sich in Deutschland in Windeseile zwei Plattformen gebildet, die die von Sarrazin geöffnete Tür als Zugang nutzen, um mit Provokationen und Beschwörungen, Warnungen und einer ignoranten Rhetorik Massen an Menschen zu mobilisieren und Luftschlösser völkischer Identität zu bauen. Diese beiden öffentlichen Träger neurechten Gedankenguts stehen, das zeigt der Autor Volker Weiß, in engem Kontakt mit den weniger öffentlichen, schon seit Anfang der 1990er agierenden Medien und Organisationen. Ende der 1980er Jahre bildete sich ein neues jungkonservatives Kartell. Es bestand aus einer Wochenzeitung (Junge Freiheit), einem Thinktank (IS — Institut für Staatspolitik), einem Verlag (Antaios) und einer Zeitschrift (Sezession) mit den entsprechenden Akteuren Kubitschek, WeifSmann und Stein im Zentrum. Hinzu kommen noch Zeitschriften wie das Leipziger Magazin „Compact“ und viele ausländische Medien. Dass gerade die NPD und ihr Blatt „Deutsche Stimme“ in dem Buch so gut wie gar nicht vorkommen, zeigt, wie weit sich die rechte Szene schon von den Orten entfernt hat, an denen man sie beheimatet und klar konsttuiert glaubt. Sie ist wandlungsfähig geworden. Eines der ungeschriebenen neuen Gebote, wie Weiß sie darstellt, ist zum Beispiel, die Verbrechen der Vergangenheit zu relativieren, anstatt sie zu leugnen. Anstatt den Holocaust selbst infrage zu stellen, erachtet man es für geschickter, ihn entweder zu ignorieren oder seine historische Bewertung zu hinterfragen und ihn mit anderen Massenverbrechen gleichzustellen. Und das ist nicht die einzige Erneuerung, die die Rechte seit 1945 durchlaufen hat. Die Kunst der heftigen Provokation, des Tabubruchs, mit anschließendem Zurückrudern, das (anschließende) Einnehmen der Opferrolle (die nicht nur rechte Politiker in Talkshows einnehmen, sondern sogar ganze Parteien wie in Österreich die FPÖ), das Verlegen auf bedenkenlose Dezember 2017 69