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ab und blieb in Wien, wo er in der KPÖ aktiv war. 1952 heiratete er Justine Vitek, die zu ihm in die Taborstraße zog. Fritz Bickel zog am 22. November 1950 von Bludenz in die Taborstraße 21A. Geboren ist er in Rickenbach in Baden, Deutschland. Seine Frau kommt aus Lenggries in Bayern. Laut Ernst Nowak war Bickel Kommunist. Auch die Familie Steindling zog am 22. November 1950 in die Taborstraße 21A. Adolf Steindling war in Frankreich in der Emigration und Widerstandskämpfer gewesen, seine Frau Vilma war ebenfalls in Frankreich in der Emigration, Widerstandskämpferin und Auschwitz-Uberlebende.” Beide waren Mitglieder der KPO. Im Jänner 1956 trat das Wohnungsanforderungsgesetz dann aufer Kraft?!, aufSerdem wurden schon 1948 die Sühnefolgen fiir minderbelastete Personen beendet.”* Somit war es Nazis und Profiteuren méglich, wieder in die Wohnungen der ermordeten oder emigrierten Juden zurückzukehren. Gingen die Opfer, die nach dem Krieg solche Wohnungen bekommen hatten, nicht freiwillig, klagten die Nazis bzw. Profiteure und gewannen den Prozess. Leider sind die Prozessakten von damals schon vernichtet. Im Fall der Taborstraße 21A, das ja von den Sowjets besetzt gewesen war, stellt sich die rechtliche Lage folgendermaßen dar: Die sowjetische Verwaltung stellte ihren Mietern einen Meldezettel für „Untermieter und Mitbewohner“ aus. Adolf Steindling hatte allerdings im Widerspruch zum Meldezettel einen Hauptmietvertrag mit einem Stempel der sowjetischen Hausverwaltung. Offen ist, welche Gültigkeit dieser Mietvertrag hatte. Die Nazis hatten jedenfalls aus der Zeit davor einen normalen Mietvertrag, der offenbar seine Gültigkeit nicht verloren hatte. Ernst Nowak erzählt: „Wir haben ja einen gültigen Mietvertrag gehabt.“ Fritz Bickel versuchte 1956 — also nachdem das Wohnungsanforderungsgesetz außer Kraft getreten war — die Untermiete in eine Hauptmiete umzuwandeln. Aufdem Meldezettel vom 11. Jänner 1956 steht allerdings, dass der Hauseigentümer die Unterschrift verweigert hat. Laut Grundbucheintragung war das Haus damals noch nicht an seine Eigentümer zurückgegeben. (1948 war das Rückstellungsverfahren eingeleitet worden. Die Sowjets gaben das Haus allerdings nicht zurück - vermutlich aus ideologischen Gründen. Es wurde erst am 10. Juli 1956, also nach dem Staatsvertrag, einverleibt.) Es war ein öffentlicher Verwalter bestellt. Die Familie Nowak hat also die Familie Bickel aus der Wohnung hinausgeklagt. Dies erfolgte nicht 1956, nach Außerkrafttreten des Wohnungsanforderungsgesetzes, sondern ungefähr 1958, weil, wie Ernst Nowak erzählte, die Familie noch überlegte, ob sie wieder in die Taborstraße ziehen wollte. Die Familie Steindling dürfte freiwillig ausgezogen sein, da sie vermutlich einen Prozess vermeiden wollte. Möglicherweise wurde ihr die Gemeindewohnung in der Schüttelstraße als Ersatz angeboten, in die sie 1956 übersiedelte. Schützenhofer ist am 14. Oktober 1956 wieder in seine alte Wohnung gezogen. Um den beschriebenen Zeugnissen aus dem Haus Taborstraße 21A einen vergleichbaren Fall einer schicksalhaften Wohnungszuweisung zur Seite zu stellen, möchte ich noch den Fall meiner Mutter, der Ärztin Dr. Tea Genner-Erdheim, behandeln, insbesondere auch deshalb, weil die Prozessakten noch in meinem Privatarchiv vorhanden sind. Dr. Tea Genner-Erdheim war als Mischling 1. Grades den Rassegesetzen und den damit verbundenen Gefahren ausgeliefert und somit Opfer des Nationalsozialismus. 1946 bekam sie die Wohnung des NSDAP-Mitglieds Dipl.-Ing. Ludwig Hammer” 10 ZWISCHENWELT (Wien XVIII, Bastiengasse 40/2) als Geschäftsraum (Ordination) zugewiesen, die sie jedoch 1957 nach einem Prozess wieder verlor. Dipl.-Ing. Hammer hat sich gegen den Verlust seiner Wohnung heftig gewehrt und in vielfachen, bis zu 11 maschinengeschriebenen Seiten langen Eingaben mit dem Ansuchen um Ent-Registrierung beteuert, nur aus Not Parteigenosse gewesen zu sein, sich innerlich diesem abscheulichen Regime aber immer widersetzt zu haben. Punkt für Punkt erklärte er, dass er „niemals freiwillig und gesinnungsgemäß der NSDAP angehört“ habe. Am 15. November 1947 schrieb er an den Bundespräsidenten einen fünf Seiten langen Brief, der folgendermaßen beginnt: „Wie so viele Österreicher gehöre auch ich und meine Familie zu jenen jetzt Verfolgten, die wegen ihrer politischen Belastung gegenüber der Hitlerbewegung vor dem Anschluss sich nachher nicht anders zu helfen wussten, um den Verfolgungen durch den Parteiterror zu entgehen, als früher oder später durch den Beitritt zur NSDAP ihre wahre Gesinnung zu tarnen.“”* Das infamste „Beweisstück“, kein Nazi gewesen zu sein, ist dabei jedoch das einer Eingabe beigelegte Foto einer Jüdin mit dem darunter stehenden Vermerk: „Nach Polen verschleppt worden von der N.S.D.A.P. 1943“ und auf der Rückseite: „Beste Freundin meiner Schwester, Jüdin, wurde vergast. Wir brachten sie in ein kath. Kloster im XXI., aber alle Bemühungen, sie zu retten waren erfolglos und brachten uns noch mehr in Misskredit. Herbst 1943...“ Keiner der vielen Eingaben Hammers wurde stattgegeben. 1950 stellte er einen Antrag auf Rückgabe seiner Wohnung, der allerdings „vom Magistrat der Stadt Wien im Sinne der Bestimmungen des Nat. Soz. Gesetzes abgewiesen wurde.“”° Auch die Berufung des Dipl.-Ing. Hammer wurde vom Bundesministerium für Soziale Verwaltung abgewiesen.” Im Mai 1955 wurde Dr. Genner wegen Aufkündigung der Wohnung in der Bastiengasse 40/2 von der Eigentümerin der Wohnung, einer Genossenschaft, geklagt. Die Klage ist nicht mehr vorhanden. Den Briefen Dr. Christian Brodas, des Anwalts meiner Mutter, an seine Mandantin und dem im Urteil angegebenen Paragraphen des Mietengesetzes” entnehme ich jedoch, dass sich die Klage im Wesentlichen auf zwei Punkte stützt: Erstens auf die Zweckentfremdung der Wohnung, d.h. dass die Wohnung eben nur als Wohnung vermietet wurde, und nicht als Ordination. Zweitens auf Eigenbedarf, wobei hier zugegeben wurde, dass Dr. Günter Hammer, einer der Söhne des inzwischen verstorbenen Dipl.-Ing. Hammer, die Wohnung beziehen wollte. Meinen Recherchen zufolge war auch Dr. Günter Hammer Parteigenosse.”’ Das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 3. Februar 1956 entschied für die Aufkündigung der Wohnung. Es stützte sich dabei einerseits darauf, dass die Wohnung nicht als Geschäftsraum verwendet werden durfte, andererseits auf die Begutachtung der Wohnung Höhnegasse 19, in der die Familie Genner wohnte und die groß genug wäre, um dort auch zu ordinieren. Aus folgender Passage des Urteils schließe ich, dass der Richter selbst Nazi war: Wenngleich im Zeitpunkt der Zuweisung der strittigen Wohnung die Beklagte noch in aufrechter Ehe mit ihrem Mann lebte, nimmt das Gericht dennoch Wunder, wie in den Jahren 1945 und 1946 sozial denkende Menschen es mit ihrem Gewissen in Einklang bringen konnten, bei der damals herrschenden drückenden Wohnungsnot und dem Besitze einer unterbelegten Großwohnung eine weitere für Ordinationszwecke anzufordern. Dies muss in diesem Zusammenhange festgehalten werden, weil tatsächlich der Eindruck vorherrscht, dass bei der Wohnungszuweisung nicht allein sachliche, sondern leider auch politische Erwägungen mafsgebend waren.