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Helga W. Schwarz Schriftsteller, Künstler und Exilant Er war ein wichtiger Zeitzeuge des Zwanzigsten Jahrhunderts, der „als ein aufrechter und gewissenhafter Mensch sowohl künstlerisch als auch schriftstellerisch eine starke positive Wirkung hinterließ ... als ein deutscher Geisteswissenschaftler in Wort und Werk ein bleibendes Zeugnis ablegte für das Schicksal einer ganzen Generation Verfolgter und unter politischer Tyrannei leidender Menschen“, resümiert sein Biograf Helmut F. Pfanner. Er charakterisiert den am 13. November 1892 in Hannover geborenen Karl Jakob Hirsch als ein Multitalent mit „einer Reihe von illustren jüdischen Vorfahren ...“ (Vgl. Helmut E Pfanner: Karl Jakob Hirsch. Schriftsteller, Künstler und Exilant. Biografie mit Werkgeschichte. Würzburg: Königshausen und Neumann 2009. 185 S. 40 Abb.) Als Mitarbeiter der expressionistischen, von Franz Pfemfert (1879 — 1954) herausgegebenen Zeitschrift „Die Aktion“, war Hirsch in den 1920er Jahren vor allem durch grafische Arbeiten bekannt geworden. Im Künstlerkreis Worpswede, dem kleinen Moordorf nördlich von Bremen, hatte er bei wiederholten Arbeitsaufenthalten unter anderen Heinrich Vogeler (1872 — 1942) und Carl Emil Uphoff (1895 — 1971) kennen gelernt. Doch Hirsch hielt es nicht lange in der ländlichen Abgeschiedenheit. Er reiste nach Paris, wo er Rainer Maria Rilke begegnete, dem er in großer Verehrung eine Serie von Illustrationen zu dessen Dichtung „Marienleben“ widmete. Seine Rückkehr nach Berlin im Herbst 1915 führte dann bald zu einer engen künstlerischen Zusammenarbeit mit Franz Pfemfert. Im Juni des Kriegsjahres 1916 heiratete er die Ärztin Auguste Lotz, genannt Gulo. Mit ihr feierte er im Herbst des selben Jahres stolz die vom Kestner-Museum Hannover veranstaltete erste Ausstellung seiner Radierungen. Wenig später erhielt er jedoch den Einrufungsbefehl. Bereits in der ersten Nacht im Militärquartier beschrieb er seine Erlebnisse im soldatischen Alltag als den „Pesthauch des Militarismus“. Der Militärdienst verlief für ihn zwar glimpflich im Hinterland, aber er hatte genug geschen vom Krieg und begrüßte 1918 die revolutionären Veränderungen. Im Frühjahr 1919 trat er dem von Ludwig Rubiner (1881 — 1920) initiierten „Bund für proletarische Kultur“ bei. Hier trafer die bekannten Schriftsteller Alfons Goldschmidt (1879 — 1940), Arthur Holitscher (1869 — 1941), Franz Jung (1880 — 1963) und Rudolf Leonhard (1889 — 1953), deren Lebenswege sich später wiederholt mit dem seinen kreuzten. Noch galt aber Hirschs Interesse vorwiegend dem ,,proletarischen Theater“. In dieser Zeit vollzog sich für ihn der Übergang vom bildkünstlerischen zum literarischen Schaffen. Der Entschluss des Ehepaares Hirsch im Sommer 1919 zur völligen Übersiedlung nach Worpswede, wo Gulo sich als Landärztin etablierte, brachte für K.J. Hirsch nur wenige ruhige Schaffensphasen. Er konnte einfach den Verlockungen künstlerischer Aufgaben in Berlin nicht widerstehen. Alleine die Auflistung von Hirschs Beteiligung an Bühnenbildern und Gesamtausstattungen im expressionistischen Stil für die Berliner Volksbühne oder der Filme, an denen Hirsch als Filmarchitekt mitwirkte, ist verwirrend. Hinzu kamen kunst- und literaturkritische Aufsätze 20 ZWISCHENWELT für verschiedene Zeitschriften. Trotzdem fand Hirsch bis 1933 noch Zeit für mehrere Reisen, zum Beispiel in die Schweiz, nach Österreich oder in die skandinavischen Länder. Eine Italienreise 1925 brachte ihm erste schockierende Findrücke vom Funktionieren des sich ausbreitenden faschistischen Staatsapparates unter Mussolini. Doch nachhaltiger wirkte auf ihn vorerst die unerwartete Wiederbegegnung mit der ehemaligen Frau seines früheren Worpsweder Lehrers Carl Weydemeyer. Die in Amerika geborene Tochter deutscher Einwanderer, wirkte in Deutschland unter dem Namen Wera Carus als Ausdruckstänzerin. Beide Künstler empfanden ihre unverhoffte Begegnung als schicksalhaft, was 1929 zu Hirschs Scheidung von Gulo und kurz darauf zur Heirat mit Wera führte. Dieser Ehe entstammt der 1932 geborene Sohn Ralph. Das Ehepaar Hirsch gründete Anfang der 1930er Jahre in BerlinZehlendorf den Carus-Verlag. Zudem gestattete sich Hirsch den Luxus eines Arbeitsdomizils in dem bei Potsdam gelegenen Dorf Caputh, in dem auch Albert Einstein von 1929 bis 1932 ein Sommerhaus bewohnte. Hier schrieb Hirsch 1932 die leichte Sommeıgeschichte „Felix und Felicia“, wählte jedoch dafür das Pseudonym: Karl Böttner. Das schmale, bewusst unpolitisch gehaltenen Buch erschien bis 1937 in sieben Auflagen. In dieser Zeit war Karl Jakob Hirsch auf der Höhe seines Schaffens und in der deutschsprachigen Literaturszene etabliert. 1930 hatte er mit seinem Roman Kaiserwetter, bei Samuel Fischer veröffentlicht, den literarischen Durchbruch geschafft. Es war ihm ein echter Bestseller gelungen, den die Nationalsozialisten dann 1933 auch auf ihre Scheiterhaufen warfen. Dieser diffamierte Erfolgsroman erschien aber nach 1945 wiederholt in Neuauflagen und brachte seinen Autor in das Bewusstsein der Leser zurück. Anfang der 1930er Jahre hatte Hirsch in Süditalien noch eine Fortsetzung zu Kaiserwetter geschrieben. Das Manuskript kam Ende 1932 zum Fischer-Verlag - wurde aber nicht mehr gedruckt und ging verloren. Längst war Hirsch als Vertreter des Berliner Expressionismus und Worpsweder Künstlerkreises in den Blick der Kunstinteressierten gelangt, wozu bedeutende Ausstellungen in München, Hannover, Frankfurt am Main und Hamburg beitrugen. Viele seiner Grafiken und bildkünstlerischer Werke sind leider verschollen, doch eine Sammlung früher Grafiken wird u.a. von dem Archiv des Barkenhoffs in Worpswede bewahrt. Für Hirsch typisch und für die Rezipienten seiner Arbeiten verwirrend, war seine Verwendung zahlreicher Pseudonyme. Erst mit Hilfe von Hirschs dritter Frau Ruth Gassner-Hirsch, konnte H.F. Pfanner etwa 20 Varianten ermitteln; doch es blieben Zweifel, ob diese Liste vollständig ist. Hirsch selbst erkannte die Gefahr, „in der Masse der verwendeten Namen unterzutauchen‘“, änderte daran aber wenig. Das betrifft ebenfalls Hirschs autobiografische Angaben über seine Aufenthaltsorte und Decknamen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. So konnte selbst sein Biograf weder für Hirschs Verbleib in Deutschland noch für dessen Schritte in die Emigration konkrete Daten für die Jahre 1933 bis 1936 ermitteln.