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Jedenfalls zögerte Hirsch mit der entgültigen Entscheidung, obwohl ihm die Nazis bereits im April 1933 Berufsverbot erteilt hatten. Später wollte er dessen ungeachtet zu den „Emigranten der ersten Stunde“ gerechnet werden, obwohl er unverständlicherweise sogar noch 1945 diesbezügliche Daten zu verschleiern suchte. Im Sommer 1936 hatte Hirsch aber angesichts der politischen Entwicklungen den Schritt in die Emigraton doch vollziehen müssen — zunächst in die Schweiz und 1937 in die USA. Sein langes Zaudern widerspiegelt der 1933 in Dänemark begonnene Roman Hochzeitsmarsch in Moll, den er noch in Deutschland abschloss. Die Veröffentlichung in Fortsetzungen des Romans 1936 im „Berliner Israelitischen Familienblatt“ kann aber als Warnung an die jüdischen Leser und Aufruf zum Handeln angesichts der wachsenden Bedrohungen verstanden werden. Etwas überschaubarer gestaltetet sich Hirschs Leben und Schaffen in den USA, wo er sich fortan überwiegend Joe Gassner nannte. Das erklärt später auch den Doppelnamen seiner dritten Frau Ruth Gassner-Hirsch, die er nach seiner endgültigen DeutschlandRückkehr 1948 in München heiratete. In den USA, vornehmlich in New York, hatte Hirsch nur begrenzte Wirkungsmöglichkeiten. Zunehmend bedrückten ihn Sorgen um den finanziellen Unterhalt für seine Familie. Das verwundert um so mehr, da er - nachdem er als Mitarbeiter der „Neuen Volkszeitung“ akzeptiert war — dort in den folgenden acht Jahren mehr als 600 meist kulturpolitische Beiträge veröffentlichen konnte, dazu gelegentlich längere Aufsätze und Kurzgeschichten. Außerdem schrieb er etwa 30 Beiträge für die bis heute erscheinende deutschsprachige Wochenzeitung „Aufbau“ und betreute zwischen November 1941 und Juli 1942 regelmäßig die Rubrik „Welle Aufbau“. Seine „Kurznachrichten übers Radio“ liefern heute noch ein gutes Panorama über die von den Deutschen und österreichischen ExilantInnen zu jener Zeit in New York besuchten Filme, wie Pfanner recherchierte. Hirsch analysierte zudem in einer 6-teiligen Artikelserie Diskussionen und Hörspiele mit zeitgenössischer Kriegsthematik, und später in der 5-teiligen Serie Win the War berichtete er von Diskussionen über die Nachkriegsituation in Europa. Die vielfältigen Erlebnisse und Begegnungen während seiner journalistischen Tätigkeit verhalfen ihm rascher und besser als vielen anderen Exilanten zu einem guten Verständnis für die Probleme der Menschen des Gastlandes. Eine demgemäße größere Arbeit schrieb Hirsch 1939 unter dem Titel „Heute und morgen“, welche bis kurz vor Kriegsausbruch im Feuilletonteil der New Yorker Volkszeitung in Fortsetzungen erschien. Es war eine von Hirschs Aufforderungen an die Leser zum politischen Handeln, zum aktiven Widerstand gegen Hitler. Durch literarische Gestaltungen von Schicksalen dieser Zeit überwand er seine eigene Verzagtheit und hoffte, dass die Leser ihm folgen könnten. Sein Plan, diesen Roman unter dem Titel Manhattan-Serenade nach dem Krieg in Buchform herauszubringen scheiterte am allgemeinen Desinteresse für Exilliteratur; erst 2001 erreichte das von H.F Pfanner beim Peter Lang Verlag in Wien herausgegebene und kommentierte Buch die deutschsprachigen Leser. Ein weiterer Roman, womit Hirsch ebenfalls auf die weltpolitische Gefahr durch den deutschen Faschismus hinzuweisen versuchte, ist in Fortsetzungen von November 1940 bis Januar 1941 unter dem Titel „Tagebuch aus dem Dritten Reich, Aufzeichnungen eines Jungen“ in der „Neuen Volkszeitung“ erschienen — gezeichnet mit „Joe H. Gassner“. Im August 1941 erhielt Hirsch auf Grund seiner Ehe mit der Amerikanerin Wera bereits nach drei statt der sonst üblichen fünf Jahre Wartezeit die amerikanische Staatsbürgerschaft, was seine publizistische Tätigkeit wesentlich erleichterte. Da seine Frau Wera sich trotzdem immer schwerer mit dem beruflichen und sozialen Abstieg gegenüber ihrem Leben in Berlin abfinden konnte, kam es schließlich 1943 zur Scheidung. Der gemeinsame Sohn Ralph blieb bei der Mutter, die sich fortan Nellie (Nell) Hamilton nannte. K.J. Hirsch versank danach in einer Lebenskrise. Außerdem geriet er wegen seiner kritischen Einstellung gegenüber den religiösen jüdischen Traditionen seiner Vorfahren in Konflikt mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde in New York. (Hirsch war der Enkel des großen deutschen Rabbiners und Begründers der Neoorthodoxie Samson Raphael Hirsch.) In der Folge erkrankte er schwer. Während eines Krankenhausaufenthaltes, nach mystischen Scheinerlebnissen in Fieberträumen und langen Gesprächen mit Pastor Friedrich Joachim Forell konvertierte Hirsch am Karfreitag 1945 zum protestantischen Glauben. Um Verständnis warb er für diesen Schritt mit dem Bekenntnisbuch „Heimkehr zu Gott. Briefe an meinen Sohn“, erschienen 1946 beim Karl Desch Verlag in München. Die Kritik seines Schicksalsgefährten Alfred Döblin im Brief vom 15. März 1947 „daß er in diesem Buch mehr von äußeren als von inneren Erfahrungen berichtete“, bewog ihn zu einer neuen Fassung während seiner letzten Lebensjahre. Unter dem Titel „Quintessenz meines Lebens“, fand das Buch jedoch erst posthum 1990 zu den Lesern — herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von H.F. Pfanner. In den letzten Kriegsjahren lebte Hirsch zunehmend isoliert. Einer seiner engsten Freunde in New York war Ernst Toller gewesen, der aber bereits 1939 Selbstmord verübte. Weniger eng war vermutlich seine Beziehung zu George Grosz, obwohl er in dessen Haus als Gast Hanns Eisler und Günter Weisenborn gelegentlich begegnete. Trotz vielfältiger journalistischer Aufträge und schriftstellerischen Projekte war seine finanzielle Situation oft derart angespannt, dass er sich nebenher um Gelegenheitsjobs bemühen musste. Für die Bezahlung des erwähnten Krankenhausaufenthaltes hatten Freunde und Kollegen sogar Geld gesammelt. Nur kurze Zeit nach der Kriegserklärung Hitlerdeutschlands an die USA fand Joe Gassner, wie sich Karl Jakob Hirsch nach seiner Einbürgerung ofhiziell nannte, beim Civil Service in New York eine Anstellung als amerikanischer Beamter (Senior Examiner), wo er die Korrespondenzen deutschsprachiger Kriegsgefangener auf etwaige Spionageinhalte zu prüfen hatte. Als sich nach Kriegsende die Möglichkeit bot, im Dienst des amerikanischen Kriegsministeriums nach Deutschland überstellt zu werden, war er ohne Zögern dazu bereit. In Pullach bei München bekam er „als amerikanischer Besatzungssoldat in Deutschland“ Arbeit bei der Briefzensur. Während des fast zweijährigen dienstlichen Aufenthaltes im Nachkriegsdeutschland fühlte sich Hirsch als „Rückkehrer auf Zeit“. Die Bewilligung einer Reise nach Dänemark nutzte er für Besuche seiner Heimatstadt Hannover und seiner ersten Frau Gulo in Worpswede, die dort allerdings wenig später, am 26. März 1947, verstarb. Im Nachgang dieser Ereignisse schrieb er den Roman „Der alte Doktor“, dessen Rahmenhandlung mit der Beerdigung einer Ärztin in Worpswede beginnt. In diesen Münchner Monaten verstärkte sich bei K. J. Hirsch das Gefühl, nirgends fortan wirklich zu Hause sein zu können wie hier, wo er zudem täglich die deutsche Sprache hören konnte - von wo er aber einst ausgebürgert wurde. Juni 2018 21