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„Unitarian Universalists“, wie wir dem Nachruf („Obituary“) der Familie in u.a. dem Boston Globe entnehmen. Im Jahr 2006 stellte Hanna Papanek in Berlin und an anderen Orten die eindrucksvolle Auto-, Doppel-, Triple-, ja Multi-Biographie Elly und Alexander. Revolution, Rotes Berlin, Flucht, Exil—eine sozialistische Familiengeschichte vor, ins Deutsche übersetzt von Joachim Helfer und Hannah C. Wettig (Berlin: vorwärts buch); selbst hatte sie sich nicht getraut, direkt in ihrer Muttersprache zu schreiben, das Englische war ihr inzwischen geläufiger geworden. Die Familiengeschichte erschließt die Zeitgeschichte, oder umgekehrt: die Zeitgeschichte, global und lokal, spiegelt sich in der Familiengeschichte. Das Buch ist das Ergebnis von Literatur- und Archiv-Recherchen, von Suche nach und Besuchen bei Verwandten und (ehemaligen) Freunden und Bekannten bereits Verstorbener in den USA und in verschiedenen Ländern Europas bis hin nach Lettland, von Ego-Dokumenten diverser Art und Provenienz, von Gedankenaustausch mit älteren und jüngeren Forschern und FreundInnen, schließlich von dem Vergessen entrissenen Erinnerungen - alles miteinander verwoben durch die, hier bildhaft mit der „Allegorie des Javanischen Schattenspiels“ erläuterte, Methode der „Teilnehmenden Geschichtsschreibung“ („Participating History“, plastisch ausgedrückt: „facing history and ourselves“ — der Geschichte und uns selbst ins Gesicht sehen); d.h. der Autor bringt sich als erinnerndes und reflektierendes Subjekt selbst als Objekt, als Betrachteten in die Narration der (recherchierten) Geschichte(n) ein. (Eine Methode übrigens — über den Terminus mag man streiten —, deren wissenschaftliche Gültigkeit lediglich von Zeitzeugen von Ereignissen und politischen oder kulturellen Bewegungen/Strömungen beansprucht werden kann.) Am Anfang des Unterfangens, ihren Wurzeln und ihrem Werdegang im Mikrokosmos der Eltern und ihrer Familien innerhalb des Makrokosmos der demokratischen sozialistischen Bewegung im 20. Jahrhundert nachzuspüren, stand die Suche nach dem Exil, „In Search of Exile“, wie Hanna Papanck schreibt. Die Auseinandersetzung mit Exil als Phänomen des 20. Jahrhunderts, mit der Familie, auch der in Deutschland und in Lettland (dort dem Holocaust zum Opfer gefallen), mit ihren eigenen Exilen hatte Hanna Papanek lange Zeit verdrängt hinter der wissenschaftlichen Karriere, die sie im vierten, dem ‚freiwilligen Exil‘ aufzubauen begonnen hatte. Ihre und ihres Mannes Migration 1954 mit den beiden kleinen Kindern Tom und Joanne nach Süd- und Südostasien war indes so freiwillig nicht, erwies sich aber als Ausgangspunkt überaus fruchtbarer Forschungs-, Lehr- und anderer gesellschafts- wie wirtschaftspolitischer Aktivitäten. Als überzeugte Sozialisten hatten beide die christlich-antilinken, in der McCarthy-Ära zum Kommunismus-Wahn gesteigerten Zwänge in der Gesellschaft und im akademischen Milieu der USA zu spüren bekommen, für Hanna war die Diskriminierung von Frauen im Wissenschaftsbetrieb hinzugekommen. Gus konnte nach seiner Entlassung aus der Südasienabteilung der Technical Cooperation Administration beim State Department in einer amerikanischen Beratergruppe der Wirtschafts-Planungskommission der pakistanischen Regierung in Karachi arbeiten. Hanna, die nach dem Abschluss der Hunter High School, einer öffentlichen Elite-Schule an der Upper East Side von Manhattan, Anthropologie/Enthnologie, Soziologie und Psychologie an der für Frauen bestimmten, der Harvard University assoziierten Radcliff Graduate School studiert hatte, nahm Feldstudien iiber die islamitische Sekte des Aga Khan auf. Mit ihrer Doktorarbeit Leaderschip and Social Change in the Khoja Ismaili, in der sie besonders auf die Kindererziehung und das alltägliche ‚religiöse‘ Leben der Frauen in den Armenvierteln von Karachi focussierte, war sie 1962 eine der ersten Frauen, die am Department of Social Relations der Harvard University promovierten. Die Stellung von Frauen in der Gesellschaft und in der Familie, Frauenarbeit und -politik, Entwicklung/Bildung, die Rolle von Religion und Religionsgemeinschaften vor allem in Entwicklungsländen Süd- und Südostasiens waren ihre großen Forschungsfelder und - in Details — Themen ihrer Lehrtätigkeiten u.a. an der University of Indonesia, an Harvard, Boston University und University of California-Berkeley. Die Ergebnisse veröffentlichte sie in zahlreichen Artikeln und Büchern (die leider hierzulande zum allergrößten Teil unbekannt sind), stellte sie in Kommissionen und auf Konferenzen vor und zur Diskussion. Aus der Beobachtung ungleicher Karrieren gleich qualifizierter, akademisch ausgebildeter Ehepartner im amerikanischen Arbeitsumfeld ihres Mannes, in dem institutioneller Druck und soziale Kontrolle die Ehefrau geradezu verpflichtete, der wissenschaftlichen Karriere ihres Mannes zu dienen, welche ihr andererseits ihren sozialen Status verlieh, entwickelte Hanna Papanck bereits Anfang der 1970er Jahre die soziologische Kategorie der „TwoPerson Career“ (Men, Women, and Work: Reflections on the Two-Person Career, American Journal of Sociology, Vol. 78, No. 4; Changing Women in a Changing Society [Jan., 1973], S. 852872). Dass ahnliche Rollenmuster in anderen gesellschaftlichen — religidésen, politischen usw. — Milieus ebenfalls die Kriterien der Kategorie der „two-person career“, welche de facto auf die „two-person single career“ hinausläuft, erfüllen, zeigen einige der Beiträge, darunter der von Hanna Papanek selbst, auf der Tagung der Arbeitsgemeinschaft „Frauen im Exil“ in der Gesellschaft für Exilforschung e.V., die im Herbst 2009 in Kochel am See stattfand (siche Politik — Parteiarbeit — Pazifismus in der Emigration: Frauen handeln, hg. von Hiltrud Häntzschel und Inge Hansen-Schaber, München: edition text + kritik 2010). Auf Einladung der, leider ebenfalls jüngst verstorbenen, damaligen Leiterin der AG, Beate Schmeichel-Falkenberg, hatte Hanna Papanek 1994 erstmals an einer Tagung der AG teilgenommen. Kennengelernt hatten sich beide im November 1991 auf einer gemeinsam vom Deutschen Historischen Institut in Washington, D.C., dem Washingtoner Büro der Friedrich Ebert-Stiftung und dem Leo Baeck Institute New York City veranstalteten Konferenz über „Women in the Emigration after 1933“ — wohl Hannas erste direkte Berührung mit der Erforschung des deutschsprachigen Exils. Dass Frauen das Thema waren und auch eine Reihe von Zeitzeuginnen auf dem Programm stand, sprach sie als Feministin wie als Forscherin und auch als (ehemals) Exilierte an. Und so hatte sie mich, als ich ihr von meiner bevorstehenden Reise zu besagter Konferenz nach Washington schrieb, gebeten, sie doch kurzfristig noch anzumelden. Wir waren durch ihre ältere Freundin Hanna Hertz Golden (beider Mütter hatten sich besonders nahe gestanden), die aufgrund meiner Recherchen zu ihrem Vater, Paul Hertz, auch meine Freundin geworden war, zwei oder drei Jahre zuvor in in Kontakt gekommen. Hanna Papanek hat ihren immateriellen wissenschaftlichen Fundus, ihre Erfahrungen und, nicht zu vergessen, ihre aimable, kritische, humorvolle Persönlichkeit in die AG „Frauen im Exil“ eingebracht. Sie hat durch eigenes Vorbild, in Statements und in Diskussionen gemahnt, dass Forschung über Frauen (und Kinder) im Exil mehr als der Focus auf Einzel-Geschichten und dass die Genderperspektive, auch in der Interpretation literarischer Texte, Juni 2018 23