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Tier in erregter Bewegung. Will das Paar sich selbst und dem Tier zur Flucht verhelfen? Oder will es das Tier an der Flucht hindern? Die Frau hält den Stier in tänzerischer, fast schmeichelnder Umarmung, der Mann nähert sich ihm mit aggressiv geballten Fäusten. Im Vordergrund ruht eine zweite Frauengestalt, an den Mann gelehnt. Als welche sicht sich Rosa? Als die Schutzsuchende oder die sich Befreiende, Behauptende? Aber auch Ernst drückte seine Gefühle über die gescheiterte Ehe aus. In seiner Novelle Maria am Gestade erwähnt er das „Mädchen mit den großen seltsamen Augen“, das an ihm vorübergeht und ihn nicht sieht. „Ich warte und warte und meine Seele träumt.‘ Mehr noch bedrückte ihn die Trennung von seinem Kind. In seinem Traum „lag es in seiner Wiege und lachte mir zu. Und streckte die Ärmchen“®. Sein Versagen als Vater beklagte er mit den Worten eines Volksliedes. Auf die Bitte der Mutter: „Wiege... wiege... mein Kind will schlafen“ antwortet er: „Ich kann nicht... Meine Finger sind erfroren.“” Von Rosas Leben in Wien in den späten Zwanzigerjahren ist bis jetzt wenig bekannt. Es wird erwähnt, dass sie Skulpturen und Holzschnitte im Künstlerhaus und in der Kunstgemeinschaft ausstellte. Im Ganzen scheint sie sich der Schriftstellerei, besonders der Lyrik zugewandt zu haben. Im Jahr 1932 erschienen wiederholt Gedichte Rosa Schafers in der Neuen Freien Presse‘, sowie zwei Gedichte im Jahr darauf: Ewigkeit und Träume. Am 4. Dezember 1933 würdigte sie der Feuilletonredakteur Otto Koenig in der Arbeiter-Zeitunganlässlich der Besprechung der Radiosendung „Lyrik der Gegenwart“ als „lräger echter Begabung“. Zu den meisten anderen vorgelesenen Gedichten meinte Koenig: „Man vermißte Kraft und Frische, man verspürte kaum den Atem unserer Tage.“ Die Anthologie Österreichische Lyrik der Gegenwart, die Rosa mit Robert Brasch 1934 im Saturn Verlag herausgab, enthält ihre Gedichte Inseln, Ewigkeit und Plastik. In Plastik ist der Künstler der Gestalter der „Urform“, der das „Abbild einer Zeit und einer Welt“ schafft. Im Gegensatz dazu beklagt Inseln das Fremdsein, das Nicht-Dazu-Gehören zur eigenen Zeit und die Sehnsucht „nach der Bruderhand“, denn ohne diese sind wir „sinnlos in den weiten Raum gehängt“. Insgesamt sind es 54 Autoren, die zu dieser Anthologie beitrugen, unter ihnen Felix Braun, Käthe Braun-Prager, Theodor Kramer, Alma Johanna Koenig und Stefan Zweig. Sie alle beschrieben 26 _ ZWISCHENWELT ihre Außenseiterexistenz. Alma Johanna Koenig schlug dabei den diistersten Ton an. Sie erinnert sich an eine Kindheit, die „war wie ein tiefer Schacht, drin der Tag wie ein Stein versank.“'? Zuversichtlicher wirkt Stefan Zweigs Die Schönheit spricht. Er mahnt den Künstler, sich als „Flamme“ zu sehen, „... lodernd, daß die ganze Welt die Schönheit sche ...“"? Zwei bekannte nichtjüdische Autoren, Friedrich Schreyvogl und Heinrich Suso-Waldeck, versprachen Österreich eine glanzvollere Zukunft. Suso-Waldeck lobte in Männliches Weinlied die männliche Schöpfungskraft, die „erlesen ist, uns und die Welt zu befreien“'‘, und Schreyvogl verkündete: „Freunde, wir haben die Schlüssel der neuen Gewalt!“ Doch verhinderten auch solche absichtlichen oder unabsichtlichen Konzessionen an damals ideologisch Gängiges nicht, dass der Saturn Verlag in den folgenden Jahren als „Judenverlag“ beschimpft und 1938 liquidiert wurde. '° In der Titelei des Buches ist angemerkt: „Diese Anthologie geht auf eine Anregung des Bundes junger Autoren Österreichs zurück.“ Dieser Verein war u.a. Trägerverein der Kabaretts „Die Stachelbeere“ und „Literatur am Naschmarkt“ in Wien. Gleich vom 1. Programm der „Literatur am Nachmarkt“, das von 3. November 1933 an lief, berichtet die Theaterhistorikerin Ingeborg Reisner: „Rosa Schafer und Kurt Tischler, Mitglieder des ‚Bundes junger Autoren‘, hatten Lyrik und Song beigestellt ...“ Die Arbeiter-Zeitung schrieb dazu am 21.11.1933: „... schr schön ist das Liebesgedicht von Rosa Schafer.“'” Vorgetragen wurde ihr Gedicht ,,Abschied“. Der Marz 1938 war fiir Osterreich, besonders fiir seine Juden, schicksalhaft. Alle Juden wurden ihrer Biirgerrechte beraubt. Im Juli 1938 fand die Konferenz von Evian statt, auf der viele Lander ablehnten, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Der November brachte die „Kristallnacht“. Gegen Ende 1938 hatten bereits schr viele österreichische Juden das Land verlassen. Ein großer Teil von ihnen suchte Zuflucht in England. Rosa verließ Wien im September 1938. Ihr Ziel wird auf dem Meldezettel als „unbekannt“ angegeben. Erst sechs Monate später, im März 1939, kam sie in England an. Als ihre vorige Adresse gab sie dort Stari Futog in Jugoslawien an, einen Ort in der Vojvodina, an dem sich auch andere Flüchtlinge aus Österreich aufhielten, so die Familie des Wiener antinazistischen Publizisten Alfred Missong, den Rosa höchstwahrscheinlich bereits von Wien her kannte. War sie nach Jugoslawien geflohen, weil dieses Land bis zum deutschen Überfall im April 1941 — widerwillig zwar — noch Flüchtlinge aufnahm? 1936 war Rosas Vater Gustav Krombert gestorben. Kurz danach reiste ihr Bruder Ernst mit seiner Familie nach Holland aus. Andere Verwandte gingen nach Paris und nach England. Im Zuge der „Arisierung“ wurden 1938 viele Gebäude im 7. Bezirk enteignet. Das Haus Neubaugasse 25 wurde von der Nazi-Ortsgruppe „Siebenstern“ besetzt. Über die Kindheit des Sohnes Wolfgang in Wien ist wenig bekannt, nur dass er in der Familie als schwierig im Umgang galt. Als 16-Jähriger kam er am 10. Dezember 1938 mit dem ersten Kindertransport von Wien nach England. Als seine letzte Adresse in Wien wird nicht mehr Neubaugasse 25, sondern Lerchenfelderstaße 72 angegeben. Rosa erreichte England drei Monate später, verschen mit einem domestic permit, einer Arbeitsgenehmigung als Haushaltsgehilfin.