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Konstantin Kaiser Laudationes zum Theodor Kramer Preis für Schreiben im Widerstand und im Exil, gehalten am 9. September 2017 in Niederhollabrunn Renate Welsh-Rabady Die vielfach ausgezeichnete Autorin von Jugendbüchern habe ich als jugendlicher Leser versäumt. Ich war schon zu alt dafür. Kennengelernt habe ich Renate Welsh-Rabady als Autorin von Romanen und Erzählungen, „Das Lufthaus“, „Die schöne Aussicht“, „Großmutters Schuhe“, „Liebe Schwester“... Und zunächst ist mir der ungeheure Respekt aufgefallen, mit dem sie ihre literarischen Figuren gestaltet. Es ist dies kein Respekt dsr Wegschauens oder Verleugnens gewisser problematischer Züge von Menschen, sondern ein Respekt vor dem Zusammenhang ihres Fühlens, Handelns, Denkens. Dieser wird auch jenen gezollt, die sich im Verlauf der Handlung nicht unbedingt als edelmütig erweisen. Es ist ein Respekt für die menschliche Würde. Er drückt sich aus in einer ungeheuer differenzierten Sprache, die nicht vor Sprichwörtlichem und Umgangssprachlichem zurückscheut, die souverän die Möglichkeiten sprachlicher Gestaltung auslotet, ohne daß sich die Autorin als diktatorische Herrscherin ihres Sprachgebildes aufspielt. Das ist alles syntaktisch, lexisch, idiomatisch korrekt, aber keineswegs trivial, vielmehr lebendig, vielgestaltig, Höhen und Tiefen durchwandelnd. Bei Renate Welsh kann man vielen Wörtern begegnen, die man selten trifft, und doch erhellt sich ihr Sinn stets aus dem Zusammenhang. Mit ihrer reichen Sprache verteidigt Welsh die Würde ihrer Figuren, zugleich, indirekt, die Menschenwürde. Sodann springt die Geduld, mit der da erzählt wird, ins Auge. Man möchte an Thomas Manns Wort denken, dass nur das Gründliche unterhaltsam sein kann. Es ist ein Blick auf zunächst winzig scheinende Veränderungen, Verschiebungen, Umdeutungen im Leben ihrer Figuren, ein Blick auf das Prozeßhafte des Daseins, und Mißverständnisse, auf die unterschiedlichen Perspektiven der Personen und ihre manchmal schicksalhafte Verschränkung. Und der Mensch ist in Renate Welsh‘ Erzählkunst alles andere als ein abstrakter Mensch. Er ist nicht die auf ihre Körperlichkeit reduzierte Skulptur, die dann irgendwie in Bewegung gesetzt wird. Er trägt Kleidung und die nimmt er aus einem Kasten oder Schrank, wie immer, er kauft sie ein, bürstet sie, sucht das Richtige aus. Immer sind die Hände und die Dinge, mit denen sie sich befassen, mit im Spiel, ob sie nun den Kleiderbügel nehmen oder den Kochtopf auf den Herd stellen, das Essen zubereiten oder Unkraut jäten und Blumen pflücken. Der Mensch besteht aus einem Bündel von Lebensfäden, und er ist immerzu ein tätiger Hand-Mensch, der sich auch immerzu erinnert, dieweil er seine nächsten Schritte plant. Vergangenheit und Gegenwart sind bei Renate Welsh nicht durch unsichtbare Mauern getrennt. Sie proklamiert keine pathetischen Neu-Anfänge, sondern bloß jenes Neue, das sich aus dem fortgesetzten Handeln und Denken der Menschen möglicherweise ergibt. Man kann das wunderbar in dem Roman „Liebe Schwester“ nachlesen. Die Erinnerung geht in eine Vergangenheit zurück, die sich dem, der sich zu erinnern wagt, als Vorgeschichte der Gegenwart erweist. Zur Vorgeschichte der Gegenwart gehören die monströsen Verbrechen des Nationalsozialismus und der Widerstand gegen ihn — der Widerstand, der für Renate Welsh die Kontinuität des Menschlichen in der Unmenschlichkeit darstellt. Diese Menschen, in denen sich die Kontinuität des Menschlichen verkörpert, werden von Welsh nicht als Heldinnen gezeigt. Es sind stille Heldinnen wie das Fräulein Emma, die Haushälterin (nachzulesen in dem ZW-Heft „Verpasste Befreiung“, Nr. 2-3/2015, S. 57-59), oder die Zugängerin, deren Geschichte erst spät offenbar wird, in dem Roman „Die schöne Aussicht“. Dieser Roman schildert auch die für Menschen, die sich dem Nationalsozialismus verweigerten, desillusionierende Nachkriegsgeschichte. Ruth Klüger schrieb einmal in dem Buch „Frauen lesen anders“, Fi