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von Erzählungen und Romanen, und zwar für Leserinnen und Leser aller Altersstufen! - ist zur Gänze ein vielgestaltiges Exempel einer spezifisch widerständigen Haltung, die von einem untrüglichen humanistischen Ethos getragen wird. Widerstand meint hier nicht allein, wie dies Renate Welsh in ihrem wegweisenden Band „In die Waagschale geworfen. Österreicher im Widerstand“ (1988) beispielhaft gezeigt hat, die literarische Dokumentation der außergewöhnlichen Leistungen von „Menschen aus dem kleinen, unbekannten Widerstand“? gegen das NS-Regime, von Menschen, die als „Zeugen wider den vorauseilenden Gehorsam der Resignation“ vergegenwärtigt werden. Sie hatten sich gegen alle machtvollen Manipulationen und Zurichtungen eines TerrorRegimes ihren klaren Blick und aufrechten Gang nicht zerstören lassen und mussten bis weit hinein in die postfaschistischen Zeiten, in einer selbstgerechten, geschichtsverleugnenden Gesellschaft, das Stigma des Nestbeschmutzertums ertragen. „Wer nicht wahrgenommen wird, gerät in Gefahr vernichtet zu werden, ja gar nicht existiert zu haben.“? Widerstand meint bei Welsh auch, dass sie mit ihren Texten in meist unbeachtete und/oder verleugnete bzw. ausgeblendete Ritzen unserer Gesellschaft leuchtet, indem sie — meist auf umfangreiche historische Recherchen, auf Gespräche und intensives Zuhören gestützt sowie mit differenziertem zeitgeschichtlichen und psychologischen Wissen ausgestattet — lebendige, nie jedoch platt-homogene, sondern dem widersprüchlichen Leben abgelauschte Figuren aus Vergangenheit und Gegenwart schafft. Ihr Interesse gilt - um ein auch von Renate Welsh gebrauchtes, aber inzwischen fast ungebräuchlich gewordenes Wort zu verwenden - der sprachlich-literarischen Erkundung des Erlebens, insbesondere von ,,unbehausten Menschen“, was oft, wie sie ehrlich sagt, an das Unerforschbare und zugleich Nicht-Darstellbare stößt. An solchen „unbehausten“ Menschenkindern veranschaulicht Renate Welsh exemplarisch wichtige Themen und Probleme unserer Gesellschaft — etwa Kindesnot in unterschiedlichster Ausprägung, Krankheit, Armut und Behinderung, Gewalt in unterschiedlichen Formen (z.B. Mobbing und Ausgrenzung), Rassismus und Alltagsfaschismus, Ausbeutung und Rechtlosigkeit, Heimatlosigkeit, Flüchtlings- und Fremdheitserfahrung, kollektives und individuelles (Ver-)Schweigen usf. - immer wieder stehen insbesondere Mädchen- und Frauen-Leben im Zentrum ihrer Erkundungen. Da werden etwa am Beispiel von Laura in „Das Gesicht im Spiegel“ (1979), dem pubertierenden Adoptivkind, Probleme der Identitätsfindung behandelt oder am Beispiel von „Johanna“ (1979), dem ledigen Landkind und der ausgebeuteten und rechtlosen Magd der 1930er Jahre, die mühsamen Wege zu weiblicher Emanzipation erzählt. Da wird in dem Roman „Die schöne Aussicht“ (2005), ebenfalls nach historischen Dokumenten und persönlichen Erinnerungen und, wie immer, mit für Welsh typischer poetisch-realistischer Wahrhaftigkeit — „wir haben nur geglaubt, sie zu kennen“ — das die Vorkriegs-, Kriegsjahre und Nachkriegsjahre umfassende und beklemmende Leben der Wirtshaustochter Rosa gestaltet. Am Beispiel von Pauline, einer jungen jüdischen Konvertitin aus dem Karlsruher Bürgertum der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Protagonistin des Romans „Das Lufthaus“ (1994), zeigt Welsh einen weiblichen Weg letztlich in die Heimatlosigkeit zwischen allen Zwängen: „Hat es für dich Momente gegeben“, fragt die Erzählerin in den stummen Raum der Vergangenheit hinein, „wo du dich wirklich freuen konntest, nicht nur heiter a erscheinen, wo der Rif in deinem Leben wenigstens fiir kurze Zeit nicht weh tat?“ Die Mädchen Anne aus „Drachenflügel“ (1988) und Sarah aus „Disteltage“ (1996) müssen schmerzhaft umgehen lernen mit gesellschaftlicher Tabuisierung von körperlicher Behinderung bzw. psychischer Krankheit in ihrem engsten Lebensumfeld. Lena, die 14jährige, wird in „Besuch aus der Vergangenheit“ (1999) plötzlich mit der nach 1945 vertuschten Exil- und Vernichtungsgeschichte der NS-Zeit konfrontiert, so wie die beiden 80jährigen verwitweten und in einem gemeinsamen Haushalt lebenden Schwestern Josefa und Karla im Roman „Liebe Schwester“ (2003) ihre abweichenden Erinnerungen gegenseitig ertragen müssen, oder im Roman „Großmutters Schuhe“ (2008) anlässlich eines Leichenschmauses die widersprüchlichsten Gefühls- und Bewausstseinsstände der Generationen aufeinander prallen — erneut ein Exempel für Renate Welshs präzises Wissen um innere Befindlichkeiten, die Masken der Konvention und deren Prägungen: „Die Leute standen verlegen herum“, berichtet die Erzählinstanz, „es war die Verlegenheit von Menschen, die [...]ihre Rolle so gut gelernt hatten, dass sie besser passte als die eigene Haut, die aber plötzlich ohne Skript und ohne Regisseur dastanden.“° In einigen schr aufschlussreichen Reflexionen -z. B. in ihrer Innsbrucker Poetik-Vorlesung „Geschichten hinter den Geschichten“ (1995) oder in ihrem Essay „Das Leben buchstabieren“ (2007) — hat Renate Welsh ihr Selbstverständnis als Schriftstellerin — nicht zuletzt als Anwältin des/der einzelnen, als Hüterin von Erinnerung — explizit gemacht. Den poetisch-ästhetischen Kompass, der schon immer von einem selbstverständlichen antifaschistischen und feministischen Ethos grundiert ist, justierte Renate Welsh über die Jahrzehnte hinweg immer feiner: Immer klarer äußerte sie sich über alle relevanten Komponenten ihres eigenen Schreibens, über den erfahrungs- und selbsterkenntnisreichen Prozess des Schreibens selbst, über ihre eigenen lebensgeschichtlichen Prägungen und damit über sehr persönliche Voraussetzungen ihrer Arbeit, weiters über die potentiell decouvrierende Kraft der Sprache selbst sowie über die vielfältigen Wirkungskräfte von Literatur als einem Selbst- und Welterkenntnismittel. „Und ich habe immer die Sprache gehabt“, sagt sie, um sich zu orientieren, Klarheit für sich zu schaffen, mögliche Muster im Chaos zu entdecken. Sie macht sich zugleich Gedanken über den Zusammenhang zwischen ästhetischer Form und - hoffentlich - langfristigen Wirkungen von Literatur — „viel verschlungener, oft wie ein Fluß, der unterirdisch in zahllosen Rinnsalen versickert. Das Wasser sammelt sich doch Juni 2018 37