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L.: Das ist eben die Frage. Wer hat denn deiner Mutter Rechte verliehen? J.: (zuckt die Achseln) L.: Oder ist deine Mutter hochwohlgeboren? J.: So siehst du aus. L.: Oder hat sie selbst Macht? Kann sie sich ihr Anrecht einfach nehmen? J.: Versuchen Sie das mal heute. L.: Richtig. Also warum hat sie das Recht? J.: So ein Quatsch. L.: Du hattest gesagt du nimmst dir dein Recht. Also ist Macht Recht? J.: Ja. L.: Denk nach. Du sagst, deine Mutter hat Recht darauf, anständig behandelt zu werden. Hat sie Macht? J.: Ich glaub kein Wort. L.: Da ist auch nichts zu glauben. Ich frag bloß. Warum hat sie ein Recht, gut und gern zu leben und anständig behandelt zu werden? Weil sie deine Mutter ist? J.: (zuckt mit den Schultern) L.: So tief bist du also von ihrem Recht überzeugt. Den Grund weißt du nicht. Aber dass sie das Recht hat, das weißt du? J.: Ja. L.: Meinst du, sie hat es, weil sie eben einfach ein Mensch ist? J.: (zuckt mit den Schultern) Wahrscheinlich. L.: Das sagt sich leicht hin, Junge. Und was du da zugibst, ist mehr, als du verantworten kannst. J.: Warum? L.: Weil alle Menschen Menschen sind. — Deine Mutter hat also nicht deshalb ein Recht, weil sie deine Mutter ist, oder weil sie die Witwe Anton ist, sondern weil sie ein Mensch ist? J.: (runzelt die Stirn) L.: Wenn ihr Recht nicht daher kommt, dass sie gerade sie ist, sondern daher, dass sie zu den Menschen gehört, dann scheint man sich das Recht ja gar nicht nehmen zu brauchen. Denn man hat es ja. J.: Unsinn. Wir haben ja keins. L.: Richtig. Was wir haben, ist nur Anrecht auf Recht. Und wenig Rechte im Augenblick. Die haben wir verspielt. Jedenfalls vorübergehend. J.: Warum? L.: Weil wir die Rechte, die Menschen als Menschen haben, Millionen Menschen vorenthalten haben. Und aus Anrechten auf Gerhard Oberschlick Rechte werden erst dann Rechte, wenn wir die Rechte mit all denen zusammen besprechen, die als Menschen gleichfalls Recht auf Rechte haben. J.: (sieht verstandesmäßig ein, aber bleibt noch versperrt und hasst die Einsicht) Reiner Wortschwindel. L.: Erst dann trauen wir einander so, dass wir gerne leben können, weil sonst keiner von uns weiß, was er vom Anderen zu gewärtigen hat. Entweder leben alle gerne oder keiner. J.: Das glaub ich nicht. L.: Glauben sollst du’s auch nicht. Sondern einsehen. Im Übrigen: ein bisschen siehst du schon ein. J.: (zeigt auf die Stirne) Nur hier. L.: Das ist der Anfang. — Und noch ein Wort: Was das Wort „Recht“ betrifft, nicht ich hab es in die Unterhaltung geworfen. Ich hab dich nur gefragt. Aus deinem Worte sind alle Folgerungen von selber herausgekrochen. J.: (reibt sich die Stirne) L.: Uberleg dir’s noch einmal. Bis heute oder bis gestern sagtest du: „Recht ist Macht“. Und heute steht keine Macht hinter dir. Und trotzdem sagst du, du hast „Recht“ auf etwas. Das ist ein ekliger Widerspruch. Aber vielleicht auch lustig durchzudenken. (ab) J.: (kratzt seinen Kopf.) Aus dem Nachlass Günther Anders, Österreichisches Literaturarchiv in der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien, Signatur: ÖLA 237104 Günther Anders (1902 Breslau — 1992 Wien) studierte Philosophie, lebte ab 1929 mit Hannah Arendt zusammen, fliichtete 1933 nach Paris, 1936 nach New York, wo er als Fabriksarbeiter lebte. 1939-42 in Los Angeles, u.a. als Requisiteur in der Filmindustrie. Mitarbeiter der Exilzeitschrifien „Aufbau“ und „Austro American Tribune“. Scharfer Kritiker der Philosophie Martin Heideggers. 1945 in New York Heirat mit Elisabeth Freundlich. 1950 mit E. Freundlich nach Wien. Mitbegründer der Bewegung gegen Atomwaffen. Intensive Mitarbeit an der Wiener Zeitschrift „Neues FORVM“. Ein Ehrendoktorat der Universität Wien, an der ihm nie eine Gelegenheit zur Lehre gegeben wurde, lehnte er kurz vor seinem Tod ab. Seit 1984 erscheinen seine „Gesammelten Schriften in Einzelbänden“ bei C.H. Beck in München. Die 2012 gegründete „Günther Anders Gesellschaft“ vergibt heuer erstmals den „Günther Anders-Preis für kritisches Denken“. Die „Zehn Thesen“, geschrieben 1947 in New York, markieren die vierte Phase seiner Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus, als Anders den Wiederaufbau nach den Verheerungen der Seele im Gebiet des Dritten Reiches konstruktiv ins Auge fasste. Und weil er es konstruktiv anzulegen gedachte, lernen wir ihn von seiner ungewohnt optimistischen Seite kennen. Wie aktuell seine Überlegungen und wie berechtigt ihr Optimismus sein mögen, wird hier dem geneigten Publium zu überlegen überlassen: Nicht umsonst bezieht er den Nutzeffekt der Anwendung seiner Ihesen auf einen jungen Menschen, der von der Hitlerei 46 ZWISCHENWELT schon indoktriniert war und doch noch argumentativ zugänglich, jedenfalls nach dem Zusammenbruch des Regimes einem solchen Gespräch sich auszusetzen bereit und fähig ist. Ob dieser pädagogische Ansatz — oder irgendeiner - vis A vis verbiesterten Identitären oder NLP-geübten FPÖlern noch fruchten könne, ist eine skeptische Frage, wie sie den Pyrrhoniker Anders allemal gefreut hätte, wäre sie nicht allzu allgemein, unspezifisch und doch bloß empirisch zu klären. Eine zweite Anmerkung wäre zu Ihese 4 vorzubringen. Sie betrifft nicht die These selbst und stellt weder die Geschwisterlichkeit