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von Kritik und Freiheit in Frage, sondern bekräftigt diese und fußt auf ihr; bekräftigt auch die dort beschriebene Aufgabe der „Entformung“ und bezicht sich auf die Forderung, „im Unterricht strikt die Benutzung des nationalsozialistischen Vokabulars“ zu vermeiden — ja, diese Aufforderung wird hier versuchsweise sogar verstärkt und erweitert auf alle Bereiche, weil in unserer gesamten Kommunikation die rassistischen, chauvinistischen, gewalttätigen und menschenrechts- sowie menschenfeindlichen Stimulatien der Hitler- und Goebbels-Propaganda keinen Raum mehr bekommen sollen. Allein, darin steckt ja gerade der Anlass für einen skeptischen Einwand: Die Wirksamkeit jener Propaganda war zu ihrer Zeit, zumal aus dem Munde eines damals zeitgemäßen Agitators wie Hitler, ungeheuer. Aus der Position des siebenten Mitgliedes, als das er einer sich „Deutsche Arbeiterpartei“ nennenden Splittergruppe am 16. September 1919 beigetreten war und deren Versammlung „von gerade 20 bis 25 Personen besucht war“, brachte es Hitler, seit 5. Jänner 1920 deren Propagandaleiter, zu der Massenversammlung von 2000 Besuchern am 24. Februar desselben Jahres im Hofbräuhaus. Sein Propagandagenie war nicht darauf angewiesen, erzielte aber einen gewaltigen zusätzlichen Schub aus der - gegen den Widerstand älterer Mitglieder von ihm vollzogenen — Umbenennung auf „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“: ein Magnet für die sozialistisch gesonnenen Massen bei gleichzeitiger Ausbeutung der - trotz des Ersten Weltkrieges noch immer nachwirkenden — patriotischen Propaganda und nationalistischen Verhetzung des größten Teiles der Bevölkerung. Der Schub hat nach der Niederlage des Zweiten Weltkrieges allerdings eine neue Richtung erhalten: Positiv besetzt war „nationalsozialistisch“ nur noch für die kleine Schar nostalgischer Schwärmer, die sich von den Idealen ihrer Jugend nicht befreien wollten oder konnten, und für Spätere, die der halbherzigen Aufklärung nach 1945 widerstrebten — vielleicht waren ihre doch so lieben Eltern allzu verstrickt in jene Zeit, und sie wollten diese um jener willen hochhalten. Der gute, alte Propagandabegriff „Nationalsozialismus“, zwar positiv nicht zu retten, ließ sich nun gut als Waffe gegen alles, was „links“ war, richten: Um ihn den Linken umzuhängen und die Rechte vom N.S. freizuspielen, also die eigene politische Richtung historisch clean zu lügen. Einer der ersten dürfte der rabiat wirtschaftsliberale Ludwig von Mises gewesen sein, dem seine Anhänger auch hierin gern folgen." Als respektable Quelle nützen die Rechten den antifaschistischen ehemaligen Herausgeber der FAZ, Joachim Fest, dem ausgerechnet die TAZ Raum für seine lichtvolle Ausführung gab.” Öffentlich wirksam war 2012 ein Aufguss der chemaligen Vertriebenenchefin Erika Steinbach, weniger Aufsehen hatten davor Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber erregt; im Kielwasser schwimmen Blogger wie Ortner, Broder, Eppinger, und die dümmsten meinen sich auf Goebbels berufen zu sollen, der es doch am besten wissen müsse: „Der Idee der NSDAP entsprechend sind wir die deutsche Linke ... Nichts ist uns verhasster als der rechtsstehende nationale Besitzbiirgerblock.“? — Als wiirde ausgerechnet das Wort des Propagandaministers die Wahrheit offenbaren! So ist, dies nun endlich der skeptische Einwand, der Name »N.S.“— in allen Schreibweisen — ein Vehikel der rechtsgerichteten Propaganda gegen Links, und begleitet, ein genialer Schachzug des Erfinders, historisch unausrottbar eine jede Reflexion auf jene Zeit, und selbst noch den antifaschistischsten Versuch der „Aufarbeitung“. — Michael Guttenbrunners Versuch, die Hitlerei in „Nationalbestialismus“ umzutaufen, blieb so chancenlos wie er berechtigt ist. Ob diese Skepsis aufden gesamten Versuch, das Vokabular des Hitlerfaschismus zu vermeiden, zu erstrecken ist? Ob an die Stelle der Vermeidung besser die kritische Reflexion aufs kontaminierte Vokabular treten sollte? Entspräche das nicht dem übrigen Text, mit Ausnahme nur dieses Passus der vierten Ihese? Diese „Zehn Thesen“ markieren, sagte ich, die vierte der ungefähr unterscheidbaren Phasen von Anders‘ Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus: Die erste begann nach dem gescheiterten Versuch, sich in Frankfurt zu habilitieren, wo ihm 1930 drei Professoren sagten: „Jetzt kommen erst einmal die Nazis dran für ein Jahr oder so. Wenn die abgewirtschaftet haben, werden wir Sie habilitieren.“* Enttäuscht zurück in Berlin, organisierte er gemeinsam mit seiner Frau Hannah Arendt einen Diskussionskreis über Hitlers „Mein Kampf“ und begann die Niederschrift einer „antifaschistischen Swiftiade“, die erst nach 52 Jahren, in seinem Todesjahr erscheinen sollte. Die zweite Phase, nachdem er gleich nach dem Reichstagsbrand, als ruchbar wurde, dass Brechts Telefonverzeichnis in die Hände der Gestapo gefallen war, nach Paris geflüchtet war. In der ersten Woche dort, also Anfang März 1933, suchte er zur „Selbstverständigung“ in zwei Anläufen: die Niederlage der Gegenkräfte des deutschen Faschismus® und dessen materiellen psycho- wie soziologischen Nährboden’ zu fassen. In der dritten Phase warnte der Weitergeflüchtete in den USA die Emigrierten und damit sich selbst vor der Illusion einer friktionsfreien Rückkehr in die seelisch verwüsteten, intellektuell verdorrten und moralisch wie politisch devastierten Herkunftsländer. Jetzt, drei Jahre vor seiner eigenen Rückkehr, trachtet er, die Möglichkeiten für einen intellektuellen, zugleich moralischen Wiederaufbau zu entwickeln. Die Phasen sind sachlich gut unterscheidbar, zeitlich nur ungefähr: sie überlappen. Gerhard Oberschlick, geb. 1942, Philosoph, Publizist, u.a. Mitorganisator des Volksbegehrens zur Auflösung des österreichischen Bundesheeres 1970, 1975-1995 Verlagsleiter, Herausgeber, Eigentümer der Zeitschrift NEUES FORVM, seit 1992 Betreuer des Nachlasses von Günther Anders. Anmerkungen 1Z.B. George Reisman: Warum Nationalsozialismus Sozialismus war und warum Sozialismus totalitär ist. Seite des deutschen Mises-Instituts, 28. Oktober 2013, http://www.misesde.org/?p=6343 (alle Links vid. 4.3.2018) 2 „War Adolf Hitler ein Linker?“ In: taz.am Wochenende, 27.9.2003, Kultur, S. 13. 3 In: „Der Angriff“, angeblich 1931 (http://www.pi-news.net/2011/08/ der-national-sozialismus-eine-linke-bewegung/) 4 „Wenn ich verzweifelt bin, was geht's mich an?“ In: Mathias Greffrath: Die Zerstörung einer Zukunft. Gespräche mit emigrierten Sozialwissenschaftlern. Reinbek 1997, S. 31. (Rowohlt dnb, hg. von Jürgen Manthey) 5 „Die molussische Katakombe“. München: Beck 1992, erweiterte Neuauflage ebenda 2012. 6 „Sieg des Methodenmangels“. In: FORVM 480, Dezember 1993, S. 1-4. 7 G.A.: Anthropologie der Arbeitslosen. In: FORVM 485/486, Juni 1994, S. 1-2. Juni 2018 47