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Anteil an der deutsch-amerikanischen Turnerbewegung, die in ihren Anfängen sozialistisch orientiert war. Heinrich Börnstein (1805 — 1892), im Vormärz Herausgeber der bahnbrechenden Pariser Zeitschrift „Vorwärts!“, für die Heine und Marx schrieben, und umtriebiger Theaterdirektor in der Alten und Neuen Welt, hat uns wertvolle Nachrichten über das Leben und Treiben der Achtundvierziger in den USA hinterlassen. Violand arbeitete für Börnsteins „Anzeiger des Westens“ in St. Louis, „aber nicht gegen Honorar, sondern nur, wenn das Ihema seiner Überzeugung entsprach“. So blieb Börnstein nichts anderes übrig, als bei dem ständig in Bedrängnis lebenden Freund Zigarren einzukaufen und an Bekannte zu verschenken. Die Zeit des Auftretens der Achtundvierziger auf der politischen Bühne Amerikas bedeutete nicht nur Jahre gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwungs — die Ufer des Atlantiks und des Pazifiks wurden damals durch die Eisenbahn verbunden -, sondern auch eine Epoche neuer Parteibildungen, deren Stichwort die Sklavenfrage wurde. Die Deutschen wurden bald zur Vorhut der jungen republikanischen Partei. Violands Staat Illinois, wo 1860 130.000 Deutsche lebten, entsandte Abraham Lincoln, den Hinterwäldler aus Kentucky, in den Kongress. In einer Wahlrede sagte der spätere große Präsident der Vereinigten Staaten 1856 über die Deutschen: „God bless the Dutch! [...] They are more enthusiastic for the cause of freedom than all other nationalities.“ Es ist bekannt, dass viele Deutsche und Osterreicher auf der Seite der Union im Sezessionskrieg als einfache Soldaten und fiihrende Offiziere gefochten haben — Carl Schurz ist nur ein Beispiel fiir viele Tausende. Violand finden wir 1861 als Quartiermeister eines Kavallerieregiments. In diesen Jahren großer Entscheidungen stand Violand mit seiner Familie unter dem schwer lastenden Druck von Krankheit und Not. Nicht allen Achtundvierzigern gelang es — wie Freund Kudlich als Arzt oder Dr. Goldmark, auch er einst Kollege im Reichstag und nun als Entdecker des roten Phosphors erfolgreicher Industrieller —, sich eine angesehene bürgerliche Existenz zu schaffen. Viele scheiterten im gnadenlosen Konkurrenz- und Existenzkampf und gingen unter. Dr. Anton Füster etwa, im Sturmjahr Kaplan der akademischen Legion und Reichstagsmitglied, kehrte als mittelloser Greis nach Wien zurück. Von Violand gibt es aus den Jahren des Big Business nur noch wenige Lebenszeichen. Als Kudlich 1867 dem verschollenen Freund schrieb, meinte er: „Dein altes mutiges Herz steht sicher noch auf dem alten Fleck und schlägt und pocht für dieselben Prinzipien wie vor 18 Jahren!“ Im April des Jahres 1850 setzten Marx und Engels gemeinsam mit Anhängern Blanquis und radikalen Chartisten ihre Unterschrift unter das Gründungsdokument einer „Weltgesellschaft der revolutionären Kommunisten“, in dem es bündig hieß: „Das Ziel der Assoziation ist der Sturz aller privilegierten Klassen, ihre Unterwerfung unter die Diktatur der Proletarier, in welcher die Revolution in Permanenz erhalten wird bis zur Verwirklichung des Kommunismus, der die letzte Organisationsform der menschlichen Familie sein wird.“ Dieser merkwürdige Text beruht letztlich auf der zentralen Forderung des Kommunistischen Manifests: „Erhebung der Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie“ als erster Schritt in der „Arbeiterrevolution“. Er komprimiert jene berühmt gewordenen politischen Formeln, die auch aus anderen Marx’schen Schriften dieser Zeit bekannt sind: „Ansprache der Zentralbehörde (!) an den Bund“ und vor allem „Die Klassenkämpfe in Frankreich“, seit März 1850 in Hamburg (als Versuch einer Fortsetzung der „Neuen Rheinischen Ernst Violand, Lithographie von Eduard Kaiser, 1848 Zeitung“ als „Politisch-ökonomische Revue“) erschienen. Analyse und zugleich Aufruf zur Erneuerung der Revolution: „die kühne revolutionäre Kampfparole“ — „Sturz der Bourgeoisie! Diktatur der Arbeiterklasse!“ Marx definierte parallel zu Blanqui den „revolutionären Sozialismus“ als „die Permanenzerklärung der Revolution, die Klassendiktatur des Proletariats als notwendigen Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt“. Hier ist anzumerken, dass diese für das politische Programm von Marx und den ‚Marxismus‘ so folgenschwere Wendung von der Demokratie zur Diktatur als Mittel der Durchsetzung der demokratisch-sozialistischen Revolution in der Analyse der Wiener Revolution wurzelt. An ihrem tragischen Wendepunkt hat Marx in seinem zornsprühenden Artikel der Neuen Rheinischen Zeitung über den „Sieg der Kontrerevolution in Wien“ (6. November 1848) die Niederlage im Oktoberkampf zum Anlass genommen, von den „mörderischen Todeswehen der alten Gesellschaft, den blutigen Geburtswehen der neuen Gesellschaft“ zu sprechen. Marx sah „nur ein Mittel, diese Geburtswehen abzukürzen, zu vereinfachen, zu konzentrieren, nur ein Mittel, den revolutionären Terrorismus“. In diesem aufrüttelnden, aggressiven Text begründet der aktuelle „Verrat der Bourgeoisie“ — mit dem Wiener Biirgertum ist die gesamte deutsche Bourgeoisie gemeint — an ihrer eigenen Revolution die Rückwendung zum jakobinischen Höhepunkt der Großen Französischen Revolution — und jene folgenschwere Rechtfertigung der terreur als Mittel der Selbstbehauptung der revolutionären Republik gegen äußere und innere Feinde. Violand hatte von den Debatten und dem Revolutionskonzept der Londoner Emigration zweifellos Kenntnis durch seine von der Polizei beobachteten Kontakte. Dies bezeugen auch die Formulierungen der „Sozialen Geschichte“. Allerdings hat Marx schon im September 1850 - infolge der Orientierung auf die als notwendig erkannte umfassende Kritik der politischen Ökonomie und eine Juni 2018 53