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In diese Zeit fällt auch der Entschluß zur Flucht; spät, fast zu spät, auch, weil die Bürokratie nicht Rücksicht auf die Todesgefahr nimmt, was an den USA Edgar Hilsenrath in Fuck America schildert, in Schweden dauert es - nur - ein Jahr, bis, allerdings dank Interventionen Gudrun Harlans, einer Freundin Sachs‘, die als Nichte des Schriftstellers und Dramaturgen Walter Harlan über diesen den Bruder des schwedischen Königs erreicht, die Bemühungen aus dem Sommer 1939 in einen Flug nach Stockholm im Mai 1940 münden. Der Befehl für den Abtransport in ein Lager wäre da bereits eingetroffen gewesen. Das metaphysische und das politische Exil sind nun gegeben - und bleiben es, denn eine Rückkehr nach Deutschland oder in eine unbeschädigte Form von Denken und Sprachen, als gäbe es derlei, ist keine Option für die Dichterin, die so genau sieht und spricht, daß es in einer Para-Realität, die fortan das Sein ist, Paranoia ist, woran sie in bestürzender Folgerichtigkeit leidet. Knapp gerettet lebt Nelly Sachs mit ihrer Mutter in einfachsten Verhältnissen; bis 1953 ohne die schwedische Staatsbürgerschaft. Sie beginnt, während sie sich zunächst unter anderem als Wäscherin verdingt, Schwedisch zu lernen und alsbald moderne schwedische Lyrik ins Deutsche zu übersetzen, Gedichte von Edith Södergran, Karin Boye, Johannes Edfelt, Hjalmar Gullberg, Anders Österling und Pär Lagerkvist, wobei die Situation der fremden Sprache wie angedeutet der entfremdeten Sprache gemäß sein mag, das Neuromantische jedenfalls verflüchtigt sich, ein Prozeß nicht unähnlich jenem, worin Rose Ausländer in den USA englische Texte verfassend die Distanz zur Sprache gewann, die ihr half, diese neu und anders weiterzuschreiben; oder worin Celan keine neue Heimat gewann, sondern seine Fremdheit zu universalisieren lernte, als er auch rumänisch dichtete: als er alle Sprache „spielerisch handhabte“'”, „spielerisch handhaben mußte“'?. Das Spiel ist eine Folge des Genauen, vom „hyperkorrekten Sprecher Celan*” spricht Stiehler, ahnlich kann Nelly Sachs auf dem Umweg über das Schwedische, aus dem sie überträgt, die Möglichkeiten des Deutschen womöglich anders erschließen, freilich nicht im Sinne Fritsch-Vivies, deren Deutung hier nicht einmal zitiert sei." Welche Sprache könnte ohne Fremdheit diese Worte finden? O die Schornsteine Auf den sinnreich erdachten Wohnungen des Todes, Als Israels Leib zog aufgelöst in Rauch Durch die Luft — Als Essenkehrer ihn ein Stern empfing Der schwarz wurde Oder war es ein Sonnenstrahl?" Diese Verkehrung von allem bedarf einer tordiert-gewundenen Sprache, die zu fragen vermag, wonach zu fragen ist: Was ist Wohnstätte, was sind Schornsteine? Oder mit Rose Ausländer: Was sind „Häuser mit mächtigen Öfen“2, oder mit Celan, was wäre das Aufsteigen „als Rauch in die Luft“? Exiliert aus der Normalität, die keine gewesen sein kann, wenn sie diese Verdrehungen zuließ, schreibt Nelly Sachs in der und gegen die Schwarze dieses schwarzen Sterns, dieser schwarzen Sonne, die eben nicht (sozusagen: einfach) Melancholie oder Depression ist; oder sie betreibt ein „removing melancholia from pathology“; es geht um Reales, das sich in Depression und Paranoia fast objektiviert. Autobiographie ist dies, aber der Umschlag derselben, daß subjektive Bedingtheiten ein Licht auf das werfen mögen, was ihm nicht zuzurechnen ist. Diese Gedichte werden zunächst nicht unfreundlich, sondern großteils gar nicht aufgenommen; die Bände In den Wohnungen des Todes und Sternverdunkelung (1949) werden — auf Betreiben Johannes R. Bechers - in Ost-Berlin veröffentlicht; weder in der Schweiz noch in den westlichen Zonen Deutschlands oder in Österreich werden Gedichte von Nelly Sachs zunächst gedruckt; Sternverdunkelung wird zwar auch in Amsterdam verlegt und von der Kritik gelobt, aber kaum vertrieben und demenstprechend kaum gelesen. Man will sich „in dem ganz auf Restauration getrimmten Westen“” mit dem Thema und gar allfälligen Kontinuitäten nicht befassen. Auch in der DDR erscheinen - in Sinn und Form — nur einige ihrer Texte. Während Sachs darum weiterhin übersetzen muß, was übrigens zu ihrer besseren Vernetzung in Schweden führt, hat sie zwar nicht viele, aber entscheidende Leser: In den 50er Jahren beginnt sie etwa ihre Korrespondenz mit Paul Celan, bei aller Nähe ein nicht einfaches Verhältnis, eine jedenfalls wesentliche Beziehung, die auch zu Treffen führt, angesichts der Verfassung beider kein leichtes Unterfangen. Ende der 50er setzt eine breite Rezeption ein, das Mysterienspiel EZ wird 1959 als Hörspiel beim Südwestfunk ausgestrahlt. In dieser Zeit folgen Preise, zur Verleihung des Meersburger Droste-Preises 1960 reist sie nach zwanzig Jahren erstmals nach Deutschland, danach besucht sie Alfred Andersch im Tessin und Paul Celan in Paris; und sie bricht zusammen, nach schon zuvor deutlichen Anzeichen psychischer Erkrankung. Insgesamt verbringt Nelly Sachs drei Jahre in zunächst einer psychiatrischen Abteilung und dann in einer Nervenheilanstalt bei Stockholm.” Die Frage, was krank sei, was an (oder als) Gesundheit angemessen, kann hier nicht angemessen behandelt werden, so seien die beiden Seiten dessen nur skizziert: Einerseits verging sich die Seelenheilkunde an denen nicht selten, denen sie Normalisierung gebot, ohne jedes Verständnis für objektive Gründe der Verstörung, als wäre konkreter Celan nicht auch in seiner Paranoia Opfer antisemitischer Attacken gewesen, dem man die Rede von seinen Iraumata als weiteres Irauma zu nehmen drohte, der Selbstbefund Celans, dem man medizinisch geholfen haben wollte, der aber diese Meinung nicht teilt, vielmehr sagt, man habe ihn „zerheilt“”, ist ernstzunehmen. Andererseits suchte Nelly Sachs die Hilfe, die sie — subjektiv: unter dem Gesichtspunkt gelinderten Leidensdrucks, objektiv: die Behandlung /ege artis’ — auch bekam, war auch offenbar insgesamt ihre „Krankheitseinsicht |...) ziemlich gering“; aber das rührt wieder an die schon erwähnte Seite, durch die Elektroschocks und Medikamente „werden ja nicht die Wahnvorstellungen behandelt“, die aber eben auch eher zu verhandeln wären und bleiben... Krank, in der Nervenklinik - und geehrt: auch durch die Benennung des Nelly-Sachs-Hauses nach ihr, wo übrigens Rose Ausländer ab 1972 lebt. Die Stadt Dortmund stiftet 1961 den Nelly-Sachs-Preis und verleiht ihn der Namensgeberin. Als erste Frau erhält sie 1965 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, im Jahr darauf zusammen mit Samuel Joseph Agnon den Literaturnobelpreis, das Preisgeld verschenkt sie an Bedürftige und an ihre alte Freundin und Lebensretterin Gudrun Harlan. Sie zieht sich in den letzten Lebensjahren zurück, aufgrund nicht nur der psychischen Probleme, sondern auch von Herzproblemen und einer Krebserkrankung. Sie stirbt am 12. Mai 1970 in einem Stockholmer Krankenhaus an der Krebserkrankung, es ist der Tag von Paul Celans Beerdigung, von dessen Tod sie angeblich (mehrere Quellen kolportieren dies, doch soweit mir bekannt allesamt ohne solide Belege) noch erfahren habe; ihr Grab ist auf Juni 2018 5/