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„gleichermaßen anschaulich wie reflektierend [...]“ (Timm, ,,Laudatio“). Im Nachlass von Schwarz ist eine Frühversion der Autobiographie als Typoskript mit dem Titel „Abenteurer wider Willen“ zu finden, die sich auf Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre datieren lässt und im Vergleich zur publizierten Schlussversion Ende der 70er Jahre erhebliche Unterschiede aufweist. So kommt in der Frühversion eine stärkere Betonung des Persönlichen zum Tragen, ebenfalls eine größere Anzahl von Anekdoten und Geschichten, u.a. zu den vielen Begegnungen mit anderen Exilanten, von Alltagsbeschreibungen und sonstigen, cher impressionistischen Momentaufnahmen des Erlebten. Im Vergleich setzt sich die Schlussversion mit größeren Fragen der Willensfreiheit und des Lebenssinns auseinander. Darüber hinaus ergeben sich aus einem Vergleich der beiden Versionen signifikante Verschiebungen des scheinbaren Realitätsgehalts, die den mimetischen Anspruch von Autobiographie zu unterlaufen scheinen. In solchem Zusammenhang haben die Verfechter der literarturkritischen Dekonstruktion das autobiographische Schreiben am stärksten in Frage gestellt. Zum Beispiel ist für Paul de Man Prosopöie der Tropus autobiographischen Schreibens: Autoren würden versuchen, mit Worten ihr „Gesicht“ (zu griechisch prosopon) zu „machen“ (poiein) (de Man 76). Dieser Aufgabe wird die Sprache aber nicht gerecht: » Lo the extent that language is figure (or metaphor, or prosopopeia) it is indeed not the thing itself but the representation, the picture of the thing and, as such, it is silent, mute as pictures are mute. Language, as trope, is always privative (de Man 80). In Anspielung auf den erwahnten Tropus autobiographischen Schreibens resümiert de Man: „Autobiography veils a defacement of the mind of which it is itself the cause“ (de Man 81). Umso problematischer muss uns Schwarz‘ Text erscheinen, wenn die angebliche Realität an sich durch die inhaltlichen Verschiebungen von der Früh- zur Schlussversion unsicher wird, ganz abgeschen von der sprachlichen Problematik, diese Wirklichkeit überhaupt einfangen zu können. In den folgenden Ausführungen soll nun der Versuch unternommen werden, dem literarischen und formalen Prozess nachzugehen, der Schwarz‘ ursprüngliche Ausführungen schließlich auf eine Ebene hob, auf der er sich mit dringenden Fragen der Selbstbestimmung und des Lebenssinns in bewegten Zeiten beschäftigt. Darüber hinaus soll auch gezeigt werden, wie sogar die widersprüchlichen Verschiebungen der Realität schließlich zur Erhöhung des Selbsterkenntnisprozesses in diesen Fragen führt. Für uns als Leser mündet das wiederum in wertvolle Erkenntnisgewinne, die uns über die Realitätsverschiebungen hinwegschen lassen. Ein Ausgangspunkt mögen die Worte sein, mit denen Schwarz die Frühversion abschließt. Nach einem ambivalenten Wiedersehen mit Wien, wo er zwar erste geistige Anregungen erhalten hatte, aus dem er aber auch vertrieben worden war, schrieb er: Immerhin hatte ich hier eine Lehre empfangen, deren sorgfältige Vorbereitung ein halbes Leben erfordert hatte: den Unterschied zwischen Verlieren und Sichbefreien, Hinauswachsen. (Schwarz, „Abenteurer“ 264) Schwarz meint damit den langwierigen Prozess der Selbstbehauptung im Exil, auf der einen Seite gegen die Fremdbestimmung durch überwältigende Geschichtsereignisse, auf der anderen aber auch, um den Standpunkt zu erreichen, von dem aus sich eine Autobiographie überhaupt schreiben lässt. Nur ein gefestigtes Ich erlaubt schließlich, so eine gängige Definition der autobiographischen Form, „die Rekonstruktion der persönlichen Entwicklung 62 _ ZWISCHENWELT unter bestimmten historischen, sozialen und kulturellen Bedingungen“ (Burdorf 58). Es war ein Selbstbehauptungsprozess, der in der Frühversion vielleicht psychologisch herangereift war, was die zitierten Schlussworte der Frühversion andeuten, aber noch keine adäquate Form wie in der Schlussversion gefunden hatte. Wenden wir uns zunächst Schwarz‘ Selbstbehauptungsprozess zu, wie er inhaltlich und formal in der Schlussversion widerspiegelt wird, bevor wir einen Vergleich mit der Frühversion anstellen. Der Mangel an einem gefestigten Ich ist kein überraschendes Zeichen der Moderne. Etwa durch Psychoanalyse, Säkularisierung, geschichtliche Ereignisse und andere dynamische Gesellschaftsprozesse ist die Subjektwerdung stark in Frage gestellt worden. Umso mehr muss dies der Fall in der Exilsituation sein: Radikal geschichtlichen Mächten ausgesetzt, werden Vertriebene gezwungen, weitgehend auf Selbstbestimmung zu verzichten. Dies trifft natürlich auch auf Schwarz zu; die Überschrift des zweiten Kapitels mit „Treibgut“ bringt es auf den Punkt. Es ist auch ein Thema, das Schwarz ganz besonders interessiert, und er stellt die Problematik bewusst ins Zentrum der Autobiographie. In der „Vorbemerkung“ lesen wir: Gerade weil ich von Anfang an eine Art Spielball geschichtlicher Mächte war, weil so ganz und gar nichts Spontanes, Selbsttätiges an meinem Lebenslauf zu sein scheint, stellt sich mir das Problem der Willensfreiheit mit ungewöhnlicher Intensität. (Schwarz, WanderJahre 11). In der Frage der Willensfreiheit kommt der Autobiograph zunächst zu einem negativen Ergebnis. Obwohl er in seiner Wiener Jugend einen gewissen Handlungsspielraum besaß, muss er aber letzten Endes konstatieren, „daß ich mich, solange ich in Österreich war, nicht als Akteur in meinem eigenen Leben fühlte, nicht fühlen konnte, und daß die turbulenten Ereignisse, die darauf folgten, jede freie Selbstbestimmung auszuschließen schienen“ (Schwarz, Wanderjahre 45-46). Doch mit einem „spektakulären[n] Akt der Selbstdisziplinierung“, wie es Hans-Albert Walter formuliert hat (Walter 361), vermochte es Schwarz, seinen unersättlichen Willen nach Bildung trotz des harten Alltags im Exil am Leben zu erhalten. So fand er in Südamerika immer wieder Wege, an Bücher zu kommen, wenn auch das Durcheinander der Lektüren den Wunsch nach formaler Bildung wach werden ließ. Als Konsequenz bemühte er sich um einen Studienplatz an amerikanischen und anderen Universitäten, zunächst erfolglos, doch dann kam überraschenderweise das Angebot einer halbzeitigen Lehrstelle am Otterbein College im Zusammenhang mit einem Studienplatz an der Ohio State University, was er alles dem Dichter und Germanisten Bernhard Blume verdankte und als glückliche Fügung sieht.° Damit waren die Weichen für Schwarz‘ erfolgreiche akademische Karriere gewissermaßen durch das Zusammenwirken von Selbstbestimmungswillen und Glück gestellt. Am Ende seiner Autobiographie kommt Schwarz zum folgenden Abschlussurteil in der Frage der Willensfreiheit: Niemand kann Kenntnis von meinen wechselnden Lebensumständen nehmen und zur Meinung gelangen, daß ich in unserer Welt der Freiheit des Einzelnen, Lauf und Richtung seiner Entwicklung ungehindert zu gestalten, übertriebene Chancen einräume. Manchmal will mir scheinen, als ob unlenkbare Mächte die Einzelperson geradezu vor sich herwirbelten, denen gegenüber sie oft nicht mehr Widerstand zu leisten imstande ist, als eine Schneeflocke dem Wirbelsturm. Nur unter glücklichen Umständen, so möchte ich mit aller Vorsicht meinen, bleibt dem Individuum je nach seiner besonderen Situation eine gewisse Bewegungsfreiheit. Es kommt dann zu einer